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"Bastarde von Bordeaux"

Affären Ghaddafi, Bettencourt und Karatschi – Frankreichs früherer Präsident Nicolas Sarkozy beschimpft die Justiz

Von Hansgeorg Hermann *

Der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy hat nie verheimlicht, daß ein gut gefülltes Bankkonto und die damit üblicherweise verbundene politische Macht sowie der materielle Reichtum immer eine Triebfeder seiner politischen Karriere waren. Als ihn Journalisten im Jahr 2011 hartnäckig mit der Frage bedrängten, ob er seiner rechtskonservativen Partei UMP für die im Mai des darauffolgenden Jahr anstehende Wahl erneut als Kandidat für das höchste Amt im Land zur Verfügung stehen werde, antwortete er schließlich mit dem berühmt gewordenen Satz. »Das tue ich mir nicht mehr an. Ich werde erst mal ausruhen und dann endlich richtig Kohle machen.« (»Je veux faire des fric«.) Daß es anders kam, ist bekannt. Inzwischen hat sich auch herausgestellt, daß Sarkozy dieses, sein eigentliches Lebensziel wohl schon zu seinen Zeiten als Minister in verschiedenen Ressorts und als Staatschef zu erreichen suchte. Mit illegalen Mitteln, behaupten verschiedene Untersuchungsrichter und Staatsanwälte.

Sarkozy verlor am 6. Mai 2012 nicht nur die Wahl gegen den Sozialisten François Hollande, er verlor mit der Niederlage auch die dem Staatschef in Frankreich garantierte Immunität, den Schutz vor jeder Art von Verfolgung durch die Justiz des Landes. Daß Sarkozy vor knapp zwei Jahren überhaupt noch einmal angetreten war, obwohl Demoskopen unisono einen deutlichen Sieg seines Herausforderers Hollande vorhergesagt hatten, war wohl auch diesem Umstand geschuldet: Besagte Immunität noch einmal fünf Jahre lang zu genießen und damit Ermittlungen gegen ihn zu verhindern.

Beschuldigter ist Sarkozy seither in verschiedenen Staatsaffären: Verdeckte und damit illegale Finanzierung des Wahlkampfes für den früheren Ministerpräsidenten und Präsidentschaftskandidaten von 1995, Edouard Balladur, als Sprecher und Kampagnenleiter – die sogenannte »Affäre Karatschi« (siehe jW vom 26. Januar 2012); illegale, nicht deklarierte Finanzierung seines eigenen Präsidentschaftswahlkampfes in den Jahren 2006 und 2007 durch die Erbin des Kosmetik-Konzerns L’Oréal, Liliane Bettencourt – die »Affäre Bettencourt«; verdeckte Finanzierung des eigenen Wahlkampfes durch den libyschen Staatschef Muammar Al-Ghaddafi (siehe unten); Einflußnahme auf einen ­Magistrat des ­Obersten Berufungsgerichts des Landes und damit verbundener, ungesetzlicher Austausch von vertraulichen Informationen.

Der Vorwurf der Pariser Strafverfolger, er habe sich eines hohen Richters bedient, um an Informationen über die Ermittlungen im Fall Bettencourt zu kommen, veranlaßte Sarkozy in der vergangenen Woche, sich als Opfer einer von den Sozialisten gelenkten Siegerjustiz zu stilisieren. Was war geschehen?

Zu Beginn des Jahres hatten die Pariser Ermittler beschlossen, den Telefonverkehr Sarkozys und seines Anwalts Thierry Herzog zu überwachen, das Ausmaß der Vorwürfe und Verdachtsmomente gegen den Exstaatschef in verschiedenen Fällen schien ihnen diese Maßnahme erforderlich zu machen. Die seit dem 28. Januar mithörenden Beamten versprachen sich Aufklärung vor allem in der Affäre Bettencourt. Was sie nicht erwarteten, war der Hinweis auf einen Helfer des Gespanns Sarkozy-Herzog, den Richter am obersten Berufungsgericht, Gilbert Azibert. Dessen sehnlicher Wunsch, im Jahr 2011 vom damals noch in Amt und Würden regierenden Präsidenten Sarkozy als juristischer Berater an den Hof des Fürstentums Monaco entsandt zu werden, sollte offenbar im Austausch mit Informationen über das vertrauliche Dossier der mit dem Fall befaßten Untersuchungsrichter von Bordeaux erfüllt werden.

Besondere Enttäuschung für das ertappte Paar: »Die Bastarde von Bordeaux«, wie Herzog die ermittelnden Beamten in einem der abgehörten Gespräche nannte, hatten längst daran gedacht, den Fall Bettencourt, zumindest was die Beteiligung Sarkozys betraf, nicht weiter zu verfolgen. Ungeachtet des für beide Seiten – den nun selbst angeklagten, informierenden Richter Azibert, der letztendlich nicht nach Monaco versetzt wurde, und den Empfänger Sarkozy – völlig unergiebigen Geschäfts schien dem Expräsidenten dennoch die Gelegenheit günstig, um sich beim Volk als ein Mann in Erinnerung zu bringen, mit dem auch in Zukunft zu rechnen ist.

In einem offenen Brief an das Volk, publiziert im Figaro, dem Hausblatt des rechtskonservativen politischen Lagers, ­beklagte er am vergangenen Donnerstag zunächst die seiner Meinung nach von der Justiz »mit Füssen getretenen Prinzipien der Republik«, die mit »Stasi-Methoden« agierenden Polizisten und Richter sowie die »von der Regierung zur Methode erhobene Verleumdung«. Nur, um dann mit drohendem Unterton jenen Schlußpunkt zu setzen, der für die Präsidentschaftswahl 2017 nichts weniger als die erneute Kandidatur Sarkozys ankündigt: »All jenen, die meine Rückkehr in die Politik fürchten, sei gesagt: Die beste Art und Weise, das zu verhindern, ist die, mich mein Leben einfach und ruhig, wie ein normaler Bürger leben zu lassen.«

* Aus: junge Welt, Dienstag, 25. März 2013


Hintergrund: Alle waren Brüder

Französische Geschäftsleute, als »Libyen-Experten mit sehr guten Verbindungen zu Verantwortlichen des Regimes« bezeichnete Ansprechpartner der französischen Journalistin Catherine Graciet (siehe unten), die unter den Decknamen »Franck« und »Fabrice« auftraten und ihre echte Identität nicht genannt haben wollten, beschrieben den Geldtransfer von Libyen nach Paris im Detail. Demnach sei Ende des Jahres 2006 »ein kleines französisches Flugzeug« vom Flughafen Sirte in Richtung Frankreich gestartet – zu einem Zeitpunkt, an dem sich auch der »Revolutionsführer« in der nordostlibyschen Stadt aufhielt. An Bord: Béchir Salah, enger Vertrauter Ghaddafis und Chef des Protokolls im libyschen Außenministerium, zusammen mit vier anderen Männern, offenbar Leibwächtern.

Im Gepäck führten sie 30 Millionen Euro mit, die »erste Tranche« des mit Sarkozy vereinbarten Geschäfts. Der Transfer der restlichen Summe, 20 Millionen Euro sowie für Vermittler des Handels bestimmte sieben zusätzliche Millionen, sei später über die Botschaft Libyens in Paris abgewickelt worden, heißt es im »Franck«-Bericht, den Graciet in ihrem Buch »Geheime Geschichte eines Verrats« veröffentlichte.

Zu den Bedingungen des zunächst nur privaten Tauschgeschäftes zwischen Sarkozy und Ghaddafi habe nicht nur der im Dezember 2007 erfolgte pompöse Staatsempfang in Paris gehört, sondern auch der von Libyen versprochene Kauf von Waffen und Jagdflugzeugen vom Typ Rafale. Von französischer Seite sei der Bau eines Atomreaktors als Energiequelle für eine Meerwasserentsalzungsanlage durch den Staatskonzern Areva zugesagt worden.

Besonders das Versprechen, Nukleartechnologie nach Libyen zu exportieren, stieß nach Angaben der ehemaligen Areva-Direktorin Anne Lauvergeon auf Unverständnis. In ihrem 2012 erschienenen Buch »La femme qui résiste« (Éditions Plon-Perrin) beschreibt sie den Handel zwischen Sarkozy und Ghaddafi als ein Geschäft unter mafiösen Vorzeichen: »Was sich für die einen als Teil der üblichen staatlichen Maschinerie darstellte, war für die anderen ein lukratives Geschäft, mit dem sich gewisse Beziehungen schmieren ließen. Alle waren sie vereint, alle waren sie solidarisch, alle waren sie Brüder.« (hgh)



50 Millionen vom Revolutionsführer

Von Hansgeorg Hermann **

Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zu stehen, war für beide Männer stets ein Lebenselexier. Darin ähnelten sich der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy und der libysche Revolutionsführer Muammar Al-Ghaddafi wie ein Ei dem anderen. Auch ihre Art, sich über das hinwegzusetzen, was in Europa mit »Sitte und Anstand« oder als »bürgerliche Gepflogenheiten« bezeichnet wird, machte sie bisweilen zu Brüdern im Geiste. Daß der eine, Ghaddafi, inzwischen tot ist, hat womöglich damit zu tun, daß der andere, Sarkozy, ihre nicht nur auf offizieller politischer sondern offenbar auch auf ökonomisch-privater Ebene eingegangene Beziehung auf seine Weise aufkündigte: Durch einen von ihm entfesselten, selbstverständlich von allen demokratischen Regierungen des Westens begrüßten Krieg gegen den Wüstenstaat, den der Libyer am Ende nicht überlebte.

Die Finanzierung seines Wahlkampfes in den Jahren 2006 und 2007 ließ sich der Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy einiges kosten. Die Frage, woher das Geld für die Kampagne kam, stellte sich zum ersten Mal, als die greise Erbin des Kosmetik-Konzerns L’Oréal, Liliane Bettencourt, wegen eines Familienstreits zunächst in die Boulevardpresse und dann auch in die Berichterstattung der Pariser Tageszeitungen geriet. Bettencourt sollte, berichteten Hausangestellte den mit dem zivilrechtlichen Streit befaßten Ermittlern, über die Jahre nicht nur einen Künstler und Freund des Hauses mit Millionenbeträgen ausgehalten, sondern auch die rechtskonservative Partei des Kandidaten Sarkozy und diesen selbst mit regelmäßigen Geldgaben unterstützt haben. Das wegen der Immunität Sarkozys erst nach dessen Wahlniederlage im Jahr 2012 intensivierte Verfahren ist bisher nicht abgeschlossen.

Schwerer als die Bettencourt-Geschichte wiegt allerdings der von Ghaddafis überlebendem Sohn Saif Al-Islam kurz vor dem Ende des Libyen-Kriegs im Angesicht der Niederlage vor Fernsehkameras erhobene Vorwurf, sein Vater habe Sarkozys Wahlkampf mit 50 Millionen Euro finanziert. Die Aussage Saifs, der seit November 2011 von den Sintan-Brigaden im Süden des Landes gefangengehalten wird, wurde seither immer wieder von überlebenden Zeugen aus dem politischen und familiären Umfeld des Ghaddafi-Klans bestätigt. Rechtskräftige schriftliche Beweise oder audiovisuelle Dokumente liegen den in der Sache ermittelnden französischen Justizbehörden bisher wohl nicht vor. Ehemalige Verantwortliche des Ghaddafi-Regimes sowie Leibwächter und hohe Vertreter der Adminstration haben allerdings in den vergangenen Monaten wiederholt ihr Einverständnis signalisiert, in Frankreich vor Richtern auszusagen.

Die renommierte französische Journalistin Catherine Graciet hat dem Fall im vergangenen Jahr ein Buch mit dem Titel »Geheime Geschichte eines Verrats« (Éditions Du Seuil) gewidmet, das die Details der Affäre aufdeckt. »Während meiner langen Recherchen«, so Graciet, »haben mir alle meine Ansprechpartner – ob Franzosen oder Libyer – ohne die geringste Einschränkung versichert, daß Ghaddafi – oh ja – tatsächlich die Kampagne Sarkozys finanziert hat (…) Ich habe im Laufe meiner Ermittlungen auch begriffen, daß Ghaddafi fast bis an sein Ende davon überzeugt war, daß Sarkozy ihn nicht verraten werde. Die Erklärung seines Sohns hatte er daher mißbilligt und ihm zunächst verboten, Beweise für seine Anklage zu liefern.«

In Zusammenhang gebracht werden seither, sowohl in der französischen Presse als auch bei den laufenden Ermittlungen der Justiz, die Reisen von Sarkozy-Vertrauten nach Libyen in den Jahren vor und während dessen Präsidentschaftskandidatur, die Reise seiner damaligen Ehefrau Cécilia zur »Befreiung der bulgarischen Krankenschwestern« im Juli 2007 und der anschließende pompöse Besuch des »Revolutionsführers« in Paris im Dezember 2007. Auch Zeugenaussagen von Ziad Takkiedine, des längjährigen inoffiziellen Vermittlers in Waffengeschäften zwischen den Präsidenten Chirac/Sarkozy und beispielsweise Pakistan, Syrien und Libyen werden aufgegriffen. Takkiedine ist zugleich Zeuge und Angeklagter in den Affären Karatschi und Ghaddafi-Sarkozy.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 25. März 2013


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