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Gbagbos Bunker belagert

Machtkampf in Côte d'Ivoire wohl nur noch militärisch lösbar *

Die Truppen des gewählten ivorischen Staatschefs Alassane Ouattara sind am Mittwoch (6. Apr.) in die womöglich entscheidende Schlacht gegen dessen Widersacher Laurent Gbagbo gezogen.

»Laurent Gbagbo wird nun aus seinem Loch herausgeholt und dem Präsidenten übergeben«, sagte ein Sprecher der Ouattara-Regierung. »Wir gehen zu seiner Residenz und setzen diesem Schauspiel ein Ende.« Nach Angaben von Zeugen waren in der Nähe der Residenz Explosionen und Maschinengewehrfeuer zu hören.

Aus Kreisen der französischen Regierung hieß es, die Truppen Ouattaras hätten einen letzten Angriff auf das Gebäude in Abidjan gestartet, unter dem sich der langjährige Staatschef in einem Bunker verschanzt hielt. Verhandlungen über eine Aufgabe Gbagbos und seinen Gang ins Exil seien gescheitert. »Gbagbo weigert sich, Ouattaras Sieg anzuerkennen«, hieß es. Ouattara wolle das »Problem« daher »militärisch lösen«.

Gbagbos Lager bezeichnete das bisherige Eingreifen der in der Côte d'Ivoire stationierten französischen Soldaten der »Operation Einhorn« als »Mordversuch«. Die Einheit wies die Anschuldigung zurück und erklärte, dass sie mit dem Schutz der Zivilbevölkerung betraut sei. An den neuen Angriffen vom Mittwoch nehme sie nicht teil, sagte ein Sprecher der »Operation Einhorn«. Vielmehr kümmerten sich die Soldaten um ausreisewillige Ausländer.

»Wir werden zusammen mit den Vereinten Nationen weiterhin Druck machen, damit Gbagbo die Realität akzeptiert«, sagte der französische Außenminister Alain Juppé dem Radiosender France Info. Derzeit hoffe er allerdings, dass neue Militäraktionen vermieden werden könnten.

In der Nacht zum Mittwoch hatte Gbagbo einen Rückzug von der Staatsspitze der Côte d'Ivoire erneut ausgeschlossen. »Ich erkenne Ouattaras Sieg nicht an«, sagte er in einem Telefonat mit dem französischen Fernsehsender LCI. Er finde es erstaunlich, wie im Ausland um sein Land »gepokert« werde. Auch wenn er sich nicht als »Märtyrer« sehe, sei er bereit zu sterben. »Wenn der Tod kommt, kommt er«, sagte er dem Sender.

In dem westafrikanischen Land tobt seit der umstrittenen Präsidentenwahl im November ein immer blutiger werdender Machtkampf zwischen dem international als Wahlsieger anerkannten Ouattara und Gbagbo, der die Macht nicht abgeben will. Seit Beginn einer Offensive der Ouattara-Truppen in der vergangenen Woche kamen Hunderte ums Leben.

Papst Benedikt XVI. rief die Konfliktparteien zum Gewaltverzicht auf. Es sei an der Zeit, »Frieden zu schaffen und in einen Dialog zu treten, um weiteres Blutvergießen zu verhindern«, sagte er. Die Europäische Union und die Afrikanische Union hatten Gbagbo in der Nacht zum Mittwoch gemeinsam zum Machtverzicht aufgefordert. Auch US-Präsident Barack Obama forderte Gbagbo zum Rückzug auf.

Die EU verhängte am Mittwoch (6. Apr.) weitere Sanktionen gegen Gbagbo. Sie untersagte den Kauf von Staatsanleihen und anderen Kreditpapieren des Landes sowie die Vergabe von Krediten an die »unrechtmäßige Regierung von Laurent Gbagbo«, wie der EU-Rat mitteilte. Ausgenommen seien Mittel für humanitäre Hilfe.

* Aus: Neues Deutschland, 7. April 2011


Mordversuch in Abidjan

Côte d’Ivoire: Rebellen wollen »militärische Lösung«. Hilfe von Blauhelmen und französischen Truppen. Gbagbo: »Ouattara wird an die Macht geputscht«

Von Raoul Wilsterer **


Der Krieg zum Sturz des amtierenden Präsidenten von Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste), Laurent Gbagbo, wurde am Mittwoch weiter verschärft. Unterstützt von den »Friedenstruppen« Frankreichs und der Vereinten Nationen rückte die Rebellenarmee (FRCI) des Präsidentschaftsaspiranten Alassane Ouattara auf das Gelände von Gbagbos Residenz am Regierungssitz vor. Dort soll der sich mit seiner Familie in einem Bunker aufhalten.

Nach Angaben des französischen Außenministers Alain Juppé waren vorherige Gespräche mit Gbagbo über den Rücktritt des Anfang Dezember vom ivorischen Verfassungsrat vereidigten Präsidenten ergebnislos gescheitert. Obwohl ihm »körperliche Unversehrtheit« bei Aufgabe zugesichert worden sei, habe er sich geweigert, abzutreten. Sidiki Konake, Sprecher des Ouattara-Lagers, erklärte daraufhin, daß das »Problem« nunmehr »militärisch gelöst« werde: »Laurent Gbagbo wird nun aus seinem Loch herausgeholt und dem Präsidenten übergeben« – womit der seinen Chef meinte.

Ouattara, der ehemalige Spitzenfunktionär des Internationalen Währungsfonds (IWF), wird mittlerweile in den westlichen Mainstreammedien und -agenturen durchweg als »gewählter Präsident« bezeichnet, obwohl die Abstimmung über ihn und Gbagbo am 28. November unter dem Zeichen von Gewalt und Manipulation stand. Gbagbo, bis zum Jahr 2000 Vorsitzender der einflußreichen sozialdemokratisch-orientierten Partei FPI (Ivorische Volksfront), danach gewählter Präsident der Republik, wehrte sich am Mittwoch erneut gegen die Behauptung, Ouattara habe die Abstimmung gewonnen. Vielmehr habe sich dieser mit »ausländischen Mächten verbündet« und sei »an die Macht geputscht« worden. »Erstaunlich« sei, wie im Ausland um sein Land »gepokert« werde, so Gbagbo in einem Telefoninterview mit dem französischen Fernsehsender LCI. »Ich bin bereit zu sterben, aber ich bin kein Märtyrer«, sagte er weiter. »Wenn der Tod kommt, kommt er.«

Gbagbos Lager bezeichnete die Angriffe der 1650 in Côte d’Ivoire stationierten Elitesoldaten der französischen »Opération Licorne« (Operation Einhorn) als »Mordversuch«. Diese erklärten daraufhin, daß ihre Handlungen »dem Schutz von Zivilisten« dienten. Sie hatten am Montag gemeinsam mit UN-Truppen den Präsidentensitz und die Residenz sowie zwei Armeestützpunkte mit Kampfhubschraubern angegriffen. Später unterstützten sie Ouattaras FRCI auch mit Bodentruppen.

Die einseitige militärische Parteinahme widerspricht dem Schlichtungsauftrag der UNOCI-Truppen. Diese halten sich seit 2004 in Côte d’Ivoire auf, um eine Lösung des Konflikts zwischen den Rebellen im abgespaltenen Nordteil des Landes und der Gbagbo-Regierung im Süden zu befördern. Dieses sollte »in Koordination« mit den »Licorne«-Soldaten der ehemaligen Kolonialmacht geschehen, die in Abidjan ihren größten Militärstützpunkt auf afrikanischem Boden unterhält.

Nach Angaben von Zeugen waren seit Mittwoch mittag in der Nähe von Gbagbos Residenz Explosionen und Maschinengewehrfeuer zu hören. Die Angriffe hielten dem Vernehmen nach auch am Abend an. Über Widerstand von regulären ivorischen Truppen lagen am Mittwoch keine seriösen Informationen vor. Auch wurden keine Angaben über eventuelle Opfer und Gefangene gemacht. Die Agentur dapd meldete, der »Machtkampf« stehe »offenbar vor einer Entscheidung«.

** Aus: junge Welt, 7. April 2011


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