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London macht Asyl zur Falle

Ecuador gewährt Wikileaks-Gründer Zuflucht / Freies Geleit verweigert

Von Harald Neuber *

Die Regierung Ecuadors hat dem Gründer des Internet-Enthüllungsportals Wikileaks, Julian Assange, am Donnerstag nach mehrwöchiger Prüfung seines Falls Asyl gewährt.

Man habe die Entscheidung in erster Linie getroffen, um Assange vor politischer Verfolgung in den USA zu schützen, heißt es in einer Erklärung des ecuadorianischen Außenministeriums. Assange habe den Asylantrag gestellt wegen der Gefahr, von Großbritannien, Schweden oder seinem Herkunftsland Australien an die USA ausgeliefert zu werden. Dort drohe ihm nach der Publikation Zehntausender diplomatischer Depeschen der USA ein Verfahren wegen Spionage und Geheimnisverrats. »Ecuadors Regierung geht von der Stichhaltigkeit der Argumente Julian Assanges aus, nach denen er aufgrund seines Einsatzes für Meinungs- und Pressefreiheit Opfer politischer Verfolgung werden könnte«, argumentiert Ecuadors Außenministerium. Der Wikileaks-Gründer war am 19. Juni in die ecuadorianische Botschaft in London geflüchtet. Kurz zuvor hatten die britischen Behörden einem Auslieferungsgesuch Schwedens stattgegeben. Dort soll Assange wegen eines mutmaßlich von ihm begangenen zweifachen sexuellen Missbrauchs verhört werden. Der 41-Jährige versucht, diese Überführung zu verhindern, weil er eine Auslieferung an die USA befürchtet. Der angebliche Wikileaks-Informant Bradley Manning ist in diesem Zusammenhang bereits seit 2010 in Haft. Ihm droht in den USA womöglich die Todesstrafe.

Seit Mitte dieser Woche hatte sich der Konflikt zwischen Großbritannien und Ecuador um das Asylverfahren zugespitzt. Kurz vor der Entscheidung habe Quito eine »deutliche und schriftliche Drohung« der britischen Regierung erhalten, sagte Außenminister Patiño. Demnach schließen die britischen Behörden eine Erstürmung der Botschaft nicht aus, »wenn Ecuador Julian Assange nicht ausliefert«. In dem Schreiben sei damit gedroht worden, »Assange direkt im Botschaftsgebäude zu inhaftieren«. London könnte sich bei einem solchen Vorgehen auf ein Gesetz aus dem Jahr 1987 berufen, nach dem Botschaften oder Konsulate ihren diplomatischen Schutz verlieren, wenn sie zweckentfremdet werden. Der wochenlange Aufenthalt Assanges in der Botschaft könnte entsprechend interpretiert werden.

Inzwischen hat das schwedische Außenministerium den ecuadorianischen Botschafter einbestellt, um gegen die Gewährung des Asyls zu protestieren. Der Wikileaks-Gründer selbst feierte die Entscheidung am Donnerstag als »wichtigen Sieg für mich selbst und meine Leute«. Allerdings, so Assange, würden die »Dinge jetzt wahrscheinlich stressiger«.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 17. August 2012


Asyl für Assange

Ecuadors Regierung läßt sich nicht einschüchtern und gewährt Wikileaks-Gründer Schutz. London: Drohung mit Sturm auf Botschaft.

Von Jürgen Heiser **


Die Regierung Ecuadors gewährt dem Mitbegründer der Enthüllungsplattform Wiki¬leaks, Julian Assange, Asyl. Bei einer dramatischen Pressekonferenz in Quito erklärte Außenminister Ricardo Patiño am Donnerstag, sein Land werde Assange, der für Meinungsfreiheit und Freiheit des Internets eintrete, entsprechend der internationalen Erklärung der Menschenrechte und der UN-Charta Schutz gewähren. Der Australier habe bei einer möglichen Auslieferung in die USA »kein faires Verfahren zu erwarten«, erläuterte Patiño.

Assange hatte am 21. Juni in der Londoner Vertretung des Andenstaats Zuflucht gesucht, nachdem der Oberste Gerichtshof Großbritanniens den Weg für seine Auslieferung an Schweden endgültig freigemacht hatte, wo er offiziell wegen angeblicher Sexualdelikte befragt werden soll. Der 40jährige befürchtet, von Stockholm an die USA ausgeliefert zu werden, wo ihm wegen der Wikileaks-Enthüllungen über die US-Kriege in Afghanistan und Irak lebenslange Haft oder die Todesstrafe drohen.

Unmittelbar vor der Verkündung der Entscheidung Quitos hatten Drohungen der britischen Behörden die Lage aufgeheizt, gewaltsam in die Botschaft des Landes einzudringen, um Assange festnehmen und an Schweden ausliefern zu können. Patiño forderte deshalb den Rücktritt seines britischen Amtskollegen William Hague und betonte: »Wir sind keine britische Kolonie. Die Kolonialzeit ist lange vorbei!«

London hatte sich in einer diplomatischen Note auf das britische Konsulargesetz von 1987 berufen, das die Regierung ermächtigt, Vertretungen den diplomatischen Status abzuerkennen, »wenn sie nicht mehr ausschließlich als konsularische Missionen genutzt werden«. Es biete die rechtliche Grundlage, »uns Maßnahmen zu erlauben, Herrn Assange in den Räumen der Botschaft zu verhaften«. Das so aus dem politischen Zauberhut gezogene Gesetz war ursprünglich verabschiedet worden, um im Falle von erwiesenermaßen aus einer Botschaft heraus begangenen Terrorakten die Immunität einer solchen Vertretung aufheben zu können.

Ecuadors Außenminister warnte, sein Land werde ein Eindringen der britischen Behörden in die Botschaft als »inakzeptablen feindlichen Akt« betrachten. Er vertraue aber darauf, daß die Briten Assange »freies Geleit garantieren« und die »internationalen Abkommen, die sie unterzeichnet haben, respektieren« werden. London wies das unmittelbar nach der Pressekonferenz zurück. Man sei »verpflichtet«, Assange an Schweden auszuliefern, daran habe die ecuadorianische Entscheidung, die man bedauere, nichts geändert.

In Deutschland begrüßte Wolfgang Gehrcke für die Partei Die Linke die Entscheidung Quitos: »Großbritannien wäre gut beraten, nicht weiterhin mit Drohungen gegen die Botschaft Ecuadors vorzugehen, sondern Assange in sein Exil ausreisen zu lassen. Die Sorgen, daß das Vorgehen gegen ihn aus den USA gesteuert und seine Auslieferung vorangetrieben wird, sind nicht aus der Luft gegriffen.« Das zeige der Umgang mit dem Whistleblower Bradley Mannings und den sogenannten Cuban Five, die seit fast 14 Jahren in US-Gefängnissen sitzen.

Vor der ecuadorianischen Vertretung in London, wo die Polizeikräfte demonstrativ verstärkt worden waren, kündigten Aktivisten an, mit einem Sitzstreik eine Entführung Assanges durch die britischen Behörden verhindern zu wollen. Die Polizei antwortete mit ersten Festnahmen.

** Aus: junge Welt, Freitag, 17. August 2012


Präzedenzfall

Gastkommentar. Drohungen gegen Ecuador

Von Jorge Jurado ***


Die britische Regierung hat Ecuador mit einer Verletzung der diplomatischen Immunität seiner Botschaft im Vereinigten Königreich gedroht, um Herrn Julian Assange, der bei der Regierung unseres Landes politisches Asyl beantragt hat, festnehmen zu können.

Eine solche Haltung durch die Regierung eines Landes, mit dem Ecuador lange freundschaftliche Beziehungen pflegt und eng kooperiert, überrascht. Es hat in den vergangenen Wochen intensive Gespräche zwischen unserer Regierung, Großbritannien und Schweden gegeben, um die Angelegenheit entsprechend der internationalen Normen und der guten Beziehungen zwischen unseren Ländern zu bereinigen. Die nun ausgesprochene Drohung können wir jedoch nicht anders interpretieren als einen unfreundlichen und sogar feindlichen Akt gegenüber unserem Land. Ein in Großbritannien existierendes Gesetz, auf das sich die Behörden des Landes berufen und das es der eigenen Regierung erlaubt, einseitig den diplomatischen Status einer Botschaft aufzuheben, kann nicht die völkerrechtlichen Normen außer Kraft setzen, die jedes Eindringen der Behörden eines Gastgeberlandes in die diplomatische Vertretung eines anderen Staates strikt und ausdrücklich untersagen. Unser Außenminister Ricardo Patiño hat völlig zu Recht in seiner Erklärung unterstrichen, daß es unter keinen Umständen berechtigt wäre, in das Gebäude unserer Botschaft in London einzudringen.

Die Entscheidung unseres Landes, Herrn Julian Assange diplomatisches Asyl zu gewähren, war und ist das legitime Recht der Regierung der Republik Ecuador als demokratisch gewählter Vertretung eines souveränen, international anerkannten Staates. Präsident Rafael Correa und Außenminister Ricardo Patiño haben ihre Entscheidung auf der Grundlage der weltweit herrschenden humanitären Prinzipien und aufgrund des in unserem Land herrschenden Respekts für die Menschenrechte getroffen. Eine Verletzung unserer Souveränität wäre deshalb keine bilaterale Angelegenheit zwischen unseren beiden Ländern mehr, sondern müßte als Bedrohung aller Staaten unseres Kontinents und darüber hinaus aufgefaßt werden. Ecuador würde deshalb die Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) einschalten, um eine gemeinsame Reaktion alle Länder unserer Region zu beraten.

Statt eine Verletzung der völkerrechtlichen Normen des Umgangs souveräner und zivilisierter Staaten untereinander anzudrohen oder auch nur in Erwägung zu ziehen, sollte London sich an die internationalen Instanzen wenden, die zur Schlichtung von Differenzen zwischen Nationen eingerichtet wurden. Alles andere würde einen äußerst gefährlichen Präzedenzfall schaffen, denn es würde die Tür zur Verletzung völkerrechtlich garantierter Schutzbereiche öffnen, wie ihn jede diplomatische Vertretung in jedem Land der Welt darstellt.

*** Aus: junge Welt, Freitag, 17. August 2012 (Kommentar)


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