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Schmutzige Drogen statt sauberem Wasser

Korruption verhindert Wasserversorgung für Arme in El Salvador

Von Willi Volks *

Korruption und der Missbrauch politischer Ämter haben bisher die Versorgung mit Wasser für die ländliche Bevölkerung im Bezirk Berlin in El Salvador stark beeinträchtigt. Mit Unterstützung der Entwicklungshilfeorganisationen Procomes und INKOTA wird sie nun schrittweise verbessert.

Je näher man den Gemeinden im Landkreis Berlin kommt, desto öfter begegnen einem Menschen, die Wasserkübel auf ihren Köpfen tragen oder sie mit Pferden transportieren. Sie kommen von einer der wenigen Wasserquellen, die sich in der Nähe ihrer Häuser befinden. Doch was heißt schon nah – der kürzeste Weg ist immer noch mindestens zwei Kilometer lang und es sind meist Frauen und Kinder, letztere mitunter noch keine zehn Jahre alt, zu deren täglicher Arbeit das Wasserholen gehört.

Wasser – egal ob zum Trinken und Waschen oder für die Parzellen der kleinbäuerlichen Familien – ist das kostbarste Gut in der Region, denn es ist mehr als knapp. Doch das müsste nicht sein, zumindest einen Teil der dringendsten Probleme hätte man schon längst lösen können. In der Region existiert eine Wasserleitung, die geeignet wäre, einige der Gemeinden zu versorgen, doch sie ist nicht funktionstüchtig. Dass dies so ist, weist auf ein weiteres gravierendes Problem in der Region hin: die Korruptheit vieler Politiker.

Persönliche Bereicherung und die Unterstützung der meist städtischen Klientel, die ihnen die nächsten Wahlen sichert, bestimmen ihr Handeln. Die Armen kommen dabei nicht vor. So hat der ehemalige Bürgermeister des Landkreises Berlin, der der reaktionären PCN (Partei der Nationalen Versöhnung) angehörte, öffentliche Mittel statt in eine Wasserleitung lieber in das Drogengeschäft gesteckt. Dank einer Kronzeugenregelung ist er noch heute ein freier Mann, und von den stolzen zwei Millionen US-Dollar, die er gestohlen hat, ist bis heute kein Cent zurückgezahlt worden. Sein Nachfolger von der FMLN, der Partei der gleichnamigen ehemaligen Befreiungsbewegung, der erstmals im Bezirk Berlin die Wahl gewinnen konnte, kümmert sich im Rahmen seiner mehr als begrenzten Möglichkeiten hingegen auch um die Sorgen der Armen. Dazu gehört, dass er endlich die brach liegende Wasserleitung in Gang setzen ließ. Sie funktionierte zur Freude der Landbevölkerung einige Monate, doch dann ging eine Pumpe kaputt und für einen Neukauf fehlt derzeit das Geld und also mal wieder das Wasser.

So sind die kleinbäuerlichen Familien weiterhin ausschließlich auf das angewiesen, was ihnen die Natur zu geben bereit ist: Wasser in der Regenzeit und einige wenige Quellen in der Trockenzeit. Deshalb gehören auch der Bau von Wassertanks, die Regenwasser auffangen, und die Installierung von Minibewässerungsanlagen zu dem INKOTA-Projekt. Doch dies ist nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein – oder wie man im Spanischen sagt: »una gota de agua en el mar« (ein Tropfen Wasser im Meer). Denn es handelt sich um 15 Tanks, deren Wasser sich 45 Familien teilen, sowie um 75 Bewässerungsanlagen, um in der Trockenzeit Wasser für den Gemüse- und Obstanbau zur Verfügung zu haben. Trinkwasser muss weiterhin aus den Quellen oder aus einem etwa zehn Kilometer entfernt liegenden Fluss geholt werden. Und dabei geht es nur darum, überhaupt Wasser zu bekommen – von dessen Qualität zu schweigen. Würde ein »nichtangepasster« Europäer dieses Wasser trinken, so wäre Durchfall das Mindeste, mit dem er zu rechnen hätte.

Angesichts dieser Misere hilft den Menschen manchmal nur noch Galgenhumor. Bei einem Besuch vor drei Jahren rissen die Beteiligten des Projektes Witze über den damaligen Bürgermeister. »Hast du schon gehört? Der Bürgermeister plant ein neues Wasserprojekt!« – »Ja, das stimmt, aber nur in der Regenzeit!« Oder bezogen auf die Stromversorgung: »Hast du schon gehört? Der Bürgermeister sagt, wir bekommen jetzt Licht!« – »Ja, das stimmt, aber nur bei Vollmond!«

Nun, was den Strom angeht, so müssen die kleinbäuerlichen Familien demnächst nicht mehr auf Vollmond warten. Mit Mitteln des derzeitigen Bürgermeisteramtes wird gerade eine Stromleitung gebaut. Und angesichts dessen bekommt Bernardo Panello, einer der Projektbeteiligten aus der Gemeinde Virginia, geradezu glänzende Augen: »Vor kurzem ist der Wassertank neben unserem Haus fertig geworden, und demnächst bekommen wir noch Strom, dann werden wir uns einen Fernsehapparat und einen Kühlschrank kaufen.« Doch Victor Sanchez, der Projektkoordinator von Procomes, dämpft die Vorfreude: »Die Stromversorgung ist ein enormer Fortschritt, aber es bleibt eine schwierige Situation, denn der Strom, der Fernseher und der Kühlschrank kosten Geld, und das muss durch die Produktion der Finca erwirtschaftet werden. Für den Obst- und Gemüseanbau aber braucht man Wasser, und das bleibt begrenzt«, entgegnet er Bernardo.

Er zeichnet damit den Kreislauf von Armut und Mangel nach, mit dem alle Beteiligten des Projekts zu kämpfen haben. Deshalb ist der sparsame Umgang mit Wasser ebenso wichtig wie Umwelt- und Bodenschutzmaßnahmen, die den Wasserhaushalt der Böden günstig beeinflussen. In dem Projekt werden kleine Tröpfchenbewässerungsanlagen angewendet. Das sind einfache Schläuche mit Löchern, die den Pflanzen im wahrsten Sinne des Wortes tröpfchenweise Wasser zukommen lassen.

Andererseits sind Wiederaufforstungen ein wesentlicher Bestandteil des Projekts. Immerhin 9000 Bäume sollen im nächsten Jahr in den acht Projektgemeinden gepflanzt werden. Darunter sind zum Beispiel Bäume mit Zitrusfrüchten, die nicht nur der Wiederaufforstung, sondern auch der Ernährung und dem Einkommen der Familien dienen. »Außerdem sind die Bäume für die Produktion in den Parzellen ganz wichtig, da sie eine vielfältige Wirkung haben«, sagt Victor und ergänzt: »Sie halten das Wasser länger im Boden, schützen vor dem Abtragen der Erde an Hanglagen und bieten Schatten für andere Pflanzen. Deswegen gehören theoretische und praktische Weiterbildungen zu unserem Programm, denn die Projektbeteiligten müssen lernen, wie man eine Finca anlegt und welche Pflanzen beispielsweise besonders viel Schatten oder Sonne brauchen und welche sich wie ergänzen und vertragen«.

Dazu gehört letztlich auch ein schonender Umgang mit der Natur durch den Übergang zum organischen Anbau. »Ja, auch ich habe schon gelernt, wie man organischen Dünger herstellt«, bestätigt Bernardo. Victor versetzt ihn dann aber ins Staunen, als er ergänzt, dass man im nächsten Jahr Regenwürmerkulturen züchten will, um die Bodenqualität zu verbessern, denn von dieser Methode hat er noch nie etwas gehört. Auf jeden Fall aber freut sich Bernardo auf die Zukunft. Er möchte noch viel lernen und ist bereit, hart zu arbeiten. Dank dem Projekt von Procomes und INKOTA und dank der Politik des neuen Bürgermeisters lohnt sich das für ihn und seine Familie.

Und auch für INKOTA ist es ein Glück, dass unsere Bemühungen um Armutsbekämpfung inzwischen auch vom Bürgermeisteramt geteilt werden. Wir hoffen allerdings, dass dieses Glück nicht nur von kurzer Dauer ist, denn Anfang 2009 sind wieder Kommunalwahlen. Deren Ausgang ist für die ländliche Bevölkerung nicht ganz unwichtig, denn man sollte es nicht glauben: Der korrupte Bürgermeister von einst steht wieder als Kandidat zur Wahl, diesmal für eine andere rechte Partei. Hoffen wir, dass die guten Erfahrungen der letzten Jahre seine Wahl erschweren. Die Stimmen der Armen aus den Projektgemeinden bekommt er jedenfalls nicht.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Januar 2009


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