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Jacobos Enkel lieben Orangen

Wie Bauernfamilien in El Salvador ihr Überleben sichern

Von Willi Volks *

In Zusammenarbeit mit der salvadorianischen Gemeindeentwicklungsorganisation Procomes unterstützt INKOTA Projekte im Landkreis Berlin, die 120 Familien dabei helfen, die Eigenversorgung mit Lebensmitteln und eine nachhaltige Existenz zu sichern.

Einige hundert Meter hinter der Kreisstadt Berlin, im östlichen Departement Usulután in El Salvador gelegen, hört die Asphaltstraße auf. Von nun an schaukelt unser Allrad-Pickup über Stock und Stein auf einem unbefestigten, durch Regen ausgewaschenen und mit vielen Senken und Löchern versehenen Weg seinem Ziel entgegen.

Das Ziel ist die Gemeinde Las Delicias, eine lose Ansammlung von ein paar Dutzend Häusern ohne Strom und fließendes Wasser. Sie ist eine von acht Gemeinden, in denen INKOTA zusammen mit der Partnerorganisation Procomes ein Projekt für Ernährungssicherheit, Einkommensaufbau und Umweltschutz mit 120 kleinbäuerlichen Familien unterstützt.

Vor seiner Parzelle in Las Delicias erwartet uns schon Jacobo Orellano. Er steht neben seinem Pferd, denn auch er hat bereits einen beschwerlichen Weg hinter sich und ist die etwa fünf Kilometer von seinem Haus bis zur Parzelle geritten. Doch das ist für ihn Alltag, denn er arbeitet täglich früh in seiner Parzelle und nachmittags in der kleinen Milpa (Maisfeld) und dem Bohnenfeld bei seinem Haus. »Ich arbeite so etwa zwölf Stunden am Tag«, meint Jacobo - und das mit 66 Jahren.

Auf der Parzelle arbeitet er allein, in dem Mais- und Bohnenfeld helfen ihm seine beiden jüngsten Kinder. Es sind die letzten von insgesamt zwölf, die noch mit im Haus leben, hinzu kommen fünf Enkel. Um diese und sämtliche Hausarbeit kümmert sich Jacobos Frau, die Ernährung der neunköpfigen Familie liegt vor allem in den Händen von Jacobo. Trotz seines hohen Alters beschwert er sich nicht über die viele Arbeit, ganz im Gegenteil. »Vor dem Projekt hatten wir nur Mais und Bohnen. Dies musste zum Essen reichen, und von dem Geld für den wenigen Mais, den wir darüber hinaus verkaufen konnten, wurden die anderen Dinge fürs Leben bezahlt. War die Ernte schlecht, haben wir gehungert. Besonders die Kinder haben darunter sehr gelitten«, erzählt Jacobo. Das ist auch der Grund, warum die Familie bereits seit vier Jahren zu den Begünstigten des Projekts zählt. Diese Zeit merkt man der Parzelle von Jacobo inzwischen an.

Sichtbare Fortschritte

Wir stehen unter Schatten spendenden meterhohen Bäumen mit Kochbananen oder Zitrusfrüchten, hinzu kommen Gurken, grüne Bohnen, Maniok, Guaven und Mangos - eine wahrlich schon gut diversifizierte Finca. »Der erste Projektabschnitt seit 2004 diente vor allem der Ernährungssicherheit, es ging darum, dass die Familien genug zu essen hatten, und zwar nicht nur Mais und Bohnen«, merkt Victor Sanchez, der Projektkoordinator von Procomes, an und fährt fort: »Die Familie von Jacobo gehört jetzt zu den 45 Familien, mit denen wir eine 'finca de renta familiar' (Finca des Familieneinkommens) aufbauen, also durch Vermarktung den Schritt von der Ernährungssicherheit zur Schaffung eines dauerhaften Einkommens gehen wollen.«

Erste Erfahrungen wurden dabei schon gesammelt. So wurde vor kurzem von den Familien des Projekts erstmals ein Bauernmarkt in Berlin durchgeführt. Das war offensichtlich ein Großereignis für alle Beteiligten, denn Jacobo gerät geradezu ins Schwärmen: »Wir waren schon sehr früh auf den Beinen, denn unsere Produkte mussten von den einzelnen Parzellen abgeholt und nach Berlin transportiert werden. Dort gab es kleine Marktstände für uns direkt am Park, dem zentralen Platz des Ortes, und schon gegen elf Uhr hatten wir alles verkauft.«

Man merkt ihm den Stolz geradezu an, wenn er erzählt, dass die Städter nun wüssten, was sie auf dem Land alles produzieren und erklärt: »Sie haben unser Obst und Gemüse und nicht das von Anbietern aus anderen Gegenden gekauft, denn unsere Produkte waren frisch und kamen direkt von unseren Parzellen.«

Der Anbau weiterer Obst- und Gemüsesorten, die Steigerung von deren Produktion und die Vermarktung, das sind die zentralen Schwerpunkte des aktuellen Projekts, klärt mich Victor auf. Und dabei gilt es, große Schwierigkeiten zu überwinden, denn eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Obst- und Gemüseanbau, der Zugang zu Wasser, gehört zu den größten Problemen in der Region. Deswegen gehört der Bau von Wassertanks, die Regenwasser sammeln, das in der Trockenzeit dem Obst- und Gemüseanbau zur Verfügung steht, zu dem Projekt. Aber das ist wahrlich nur der sprichwörtliche »Tropfen auf den heißen Stein«, denn auch die Wassertanks reichen nur für einen Teil der Familien.

Jacobo zum Beispiel holt in der Regel das Wasser aus einer Quelle, die zirka einen Kilometer von seiner Parzelle entfernt ist. Wenn diese im Sommer ausgetrocknet ist, bekommt er Wasser von Projektbeteiligten aus den Nachbargemeinden, die an ein Wassersystem angeschlossen sind. Diese leben aber mehr als fünf Kilometer entfernt. »Deshalb ist es auch so wichtig, dass Boden- und Umweltschutzmaßnahmen zu dem Projekt gehören, damit der Wasserhaushalt der Böden verbessert wird«, erläutert Victor. »Dabei stehen wir erst am Anfang, doch immerhin haben wir mit der Herstellung von organischem Dünger begonnen, und bisher sind 2400 Bäume zur Wiederaufforstung gepflanzt worden«, berichtet er weiter.

Lokaler Umweltschutz

Auch Jacobo hat auf seiner Finca schon aufgeforstet. Die Bäume dienen vor allem zu deren Einfassung, denn so schützen sie bei starkem Wind die Pflanzen und verhindern das Abtragen von Erde. Unabhängig von den misslichen Bedingungen für ihre Produktion haben es einzelne Familien geschafft, soviel Obst und Gemüse zu erzeugen, dass ihre individuelle Vermarktung schon beachtliche Erfolge aufweist. Auch Jacobos Familie gehört dazu.

Von der letzten Ernte haben sie grüne Bohnen, Gurken, Maniok und Kochbananen verkauft und damit rund 350 US-Dollar eingenommen. »Nur Orangen haben wir nicht angeboten, denn die werden von unseren Enkeln zu gern selbst gegessen«, schmunzelt Jacobo.

Dass Vermarktung aber demnächst ansteht, das merken wir auch bei dem Besuch auf der Finca von Carlos Córdoba. Er gehört zu den Begünstigten, die durch das Projekt einen Wassertank erhalten haben, und baut vor allem Zitrusfrüchte an. Deren Ernte war in diesem Jahr so gut, dass er sie mit seinen begrenzten Mitteln gar nicht komplett verkaufen konnte. Deshalb hat er einen Teil der Früchte in der Nachbarschaft verschenkt.

Victor weiß um die Wichtigkeit der Vermarktung und hat dafür auch konkrete Ideen: »Die nächste Bauernmesse haben wir schon geplant. Wir verhandeln mit dem Bürgermeisteramt in Berlin über die Einrichtung eines festen Marktstandes im nächsten Jahr.« Darüber werden sich auch Jacobo und Carlos freuen, denn sie erhalten im nächsten Jahr weitere Fruchtbäume, mit denen sie ihre Fincas ausbauen wollen.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Dezember 2008


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