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Ecuador steht vor einer Zerreißprobe

Überraschung bei der Präsidentenwahl: Der Multimillionär Noboa liegt vorn

Von Tommy Ramm, Bogota *

Bei der ersten Runde der Präsidentenwahl in Ecuador gab es eine handfeste Überraschung: Nicht der nach links tendierende Correa siegte, sondern der Multimillionär Alvaro Noboa.

Wie schon bei den Wahlen vor vier Jahren, bei denen sich der im letzten Jahr gestürzte populistische Ex -Staatschef Lucio Gutierrez überraschend die Präsidentschaft sicherte, haben auch diesmal die ecuadorianischen Umfragen völlig daneben gelegen. Entgegen aller Prognosen setzte sich am Sonntag der konservative Multimillionär Alvaro Noboa knapp gegen den zunächst favorisierten Linkskandidaten Rafael Correa durch. Somit müssen beide zu einer Stichwahl am 26. November antreten. Umfragen an den Wahlurnen und eine Schnellauszählung des Wahlgerichts sahen Noboa mit rund 28 Prozent der abgegebenen Stimmen an erster Stelle, Correa folgte mit etwa 25 Prozent.

Nur wenige Tage zuvor sah es zunächst danach aus, dass sich Correa bereits beim ersten Wahlgang die Präsidentschaft bei einer Zustimmung von rund 37 Prozent hätte sichern können: 40 Prozent der gültigen Stimmen und ein Abstand von zehn Prozent zum folgenden Konkurrenten hätten nach ecuadorianischem Wahlrecht genügt, um das Amt zu übernehmen. Doch offenbar gelang es Noboa in den letzten Tagen, weniger mit Argumenten als mit Geschenken bei den Wählern Boden gut zu machen. Dieser ließ ganz im Stile eines Caudillo auf seinen Wahlveranstaltungen Lebensmittel und Bekleidung unter den Zuschauern verteilen. Seine Frau Annabela Azin zog mit Ärztekarawanen durch das Land und versprach den Bewohnern Häuser und Medikamente im Namen ihres Mannes. Die Wähler scheinen das geglaubt zu haben, schließlich gilt Alvaro Noboa als reichster Mann Ecuadors. Neben Dutzenden Firmen im Finanz- und Immobiliensektor besitzt er eine der weltweit größten Bananenexportfirmen, mit der er sich eine goldene Nase verdient hat. »Ich danke allen armen Ecuadorianern, die für mich gestimmt haben«, so Noboa am Sonntag, der paternalistisch versprach, diesen Arbeit, ein Dach und Gesundheit zuzugestehen.

Die Entscheidung für die Ecuadorianer könnte bis zur Stichwahl kaum schwerer ausfallen. Während Noboa einen US-freundlichen Kurs und eine rein kapitalistische Wirtschaftspolitik ansteuert, verspricht Correa, sein Land einer sozialen und politisch souveränen Linkspolitik unterzuordnen. Bis dahin wird mit harten Bandagen gekämpft, die das Land weiter polarisieren werden. Noboa kündigte an, unter seiner Präsidentschaft jegliche Beziehungen zu Venezuela und Kuba abbrechen zu wollen, nachdem er zuvor behauptet hatte, dass Venezuela sich in den Wahlkampf eingemischt und die Kampagne von Correa finanziert habe. Dieser wiederum erklärte, dass Washington alles daran setze, seinen Triumph bei den Wahlen zu verhindern. »Die US-Regierung weiß, dass wir keine Angestellten von irgendwem sein werden,und wir unsere Souveränität respektieren«, so Correa, der aus seiner Nähe zur venezolanischen Chavez-Regierung zwar keinen Hehl macht, jegliches Gerede über eine Finanzierung seitens Caracas aber als Schmutzkampagne zurückwies.

Für Washington sind die Wahlen und Noboa als Kandidat aus zweierlei Sicht von Bedeutung: Der Nutzungsvertrag um die seit Jahren umstrittene US-Militärbasis in Manta, die das Zentrum für die regionale Drogenbekämpfung darstellt, läuft formell im Jahr 2009 aus. Correa kündigte an, dass dieser Vertrag unter seinem Mandat um keinen Preis verlängert wird.

Aus wirtschaftlicher Sicht ist Noboa der Garant für die Unterzeichnung eines Freihandelsvertrags zwischen beiden Ländern, der seit Monaten wegen politischer Querelen auf Eis liegt. Auch diesen will Correa nicht weiter verfolgen, da damit regionale Wirtschaftsabkommen Schaden nehmen würden. Am 26. November wird sich somit zeigen, ob sich die Scheckbuchpolitik Noboas oder linke Formeln Correas bei den Ecuadorianern durchsetzen werden.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Oktober 2006


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