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Rechtsruck

In Frankreich macht sich Front National im Schafspelz salonfähig, die etablierten Parteien kommen ihm entgegen

Von Georges Hallermayer *

Da war er wieder, der ungeschminkte Front National (FN). Sie »würde sie lieber auf einem Baum sehen als in der Regierung«, schrieb Anne-Sophie Leclere, Kandidatin der faschistischen Partei für die im kommenden Frühjahr anstehenden Kommunalwahlen in Frankreich, über die schwarze Justizministerin Christiane Taubira auf ihrer Facebook-Seite. Doch der offene Rassismus paßt nicht mehr zum neuen Schafspelz ihrer Partei, die Lecleres Kandidatur in der vergangenen Woche zurückzog. Parteichefin Marine Le Pen schickt sich derzeit an, den FN salonfähig zu machen – offensichtlich mit Erfolg. Wie Le Monde vom 17. Oktober berichtet, verkörpert Le Pen in einer aktuellen Meinungsumfrage für 46 Prozent der Franzosen am stärksten die Opposition gegen Präsident François Hollande und Premierminister Jean-Marc Ayrault. Nach einer Umfrage zu den Europawahlen ist der FN gar zum ersten Mal stärkste Partei. 24 Prozent würden demnach die Faschisten wählen, 22 Prozent die rechtskonservative Union für eine Volksbewegung (UMP), 19 Prozent die regierende sozialdemokratische Partie Socialiste (PS) und zehn Prozent die sozialistische Front de Gauche.

Wie real die ultrarechte Gefahr ist, zeigte sich am Sonntag vor einer Woche bei einer kommunalen Wiederholungswahl im südfranzösischen Brignoles, wo der FN-Kandidat Laurent Lopez sich mit 54 Prozent der Stimmen im zweiten Wahlgang durchsetzen konnte. »Die republikanische Front ist tot«, triumphierte Le Pen umgehend und meinte damit den bis über die Jahrtausendwende gültigen antifaschistischen Konsens des Nationalrats des Widerstands aus dem Jahre 1944. Die Regierung versucht, die Bedeutung der Nachwahl herunterzuspielen. Das Pariser Nachrichtenmagazin L’Express warnte dagegen umgehend vor einer »Katastrophe für Frankreich«, meinte damit aber lediglich die ökonomischen Folgen eines Euro-Ausstiegs. Vor zwei Wochen gestand Marine Le Pen in einem Fernsehtalk, daß sie in keinem Fall die Europäische Union verlassen wolle, sondern lediglich einen mit Angela Merkel abgestimmten Ausstieg aus der Euro-Zone anstrebe. »Es genügt nicht, ein Europa des Handels und der Wirtschaft zu schaffen: Auch und vor allem muß ein Europa der Verteidigung und des Geldes geschaffen werden«, hatte ihr Vater und Vorgänger an der Parteispitze, Jean-Marie Le Pen, schließlich schon 1987 gefordert.

»Noch ist der Front National zu stoppen«, schreibt nun die konservative britische Tageszeitung Financial Times. »Konservative und Sozialisten« müßten dazu »an einem Strang ziehen«. Die Strategie ist nicht erst nach der Präsidenten-Posse um die Abschiebung einer 15jährigen Schülerin in den Kosovo klar: Frankreichs etablierte Parteien rücken selbst deutlich nach rechts. Die Umwandlung in eine »liberale Linke« ist das dann im amtlichen Sprachgebrauch des PS-Finanzministers Pierre Moscovici, ehemals Kopräsident des einflußreichen »Industriekreises«. Innenminister Manuel Valls hatte schon vor Wochen erklärt, er könnte gut mit einem anderen Parteinamen als »sozialistisch« leben. Das ist konsequent, schließlich setzt der »sozialistische« Präsident Hollande längst die Politik seines konservativen Vorgängers Nicolas Sarkozy (UMP) fort. Wie sehr sich derweil UMP und FN einander angenähert haben, zeigt eine von der Tageszeitung Figaro im Oktober vergangenen Jahres veröffentlichte Studie. Derzufolge sind die Überzeugungen der Anhänger beider Parteien nahezu deckungsgleich – einzige Ausnahme war die Europapolitik.

Der Vorsitzende der französischen Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon, sieht die Gründe für das Erstarken der FN dennoch in der »im Grundsätzlichen gespaltenen Linken« und der Politik der PS-Regierung, die eine soziale Errungenschaft nach der anderen zerschlage. Hollande beschuldigte er, »Stimmen für die Front National zu beschaffen« und drohte seinen Genossen auf dem Linkspartei-Kongreß gar mit dem Ausschluß, sollten sie für die Kommunalwahl auf einer Liste gemeinsam mit der PS kandidieren.

* Aus: junge welt, Mittwoch, 23. Oktober 2013


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