Wer profitiert?
Nach dem Terrorangriff auf das linke Satiremagazin Charlie Hebdo in Paris: Mit klarem Kopf analysieren, was hinter dem Verbrechen steht
Von Georges Gastaud *
Georges Gastaud ist Sprecher der nationalen politischen Leitung der Initiative »Pôle de Renaissance Communiste en France« (Pol der Kommunistischen Wiedergeburt in Frankreich – PRCF), in deren Namen der Text am 7. Januar verbreitet wurde. PRCF ist aus einer ehemaligen Strömung innerhalb der Französischen Kommunistischen Partei (PCF) hervorgegangen. Der Text ist von jW leicht gekürzt. Die Übersetzung besorgte Georges Hallermayer.
Geradewegs der mittelalterlichen Finsternis entsprungen haben Terroristen kaltblütig unbewaffnete Menschen abgeschlachtet. Fassungslosigkeit und Empörung. Zwölf Tote, schwer Verletzte … Wir teilen den Schmerz und den Abscheu, die die den Opfern Nahestehenden empfinden wie auch die Bürger aller Weltanschauungen, die die Säkularität des Staates und die Redefreiheit vertreten, wie alle jene, die es ablehnen, auf unserem Boden die »Straftat der Blasphemie« wieder einzuführen. Das Delikt wurde durch die laizistischen Gesetze (eine Reihe von Gesetzen zur Trennung von Staat und Kirche, die zwischen 1902 und 1905 als Konsequenz aus der Dreyfus-Affäre und zur Bekämpfung des reaktionären Klerikalismus der katholischen Kirche in Frankreich verabschiedet wurden, jW) abgeschafft, um die kirchlich verbreitete Angst zu überwinden. Alle Opfer verdienen unseren Respekt, aber uns sei ein besonderes Gedenken an Charb (Stéphane Charbonnier) erlaubt, der die Gedenkversammlung des PRCF zum 70. Jahrestag von Stalingrad unterstützt hatte, an Georges Wolinski, einen der wenigen Zeichner, der über Jahrzehnte hinweg Antikommunismus und Antisowjetismus bekämpfte, der mutig das sozialistische Kuba verteidigte, oder an Bernard Maris, der die aktuellen Erklärungen des PRCF gegen die europäische Einheitswährung nachhaltig unterstützte. Der PRCF verurteilt aufs schärfste diese schreckliche Tat, die in keiner Weise entschuldigt werden kann, ebenso wie die Täter und Urheber.
Unabhängig vom Abscheu haben wir uns mit klarem Kopf diesen Taten zu stellen und zu analysieren, was hinter diesem Verbrechen steht. Nichts deutet bis jetzt klar auf die Hintermänner. Marine Le Pen hat ein Attentat »fundamentalistischer Islamisten« angeprangert. Diese Hypothese ist selbstverständlich plausibel, aber es ist nur eine Hypothese und eine beabsichtigte Provokation des Front National, der hofft, aus den Ereignissen Profit zu schlagen, um für seine fremdenfeindlichen Unternehmungen zu mobilisieren. Vergessen wir nicht die 77 von dem Nazi Anders Breivik in Norwegen Ermordeten oder die 40 von Nazis bei lebendigem Leib Verbrannten in Odessa. Die religiösen Fundamentalisten haben kein Monopol auf den Terror, ganz und gar nicht!
Wer bewaffnet den islamistischen Fundamentalismus? Wer finanziert ihn? Wer hat ihn gefördert? Die Regierung der USA und ihre Vasallen, Saudi-Arabien, Katar sowie gewisse der NATO ergebene Regierungen arabischer Länder. Sie sind es, die die Fundamentalisten anwerben und gegen arabische Kommunisten benutzen, gegen demokratische Bewegungen und die Arbeiterbewegung dieser Länder im besonderen. Die USA haben Osama bin Laden und seine Folterknechte finanziert gegen die afghanische Volksregierung und gegen die Sowjetische Armee, die die Regierung in Kabul um Hilfe rief aufgrund eines dem internationalen Recht entsprechenden Beistandsvertrags. Man erinnere sich an Anwar Al-Sadat, der in Ägypten die Moslembrüder gegen fortschrittliche Kräfte einsetzte. Und wer bewaffnet und finanziert heute »Daesch« (»Islamischer Staat«, jW), wenn nicht die mit den Imperialisten befreundeten Regimes von Katar oder von Kuwait, deren prinzipieller Feind das unabhängige und souveräne Syrien ist? Und wer erinnert sich noch daran, wer das amtierende Staatsoberhaupt von Libyen ermorden ließ und unbekümmert dieses Land in der Nähe zu unseren Grenzen fanatischen Fundamentalisten auslieferte? Es handelt sich um die Herren Sarkozy, Cameron und Obama, die auf die Stoßgebete des großen Kreuzritters Bernard-Henri Lévy reagierten. In Wirklichkeit ist der islamische Fundamentalismus eine der Kreaturen des Imperialismus, eine Kreatur, die nach klassischem Muster sich zeitweise gegen seine Erschaffer wendet: Sadat, ermordet durch Moslembrüder, die Attentate am 11. September 2001 in Manhattan, die Taliban, die sich gegen den Westen wenden, nachdem sie zu Tausenden afghanische Studenten, aktive Kommunisten und laizistische Lehrer umgebracht haben, die ihr Land alphabetisierten.
Wer profitiert von dem Verbrechen? Das ist ebenso zu fragen. Welche politischen Kräfte gedeihen mit dem antiarabischen Rassismus? Wer sind die politischen Kräfte, die die Realität des Klassenkampfes durch die Phantasmagorie des Rassenkampfes zu ersetzen suchen, durch den Kampf der Ethnien und der Religionen? Das sind die Kräfte der galoppierenden Faschisierung, bei der die Elemente der klassischen Rechten jeden Tag die Resultate des vom Front National gesäten Hasses ernten, unterstützt von solchen Pseudointellektuellen wie Éric Zemmour (2011 wegen Aufstachelung zum Rassenhass verurteilter Redakteur der Tageszeitung Le Figaro, jW). Mehr denn je nährt dieses ständige Brandmarken, das Klassifizieren der muslimischen Bevölkerung die schlimmsten Ressentiments, ohne diese in irgendeiner Form zu rechtfertigen. Diese Ressentiments ihrerseits wiederum »rechtfertigen« scheinbar den Hass muslimischer Arbeiter, eine Todesspirale, die es zu brechen gilt, bevor unser Land und die ganze EU der vollständigen Faschisierung erliegen.
In welchem ideologischen Klima fand dieses grauenvolle Verbrechen statt? Es ist das der Faschisierung der Gesellschaft, der ideologischen Medienkampagne um Éric Zemmour, Alain Soral (rechtsextremer Essayist, jW) und Dieudonné (Komiker und rechtsextremer, antisemitischer Aktivist, jW), um den islamophoben Bourgeois Michel Houellebecq (in Frankreich meistgelesener Schriftsteller, jW) herum. Es ist das Klima eines mehr und mehr offenen Rassismus, der sich gegen arabische Arbeiter richtet, wie er in der Weigerung eines Bürgermeisters zum Ausdruck kommt, ein Roma-Baby zu bestatten, in den Erklärungen eines Premierministers, der die Roma als »nicht integrierbar« beurteilt, kurz: in einem verdorbenen Klima, das an die dunkelsten Stunden unseres Landes erinnert. Und welche gesellschaftliche Macht versucht, das Risiko einer sozialen Revolution zu vermeiden, sie zu vernichten, falls sie in einen Kampf umschlägt, der verschiedene Schichten des Volkes oder/und verschiedener Religionen ergreift, in einen Kampf, der die Klasseninteressen sichern würde? Die Antwort kann nur sein: das Großkapital.
Die Regierung von François Hollande ist nicht unschuldig daran, dass dieses tödliche Klima entstanden ist: wegen einer neokolonialen Haltung und der Unterwerfung unter die EU und die NATO. Sie ist noch weiter als Nicolas Sarkozy gegangen bei der Einmischung in den Syrien-Konflikt, bei den neokolonialen Interventionen »à la Françafrique« (Côte d’Ivoire, Zentralafrikanische Republik, Mali), der überharten Haltung gegen den Iran, der kaum verhüllten Unterstützung des Massenmörders Benjamin Netanjahu, alles bei gleichzeitiger Pflege der Kontakte zu den schlimmsten feudalen Regimes am Golf. Wir haben immer gesagt, der Kampf gegen den fanatischen Terrorismus in Frankreich ist untrennbar verbunden mit dem Kampf gegen »unseren« Imperialismus, der täglich den Boden für roheste Gewalt bereitet.
Deshalb weist der PRCF die »Union sacrée« (entsprach in Frankreich im Ersten Weltkrieg dem »Burgfrieden« von SPD und Gewerkschaften mit dem Kaiserreich, jW) mit François Hollande und Bernard Cazeneuve kategorisch zurück. Angesichts der enormen Schwierigkeiten auf sozialem Gebiet werden sie die Situation ausnutzen, um ihre Angriffe auf soziale Errungenschaften und Freiheitsrechte zu verschärfen. Der PRCF ruft im Gegensatz dazu zu einer breiten antifaschistischen, patriotischen Volksfront auf, gerichtet auf sozialen Fortschritt, echte republikanische Laizität, demokratische Freiheitsrechte, Frieden, nationale Souveränität, gegen das Großkapital und gegen seine atlantische EU, deren Streben nach Maximalprofit Chaos auf der ganzen Welt verbreitet.
* Aus: junge Welt, Samstag, 10. Januar 2015
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