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El Salvador: Frieden ohne Gerechtigkeit

Vor 25 Jahren wurde Erzbischof Oscar Arnulfo Romero erschossen

Am 24. März 2005 jährt sich zum 25. Mal die Ermordung von Erzbischof Romero in El Salvador. Aus diesem Anlass gab amnesty international zusammen mit zahlreichen anderen Organisationen eine Presseerklärung heraus und veröffentlichte im ai-Journal (März 2005) einen Hintergrundartikel von Claudia Wittwer, den wir im Folgenden dokumentieren.


Von Claudia Wittwer*

Die Täter sind bekannt, doch der Fall blieb bis heute ungesühnt – wie viele andere politische Morde in El Salvador.

Die Ermordung von Erzbischof Romero am 24. März 1980 führte zu einer Eskalation des Bürgerkrieges, in dem rund 75.000 Menschen in El Salvador ihr Leben ließen, und dessen Folgen das Land bis heute zeichnen. Galt Romero zu Beginn seiner Amtszeit 1977 noch als Vertreter einer konservativen Kirchenpolitik, so erschütterte ihn die brutale Ermordung eines befreundeten Priesters und Befreiungstheologen so tief, dass er zum Vorkämpfer gegen Armut und für Gerechtigkeit in El Salvador wurde. In seinen Predigten bezog er offen Position gegen Regierung und Militärs, auch gegen die Militärhilfe durch die USA. Er wusste um die Gefahr, die ihm drohte. Einen Tag vor seiner Ermordung hatte er in seiner Sonntagspredigt über den katholischen Rundfunk Polizei und Nationalgarde landesweit aufgefordert, das Töten einzustellen: „Kein Soldat ist verpflichtet, einem Befehl zu gehorchen, der wider das Gesetz Gottes gerichtet ist.” In der kleinen Krankenhauskapelle, wo er seine Messe las, traf ihn die Kugel des Mörders.

Der zwölfjährige Bürgerkrieg wurde 1992 offiziell mit dem Friedensschluss zwischen Regierung und der Guerilla FMLN beendet, doch Friede kehrte in das kleine zentralamerikanische Land damit noch lange nicht ein. Mit dem Erlass des Amnestiegesetzes von 1993 wurden die Hoffnungen auf Gerechtigkeit in El Salvador enttäuscht. Das Gesetz, das bis heute eine gerichtliche Aufarbeitung der eklatanten Menschenrechtsverletzungen während des Bürgerkriegs verhindert, wurde wenige Tage nach der Veröffentlichung des Berichts der Wahrheitskommission erlassen. Deren Empfehlungen hat die salvadorianische Regierung bis heute ignoriert. Trotz aller Anzeichen, dass die anhaltende Straflosigkeit zur Instabilität in der salvadorianischen Gesellschaft beiträgt, hält auch der derzeit amtierende Präsident Elías Antonio Saca das Amnestiegesetz weiter für das geeignete Mittel, um die Gräben zwischen ehemaligen Tätern und Opfern zu überwinden: „Die Wunden der Vergangenheit zu öffnen bringt einem Land, das nach vorne schaut, nichts”, sagte Saca am 8. September 2004 zu Journalisten.

Dennoch wollen die Stimmen, die sich für ein Ende der Straflosigkeit, eine Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen und eine Entschädigung der Opfer bzw. ihrer Angehörigen einsetzen, nicht verstummen. Sowohl die Menschenrechtsbeauftragte von El Salvador, Beatrice de Carrillo, als auch die Interamerikanische Menschenrechtskommission halten das Amnestiegesetz für verfassungswidrig. Aber auch die vielen Opfer des Bürgerkrieges sind nicht vergessen: immer wieder setzen sich Menschenrechtsorganisationen insbesondere für eine Wiederaufnahme des Falls der Ermordung von sechs Jesuiten, ihrer Hausangestellten und deren Tochter im Jahr 1989 ein, ebenso wie für eine erneute Untersuchung des Mordfalls Romero.

Da sich die Regierung weigert, die Menschenrechtsverletzungen aufzuarbeiten, bleibt nur noch die Möglichkeit für eine Zivilklage vor einem ausländischen Gericht. Für große Aufmerksamkeit sorgte deshalb die Verurteilung des salvadorianischen Ex-Offiziers Alvaro Saravia im US-Bundesstaat Kalifornien im vergangenen Jahr, der wegen der Mittäterschaft bei der Ermordung Romeros in Abwesenheit zur Zahlung von zehn Millionen US-Dollar verurteilt wurde. Geklagt hatte die Menschenrechtsorganisation „Center for Justice and Accountability” im Namen eines Angehörigen von Romero. Aus Sicht der katholischen Kirche in El Salvador erfordert das internationale Recht nach diesem Urteil, dass das Verfahren wieder aufgenommen wird. Auch der Fall der ermordeten sechs Jesuiten ruht nicht: Familienangehörige der Ermordeten erwägen, die Untersuchungen und gerichtlichen Verfahren in Spanien aufnehmen zu lassen.

Den staatlichen Institutionen sowie Justiz und Polizeikräften ist es bislang nicht gelungen, der salvadorianischen Gesellschaft mehr Stabilität zu geben. Im Gegenteil: die Nationale Zivilpolizei (PNC) gilt weithin als der größte Verursacher von Menschenrechtsverletzungen. Die Justizorgane gelten als korrupt und ineffizient. Demgegenüber haben die Menschenrechtsbeauftragte Beatrice de Carrillo und die Mitarbeiter ihrer Behörde einen schweren Stand. Auch Todesdrohungen hat de Carrillo bereits mehrfach erhalten.

Die Folgen der anhaltenden Straflosigkeit sind gravierend. El Salvador gilt als eines der gefährlichsten Länder Lateinamerikas. Die erheblichen sozialen Probleme drängen viele Menschen in die Kriminalität. Der weit verbreitete private Waffenbesitz trägt dazu bei, die Konflikte zu verschärfen. In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres wurden 2.744 Menschen in El Salvador ermordet. Die Situation in den Gefängnissen ist besorgniserregend und durch Überbelegung, Drogenhandel und ein hohes Maß an Gewalt geprägt.

Wirtschaftliche Perspektivlosigkeit, Gewalt auf der Straße und die vielfach desolaten Familienverhältnisse machen die Situation für Kinder und Jugendliche besonders schwer. Körperliche und sexuelle Gewalt an Kindern sind an der Tagesordnung. Schätzungen zufolge sind rund 30.000 Jugendliche Mitglieder der so genannten Maras (Jugendbanden). Die Regierung ist in den letzten zwei Jahren vehement gegen diese Banden vorgegangen. Im Zuge der Operation „Mano Dura” (harte Hand) wurden tausende von Jugendlichen unter teilweise fragwürdigen Umständen verhaftet, aber den wenigsten konnten kriminelle Handlungen nachgewiesen werden. Ein neues „Anti-Mara-Gesetz” konnte die Regierung – teilweise auf internationalen Druck unter anderem von Seiten der UNO – nicht erlassen. Statt dessen verabschiedete das Parlament Strafrechtsverschärfungen, die den Regelungen des ursprünglich geplanten Anti-Mara-Gesetzes sehr nahe kamen.

Das Phänomen der Straflosigkeit hat sich seit der Bürgerkriegszeit bis heute fortgesetzt. Diese Erfahrungen machen bis heute auch hunderte von Familien, deren Kinder während des Bürgerkrieges verschleppt und zur Adoption freigegeben wurden – teilweise bis nach Europa. Bis heute wissen die betroffenen Eltern nichts über den Verbleib ihrer Kinder.

Seit gut zehn Jahren sucht die Organisation Asociación Pro-Búsqueda de Niñas y Niños Desaparecidos nach den entführten Kindern. Mehr als 200 Kinderschicksale konnte die Organisation inzwischen aufklären. Nachdem Pro-Búsqueda immer wieder die Einrichtung einer Nationalen Suchkommission gefordert hatte, um Zugang zu relevanten Akten zu erhalten, kündigte die Regierung im Oktober 2004 überraschend an, eine solche Kommission einrichten zu wollen – allerdings ohne Beteiligung von Pro-Búsqueda.

Die Amnestie für die Menschenrechtsverbrechen der Vergangenheit kann die Gesellschaft nicht befrieden. Zu viele Menschen in El Salvador sind von der anhaltenden Straflosigkeit elementar betroffen. Oscar Romero wurde vor 25 Jahren ermordet, aber sein Einsatz für die Menschenrechte bleibt unvergessen. Der Bürgerkrieg im Land ist längst beendet, die Botschaften Romeros jedoch haben bis heute an Aktualität kaum verloren.

* Claudia Wittwer ist Mitglied der El Salvador-Ko-Gruppe

Siehe auch:
Regierung von El Salvador muss Amnestiegesetz aufheben!
Pressemitteilung von amnesty international vom 17. März 2005

Internationale Kampagne gegen die „Harte Hand“
amnesty international beteiligte sich an der internationalen Kampagne gegen die so genannte Anti-Mara-Gesetze. ai kritisierte insbesondere die Tatsache, dass dem Entwurf zufolge Minderjährige vor Gericht wie Erwachsene behandelt werden sollten. Zudem sah der Entwurf vor, Jugendliche bereits aufgrund von körperlichen Merkmalen wie Tätowierungen unter Strafe zu stellen. dDer Gesetzesentwurf wurde als verfassungswidrig erklärt, weil er die Grundrechte auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzte.

Quelle: ai-journal März 2005 (Homepage: Link zur ai-Seite)


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