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Gute Noten

84 Prozent der Salvadorianer sind zufrieden mit ihrem neuen Präsidenten Mauricio Funes

Von Torge Löding, San José *

Die historisch erste Linksregierung in El Salvador bekommt nach 100 Tagen im Amt so gute Noten wie keine ihrer konservativen Vorgänger. Laut einer Studie der Technischen Universität UTEC äußerten sich 83,8 Prozent der Befragten positiv zur Amtsführung von Mauricio Funes, und in einer Erhebung der Universität UCA erhält der Präsident auf einer Skala von 1 bis 10 die Durchschnittsnote 7,16. Damit danken ihm die Salvadorianer für die kleinen sozialen Reformen, die er auf den Weg gebracht hat. Funes' FMLN-Regierung schaffte die Krankenhausgebühr ab, startete ein Programm zur Armutsbekämpfung und führte eine Notrente für Bedürftige ab 55 Jahren in Höhe von 55 US-Dollar ein. Diese Maßnahmen ließen das Volk aufatmen. »Funes steht auf seiten der Armen«, sagte Maria Silvia Guillen, Geschäftsführerin der Menschenrechtsorganisation Fespad, gegenüber junge Welt.

Wie die große Mehrheit der Salvadorianer begrüßt Guillen die Einrichtung des Komitees der sozialen Ökonomie, in dem auch Vertreter der sozialen Bewegungen neben Unternehmern die Regierung bei der Umsetzung ihrer Politik beraten sollen. »Noch nie wurde das Volk so sehr in Entscheidungen einbezogen wie heute«, konstatierte sie.

Die Bilanz der ersten 100 Tage Amtszeit nannte Präsident Mauricio Funes eine Unsitte: »Das ist doch niemals genügend Zeit, um eine Regierung zu katalogisieren, um einen kompletten Regierungsplan in Marsch zu setzen«, sagte er der Zeitung Contrapunto.

»An der Regierungspolitik von Funes ist nichts neu«, ätzte indes Da­goberto Gutiérrez im Interview mit der konservativen Tageszeitung La Prensa Grafica. Vor 13 Jahren spaltete sich Gutiérrez mit seiner »Revolutionären Tendenz« von der FMLN ab. »Der Präsident verwaltet nur das alte Modell, von einem anderen Wirtschaftssystem keine Spur«, sagte er. Mit dieser Kritik trifft er aber auch bei treuen Parteigängern des Präsidenten wie Maria Silvia Guillen auf verhaltene Zustimmung: »Es ist bedauerlich, daß unser Präsident die exorbitanten Gewinne der Großkapitalisten nicht antastet«.

Das habe jedoch auch mit dem Schatten des Militärputsches im Nachbarland Honduras zu tun, der drohend über der Region liege, erklärte sie. Am Tag nach Manuel Zelayas gewaltsamer Entführung aus dem Präsidentenpalast drohte der Fraktionsvorsitzende der ARENA-Partei Präsident Mauricio Funes am Telefon. Sollte er sich zu weit vorwagen, erwarte ihn das gleiche Schicksal, so die Botschaft.

»Wir lassen uns nicht einschüchtern, aber ich unterstütze die besonnene Politik des Präsidenten, der jetzt nicht frontal heikle Themen anpackt«, sagte Maria Silvia Guillen. Dazu gehören die Annäherung an das progressive Staatenbündnis ALBA und das Amnestiegesetz, welches seit 1993 in El Salvador die Verfolgung der Bürgerkriegsverbrechen und von Militärs begangenen Massakern verhindert. Die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Kuba setzte Funes indes um.

»Ich bin enttäuscht. Eine Revolution kann man nicht in 100 Tagen machen, aber Funes ist ein unsichtbarer Präsident«, sagte dagegen Hector Vides. Der ehemalige Direktor von El Salvadors alternativem Radionetzwerk ARPAS -- das zurückgeht auf Radio Venceremos und die anderen Widerstandssender der FMLN zu Zeiten des Bürgerkrieges -- arbeitet heute als Softwarespezialist in Costa Rica. »Während des Wahlkampfes war Funes omnipräsent und meisterte die neuen Medien. Aber wenn ich heute die Regierungswebsites anklicke, dann sind da immer noch die alten Informationen aus der Zeit vor seiner Amtsübernahme. Funes könnte Punkte sammeln mit der Einführung von freier Software im öffentlichen Dienst oder mit Initiativen zur Förderung alternativer Medien. Aber er vertut diese Chancen einfach«, so Vides gegenüber junge Welt. Enttäuschung macht sich auch breit unter Umweltschützern, weil der Staatschef das umstrittene Staudammprojekt Chaparral nicht stoppe und nicht einmal eine Ausgleichsmaßnahme vorschlage.

Ein drängendes Problem bleibt in El Salvador auch die Bandenkriminalität. Die Mordrate stieg auch im ersten Halbjahr 2009 weiter an. Für Entsetzen sorgte die Ermordung des linken französischen Filmemachers und Fotografen Christian Poveda Anfang September. Poveda berichtete während des Bürgerkrieges als Korrespondent aus El Salvador. Zu Jahresbeginn sorgte sein Dokumentarfilm über Straßenbanden »La Vida Loca« für Wirbel. Offenbar wurde er von einem Bandenmitglied ermordet.

* Der Autor arbeitet für das unabhängige Kommunikationszentrum Voces Nuestras in Costa Rica

* Aus: junge Welt, 10. September 2009


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