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NATO nicht mehr "à la Carte"

Frankreichs Präsident Sarkozy strebt volle Rückkehr in Militärstruktur an

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Unter den 1100 Militärs im Strategischen Oberkommando des Nordatlantik-Paktes im belgischen Mons befinden sich seit 2003 wieder Franzosen, allerdings nur 15. Das soll sich aber bald ändern, denn Präsident Nicolas Sarkozy will Frankreich wieder voll in die NATO-Militärorganisation integrieren.

1966 hatte General Charles de Gaulle Frankreichs Ausgliederung aus der NATO-Militärorganisation verfügt, in den politischen Strukturen des Nordatlantikpaktes verblieb das Land jedoch. Gleichzeitig hatte de Gaulle dem seinerzeit in Paris ansässigen NATO-Hauptquartier sowie dem Oberkommando in Fontainebleau eine Frist von einem Jahr gesetzt, um sich einen neuen Sitz zu suchen. Daraufhin zog die Allianz nach Brüssel und Mons. Seitdem beteiligte sich Frankreich nur von Fall zu Fall an militärischen Planungen oder Aktionen wie vor Jahren in Jugoslawien oder jetzt in Afghanistan und Afrika. Das Signal zur Rückkehr gab Präsident Nicolas Sarkozy, als er im August erklärte, Frankreich wolle wieder »seinen Platz in der NATO voll ausfüllen«.

Im Elysée verspricht man sich davon nicht zuletzt bessere Beziehungen zu den USA und mehr Einfluss auf den Verbündeten jenseits des Atlantik. Der ehemalige sozialistische Außenminister Hubert Védrine, den Sarkozy – im Rahmen seiner »Umarmungsstrategie« gegenüber linken Persönlichkeiten – mit einer Studie zu diesem Thema beauftragt hatte, kam zu einem ganz anderen Schluss: Frankreich werde dadurch an Ansehen und Einfluss in der internationalen Arena verlieren, denn viele Länder schätzten gerade die kritische Distanz zu den USA – beispielsweise im Zusammenhang mit dem Irak-Abenteuer. Durch eine Änderung würde man ein Vertrauenskapital verspielen, das über 50 Jahre unter Präsidenten wie de Gaulle, François Mitterrand und Jacques Chirac angesammelt wurde.

Frankreich wäre gut beraten, weiterhin in der NATO »à la Carte zu wählen, statt das ganze Menü«, meint auch der Militärexperte Thierry de Montbrial, Direktor des Instituts für Strategische Forschungen. Kritische Vorbehalte gegen eine verstärkte Einbindung Frankreichs in die NATO haben nicht nur die linken Parteien, sondern auch etliche rechte Politiker. Doch das ficht den Präsidenten nicht an. Der möchte bei den anderen europäischen NATO-Mitgliedern mit der Aussicht auf die Rückkehr Frankreichs in die integrierte Militärorganisation der Allianz Fortschritte in Richtung einer gemeinsamen europäischen Verteidigung durchsetzen. In diesem Sinne hat Paris dem Nordatlantikrat der NATO im Oktober ein Dokument unterbreitet, das »Transparenz und Kooperation zwischen NATO und EU« zum Ziel hat. Langfristig schwebt Sarkozy wohl vor, dass die Allianz weiter vorrangig für die transatlantische Verteidigung zuständig sein soll, während der EU das Eingreifen bei regionalen Krisen auf dem Kontinent vorbehalten bliebe.

Doch mit solchen Ideen dürfte Sarkozy weniger Erfolg haben als mit seiner Initiative für den Verfassungsvertrag anstelle der gescheiterten EU-Verfassung. Vor allem Großbritannien und die neuen EU- und NATO-Mitglieder im Osten werden alles bremsen, was zu einer Verschiebung der Gewichte auf Kosten der USA führen könnte. Als Störfaktor dürfte auch das NATO-Mitglied Türkei auftreten, das sich dafür revanchieren kann, dass ihm Sarkozy das Recht auf eine EU-Mitgliedschaft abspricht. Letztlich ist auch zu bezweifeln, dass Sarkozys Ideen in Washington viel Wohlwollen finden.

USA-Präsident Bush hat mit der NATO ganz anderes vor. In Afghanistan hat er die Verbündeten schon in seinen weltweiten Feldzug gegen den Terrorismus eingespannt – und alle machen mit, auch die Deutschen und selbst die Franzosen. Das bisher umfangreichste Militärengagement der NATO spielt sich also sehr fern von Europa ab. Das gibt einen Vorgeschmack auf die Rollenverschiebung, die Bush mit dem Bündnis vorhat, in das er langfristig auch Japan, Australien, Südkorea oder Israel einreihen will – mit allen Konsequenzen für mögliche Beistandsverpflichtungen bei militärischen Auseinandersetzungen.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Dezember 2007


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