Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Dassault im Polizeigewahrsam

Französischer Senator vom Skandal um Stimmenkauf eingeholt

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Der Rüstungsindustrielle, Zeitungsbesitzer und Politier Serge Dassault wurde am Mittwoch in Nanterre bei Paris in Polizeigewahrsam genommen.

Nun wird es doch brenzlig für den konservativen Senator Serge Dassault (UMP): Zwei Untersuchungsrichter ließen den 88-Jährigen in Gewahrsam nehmen, um ihn zu den Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft zu verhören, wonach er bei seiner Wahl zum Bürgermeister der südlich von Paris gelegenen Trabantenstadt Corbeil-Essonnes für mehrere Millionen Euro Wählerstimmen gekauft haben soll. Bereits im Januar hatte die Justiz beim Senat die Aufhebung seiner Immunität beantragt, doch bei der geheimen Abstimmung im Ältestenrat wurde das mit einer Stimme Mehrheit abgelehnt. Sie konnte bei den Mehrheitsverhältnissen nur von einem linken Senator gekommen sein. Angesichts der Empörung darüber entschied der Senatspräsident, beim nächsten Mal durch Handzeichen offen abstimmen zu lassen. Tatsächlich hat die Justiz ihren Antrag wiederholt, und es wurde eine neue Sitzung des Ältestenrates anberaumt. Um dem absehbaren Ergebnis zuvorzukommen, trat Dassault die Flucht nach vorn an und beantragte in der Vorwoche selbst die Aufhebung seiner Immunität.

Die Vorwürfe und Ermittlungen gegen ihn reichen viele Jahre zurück. Die »Schlafstadt« Corbeil-Essonnes, die in den 70er Jahren mit einem übergroßen Anteil an Sozialwohnungen errichtet wurde, von zahlreichen einkommensschwachen Familien ausländischer Herkunft bewohnt wird und unter extrem hoher Arbeitslosigkeit leidet, hatte früher über viele Jahre einen kommunistischen Bürgermeister. Der wurde bei der Kommunalwahl 1995 von seinem rechten Herausforderer Serge Dassault geschlagen.

Ob damals und bei den Wiederwahlen 2000 und 2004 Geld geflossen ist, wird sich wohl nie mehr feststellen lassen. Bekannt ist nur, dass Dassault immer mit einer privaten Spende zur Stelle war, wenn in der Stadtkasse Geld etwa für die Renovierung des Schwimmbads, die Anschaffung von Sportgeräten, die Modernisierung des Kinos oder für Busausflüge mit Kindern armer Familien ans Meer fehlte. So war es nicht verwunderlich, dass der Bürgermeister bei vielen hohes Ansehen genoss.

Spätestens bei der Wiederwahl 2008, so ermittelte die Justiz, habe sich Dassault über gefügige Helfer durch die Bestechung armer Familien deren Stimmen bei der Wahl sichern lassen. Die solcherart gefälschte Wahl wurde annulliert und ihm wurde für ein Jahr das passive Wahlrecht entzogen. Bei der Wiederholung setzte sich Dassault dafür ein, dass sein Freund Jean-Pierre Bechter Bürgermeister wurde. Inzwischen läuft auch gegen diesen ein Ermittlungsverfahren wegen Stimmenkauf und Wahlbetrug. Weil es unter den Helfern von Dassault, von denen einige aus dem kriminellen Milieu kommen, blutigen Streit gab und einer dabei sein Leben verlor, wurde das Ermittlungsverfahren gegen Dassault auch auf »Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung« erweitert.

Trotzdem behielt er weiter sein Mandat im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments. Er scheut sich auch nicht, in der von ihm 2004 gekauften rechtsbürgerlichen Zeitung »Le Figaro« eigene Artikel zu veröffentlichen und so Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen. Sein Milliardenvermögen – Schätzungen zufolge das fünfgrößte in Frankreich – stammt aus dem Flugzeugkonzern, den sein Vater aufgebaut hat, und der Mirage-Jagdflugzeuge und Falcone-Geschäftsflugzeuge produziert. Marcel Dassault hatte seit dem Ersten Weltkrieg Militärmaschinen entworfen, gebaut und als Versuchspilot selbst getestet. In den Jahren der deutschen Besetzung wurde er wegen seiner jüdischen Herkunft und Beziehungen zur Résistance von der Gestapo verhaftet und ins KZ Buchenwald deportiert. Dort rettete ihm ein Kommunist das Leben, wie er später berichtet hat. Marcel Dassault hat den Steuerknüppel seines Konzerns in der Hand behalten, bis er mit 94 Jahren starb – sehr zum Frust seines auch schon 61 Jahre alten Sohnes, der sich eine Ersatzbefriedigung in der Politik suchte und dem dabei wohl alle Mittel recht waren.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 21. Februar 2014

Lesen Sie auch:

Das "System Dassault": Waffen, Diamanten, Demokratie
Was Frankreich und seine Kriegsmaschinerie in Afrika zu schützen haben (28. Januar 2014)




Zurück zur Frankreich-Seite

Zur Frankreich-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage