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"Vom Rohstoffverkauf wegkommen"

Auch nach Weltfestspielen geht ecuadorianische »Bürgerrevolution« weiter. Gespräch mit Jorge Jurado *


Jorge Jurado ist Botschafter der Republik Ecuador in Deutschland.


Vom 7. bis zum 13. Dezember haben in Quito die 18. Weltfestspiele der Jugend und Studierenden stattgefunden, über die die junge Welt ausführlich berichtete. Wie bewerten Sie das Festival im Rückblick?

Es freut mich auf jeden Fall, daß die Weltfestspiele in Ecuador stattgefunden haben. Solche Treffen haben immer eine große Ausstrahlungskraft, vor allem auf die Gruppen, die sich daran beteiligen. Damit war das Festival eine Bereicherung für den politischen Weitblick der Jugend in Ecuador und in Lateinamerika, das ist sehr begrüßenswert.

Die Weltfestspiele bieten eine Gelegenheit, sich mit den politischen Entwicklungen im jeweiligen gastgebenden Land auseinanderzusetzen. In Ecuador findet ja gerade die sogenannte Bürgerrevolution statt. Was verstehen Sie unter dem Prozeß?

Mit der »Bürgerrevolution« wollen wir die traditionellen Machtverhältnisse grundlegend ändern. Die, die die Macht gehabt haben, sollen sie jetzt an die Bevölkerung abgeben. Das sind beispielsweise Banken, Großgrundbesitzer oder auch die Presse als deren Sprachrohr. Wir gehen verschiedene Wege, um das zu erreichen. Bis jetzt sind wir sehr erfolgreich gewesen, obwohl es nicht leicht ist.

Präsident Rafael Correa spricht von einem Sozialismus, der an das indigene Konzept des »Buen Vivir«, des »Guten Lebens«, angelehnt ist. Was verstehen Sie konkret unter Sozialismus?

Sehr vieles. Das ist ein Begriff, den wir noch diskutieren. Es gibt dazu kein Konzept, das in Stein gemeißelt ist. Folgendes ist also auch meine persönliche Meinung: Wir wollen die Fehler des »real existierenden Sozialismus« nicht begehen. Das waren sehr viele, zum Beispiel, was das Demokratieverständnis oder individuelle Freiheiten angeht. Wir wollen eine gerechte und demokratische Gesellschaft aufbauen, die sowohl den einzelnen als auch der Gemeinschaft die Möglichkeit bietet, ihr Leben selbst zu gestalten.

Kurz vor Beginn der Weltfestspiele am 5. Dezember veröffentlichte die junge Welt einen Artikel von Günter Pohl. Sie haben darauf mit einem Brief geantwortet, in dem Sie sich mit dem Text kritisch auseinandersetzen. Was stört Sie daran?

Mein größter Kritikpunkt ist, daß kaum zur Sprache kommt, was wir alles in den letzten Jahren geleistet haben. Dagegen klingt es in Unterzeile und Artikel beispielsweise so, als ob wir es schon geschafft haben müßten, uns vom Rohstoffverkauf unabhängig zu machen. Wir wollen einen Weg finden, um davon wegzukommen, aber in knapp sieben Jahren kann man das wirklich nicht. Die wirtschaftliche Struktur eines Landes zu verändern, ist ein langer Prozeß.

Anders als in dem Artikel geschrieben, finanziert sich der ecuadorianische Staat sogar heute nicht mehr vorwiegend von Erdöl, sondern zu über sechzig Prozent von unseren eigenen Steuern. Außerdem investieren wir derzeit hauptsächlich in die Bildung.

Sie kritisieren, Günter Pohl habe behauptet, daß unter 200 Metern und jenseits von 2000 Metern Höhe niemand lebe. Tatsächlich hat er doch das genaue Gegenteil geschrieben.

Ich hatte das zunächst nicht richtig verstanden. Nach einer zweiten Lektüre muß ich trotzdem darauf hinweisen, daß auch das Gegenteil falsch ist. Es gibt mehrere große Städte zwischen 400 und 1500 Metern Höhe, wie etwa Santo Domingo.

Sie werfen Günter Pohl vor, »importsubstituierende Politik« zu kritisieren. Dieser schreibt jedoch in dem Artikel bedauernd, daß »die Hoffnung auf eine Nachhaltigkeit der ›Bürgerrevolution‹ im Sinne einer importsubstituierenden Politik auf die lange Bank geschoben« sei.

Dieser Satz ist meines Erachtens vieldeutig. Zunächst habe ich das eher auf ökologische Nachhaltigkeit bezogen, da der Autor im vorherigen Absatz sehr viel über Erdöl und Bergbau schreibt. Nach einer zweiten Lektüre könnte man das auch als Nachhaltigkeit der »Bürgerrevolution« selbst verstehen. Da würde ich mich nicht streiten wollen, ob diese oder jene Deutung besser war.

Inwiefern versucht denn Ecuador tatsächlich, sich von Einfuhren unabhängiger zu machen?

Das ist für uns eine lebenswichtige Frage. Da unsere Währung der Dollar ist, haben wir keine Möglichkeit eine eigene souveräne Geldpolitik durchzuführen. Wir sind immer noch abhängig davon, was die »Fed«, die US-Zentralbank, macht. Wir können keine Dollar drucken, die Geldmenge im Land wird nur größer, wenn wir exportieren. Wir importieren aber mehr als wir ins Ausland verkaufen. Um das zu beschränken, hat unsere Regierung die Steuern auf Luxusgüter erhöht, beispielsweise auf ausländischen Schnaps. Aber was wir für die Entwicklung des Landes brauchen, wird nicht besteuert. Wir versuchen also die negative Leistungsbilanz durch eine Handelspolitik auszugleichen, ein weiteres Wirtschaftsinstrument. Mit all diesen Beispielen möchte ich Ihnen zeigen, daß die Importsubstitution für uns lebenswichtig ist. Wir müssen uns zudem in die Lage versetzen, unsere eigenen Produkte herzustellen, um Arbeitsplätze zu schaffen.

Interview: Lena Kreymann

* Aus: junge Welt, Dienstag, 14. Januar 2014


Zur Öl- und Rohstoff-Debatte siehe auch die folgenden Beiträge:

Erdöl aus den Tiefen des Regenwaldes
Förderung im Yasuní-Nationalpark beginnt – Umweltbedenken bleiben. Von Harald Neuber (9. Januar 2013)
Rohstoff-Export und Sozialismus
Der Botschafter Ecuadors in Deutschland antwortet auf einen Artikel in der "jungen Welt" mit dem Titel "Export statt Sozialismus" (30. Dezember 2013)
Export statt Sozialismus
Ecuadors Präsident Rafael Correa gelang es bisher nicht, die Abhängigkeit des Landes von den Rohstoffverkäufen zu beenden. Dafür müßte er die Privilegien der Reichen in Frage stellen. Von Günter Pohl (6. Dezember 2013)




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