Putschversuch an der Elfenbeinküste
Früher Stabilitätsanker - heute Unruheherd
Am 8. Januar versuchten aufständische Militärs einen Umsturz in der Elfenbeinküste. Über einige Hintergründe und Spekulationen berichtete die Neue Zürcher Zeitung u.a.:
Côte d'Ivoire kommt nicht zur Ruhe
Putschversuch nach wenigen Stunden niedergeschlagen
Die Republik Côte d'Ivoire, früher als Hort der Stabilität in Westafrika berühmt,
kommt weiterhin nicht zur Ruhe. In der Nacht auf Montag griffen bisher noch
nicht identifizierte «rebellische Ele mente» in der Wirtschaftsmetropole Abidjan
die Hauptsitze des staatlichen Radios und des Fernsehens an und besetzten
diese vorübergehend. Schiessereien wurden auch aus der Umgebung der
Residenz Präsident Gbagbos und einer Kaserne der paramilitärischen
Gendarmerie gemeldet. Ein unbekannter Sprecher der Putschisten teilte am
frühen Morgen im Radio mit, in der Geschichte Côte d'Ivoires sei eine neue Seite
aufgeschlagen worden; die elektronischen Medien befänden sich in der Hand des
Militärs. Wenige Stunden später erlangten loyale Einheiten in zum Teil heftigen
Kämpfen aber die Kontrolle über Radio und Fernsehen wieder, und gegen elf Uhr
Lokalzeit erklärte Innenminister Boga Doudou am Fernsehen, der Putschversuch
sei niedergeschlagen worden.
Präsident Gbagbo vorgewarnt
Laut Boga Doudou war die Regierung vor dem Wochenende über Putschpläne
informiert worden, liess die Aufrührer aber gewähren, um sie auf frischer Tat zu
ertappen. Allerdings verbrachte Präsident Gbagbo als Vorsichtsmassnahme das
Wochenende in seinem Heimatdorf weitab des Geschehens. Der Innenminister
erklärte, man habe unter den Putschisten «kompromittierende» Dokumente
gefunden, welche Schlüsse auf die Urheber des Putschs zuliessen. Er kündigte
an, die Regierung werde mit der ganzen Härte der Gesetze gegen die
Unruhestifter vorgehen. Er unterstrich, es handle sich dabei um Individuen und
nicht um eine ethnische Gruppe. Noch vor der Niederschlagung des
Putschversuchs hatte Premierminister Affi N'Guessan erklärt, bei den Angreifern
handle es sich um Armee-Angehörige, die jedoch ohne Uniform aufgetreten
seien.
Die Bemerkung des Innenministers, wonach keine ethnische Gruppe für den
Putschversuch verantwortlich gemacht werden könne, muss wohl als Reaktion
auf Gerüchte erklärt werden, wonach Armee-Angehörige aus dem Norden hinter
dem Komplott standen. Solche Gerüchte kursierten laut Agenturberichten auch
innerhalb der Sicherheitskräfte. Vor allem in der Gendarmerie wird die Schuld an
jeglichem Ungemach mittlerweile reflexartig den «nordistes» zugeschoben, und
es war am Montagnachmittag noch nicht klar, ob es dem Innenminister mit
seiner Ermahnung gelingen würde, neue Pogrome gegen Ivoirer aus dem Norden
zu verhindern.
Zwei Hauptverdächtige
Tatsache ist aber, dass der Norden sich unter dem Regime Gbagbo von
sämtlichen politischen Prozessen in Côte d'Ivoire zunehmend ausgeschlossen
fühlt und damit ein Motiv für einen Staatsstreich hätte. Für dieses weitherum
empfundene Gefühl der Marginalisierung verantwortlich ist nicht nur der
Ausschluss Alassane Dramane Ouattaras, der Galionsfigur aus dem Norden, von
der Präsidenten- und der Parlamentswahl, sondern auch die Brutalität, mit
welcher die Sicherheitskräfte in den letzten Monaten gegen protestierende
Anhänger Ouattaras vor allem in Abidjan vorgingen. Zwei verschiedene
Menschenrechtsorganisationen kamen kürzlich zum Schluss, dass ein Massaker
in Abidjan an über 50 jungen Männern aus dem Norden im vergangenen Oktober
eine spontane Racheaktion einer Gendarmerie-Einheit auf die Ermordung eines
Gendarmen durch protestierende Ouattara-Anhänger war. Die beiden
Organisationen fanden zwar keine Hinweise auf eine Planung des Massakers
durch übergeordnete Stellen, vermuteten aber, dass auch höhere Kader der
Sicherheitskräfte zumindest informiert waren. Mindestens in einer Stadt im
Norden kam es zu spontanen Freudenkundgebungen, als die Kunde vom
Putschversuch verbreitet wurde.
Der zweite Hauptverdächtige für den Putschversuch ist der frühere Juntachef
General Guéď, der sich laut verschiedenen Berichten immer noch unbehelligt in
seinem Heimatdorf im Westen nahe der liberianischen Grenze aufhält. Guéď
wurde jüngst von Verteidigungsminister Lida Kouassi beschuldigt, liberianische
Söldner zu rekrutieren, und er soll eine private Truppe von einigen hundert
Deserteuren der Armee unterhalten. Trotz einer symbolhaften Umarmung
während eines Treffens zwischen Guéď und Gbagbo in der Hauptstadt
Yamoussoukro im November halten sich die Gerüchte hartnäckig, wonach Guéď
weiterhin Pläne für einen gewaltsamen Umsturz schmiedet. Guéď fühlt sich von
Gbagbo verraten: Die meist gut unterrichtete Zeitschrift «Africa Confidential»
berichtete Ende Dezember, der jetzige Präsident habe vor der Präsidentenwahl
mit dem General einen Kuhhandel abgeschlossen. Ungeachtet des
Wahlresultats sollte Guéď die Präsidentschaft zufallen, wofür Gbagbo mit dem
Amtdes Premierministers und dem Recht, ein Kabinett seiner Wahl
zusammenzustellen, entschädigt werden sollte.
Händereiben in Monrovia
Selbst die frühere Staatspartei, der Parti démocratique de Côte d'Ivoire (PDCI),
kann Gbagbo nicht mehr zu seinen Verbündeten zählen. Bei den
Parlamentswahlen vom Dezember schnitt der PDCI derart dürftig ab, dass
mehrere seiner Führer Betrugsvorwürfe erhoben. Sie hatten gehofft,der
Ausschluss Ouattaras und der damit zusammenhängende, voraussehbare
Wahlboykott des Rassemblement des républicains würden dem PDCI einen
Wahlsieg bescheren, mit dem Gbagbo in die Schranken gewiesen werden
könne. Die zynische Rechnung ging nicht auf. Die Hände reiben angesichts der
immer deutlicheren Zerrissenheit Côte d'Ivoires dürfte sichdagegen der
liberianische Präsident Taylor jenseits der Grenzen im Westen. Das kurzsichtige
Machtstreben der ivoirischen Eliten trägt dazu bei, dass das Land immer stärker
in Richtung des Krisenherds Liberia, Sierra Leone und Guinea schlittert.
Unsicherheit und Chaos sind der Nährboden, auf dem Taylors Talente besonders
aufblühen.
Aus: Neue Zürcher Zeitung, 9. Januar 2001
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