Ecuador: Weiterer Linksruck in Lateinamerika
"Mann der Armen" Lucio Gutiérrez gewann Präsidentschaftswahlen
Von Timo Berger
In seiner ersten Ansprache als frisch gewählter Präsident Ecuadors rief
Lucio Gutiérrez am Sonntag
(Ortszeit) die Bevölkerung seines Landes zur nationalen Einheit auf.
Jetzt müßten alle ihr
Parteibüchlein vergessen und sich das blau-gelb-grüne Trikot der
ecuadorianischen
Nationalmannschaft überziehen. Gutiérrez feierte dennoch in seiner
traditionell olivgrünen Uniform
mit seinen Anhängern den Wahlsieg in Guayaquil. Selbstbewußt hatte
Gutiérrez die Wahlparty
kurzfristig aus der Hauptstadt Quito in die Stadt an der Pazifikküste
verlegen lassen, wo sein
Gegner, der größte Bananenexporteur des Landes, Alvaro Naboa, seine
stärkste Bastion hat.
Die Kandidaten der traditionellen Parteien waren am 20. Oktober in der
ersten Runde der
Präsidentschaftswahlen kläglich gescheitert. Der erstmals antretende
Gutiérrez kam damals aus
dem Stand heraus auf 20,6 Prozent der Stimmen. Am Sonntag konnte der
45jährige Gutiérrez mit
54,3 Prozent der Stimmen und der Unterstützung durch die indigene
Bewegung seinen Vorsprung
vor Noboa noch ausbauen. Der konservative zweifache Dollarmilliardär
verlor deutlich mit 45,7
Prozent der Stimmen.
In den vergangenen Wochen wurde Gutiérrez in den Medien wahlweise mit
dem venezolanischen
Präsidenten Hugo Chávez oder dem designierten brasilianischen
Präsidenten Luiz Inácio da Silva,
genannt »Lula«, verglichen. Wie Chávez betrat Gutiérrez die politische
Bühne seines Landes mit
einem Putschversuch. Im Januar 2000 solidarisierten sich unter seiner
Anführung Teile der
Streitkräfte mit der demonstrierenden indigenen Bewegung. Der
Staatsstreich führte zum Sturz
des damaligen Präsidenten Jamil Mahuad. Doch nur Stunden später hatte
das Militär Gustavo
Noboa zum neuen Staatschef ernannt, Gutiérrez wurde verhaftet und
verbüßte eine Haftstrafe von
sechs Monaten.
Gutiérrez erklärte noch am Sonntag, er bewundere Hugo Chávez wegen
dessen Entschlossenheit,
seine militärische Karriere und das eigene Leben zu riskieren, um eine
korrupte Regierung
abzulösen. Hier würden aber auch schon die Parallelen enden. Anders als
Chávez suche er die
nationale Einheit. So waren von Gutíerrez nach der Wahl vor allem
versöhnliche Botschaften zu
hören. Ähnlich wie »Lula« hat Gutiérrez in der Zeit zwischen den beiden
Wahlgängen versucht, das
Vertrauen in seine Person bei den nationalen Unternehmern und der
internationalen Finanzwelt zu
erhöhen. Hatte er noch vor dem ersten Wahlgang verkündet, die
»Dollarisierung« der Wirtschaft
zu prüfen, verkündete er nach einer Reise nach Washington, am Dollar als
ecuadorianischer
Landeswährung festzuhalten, auch die Auslandsschuld werde weiter
respektiert.
Als einziger Ausweg bleibt Gutiérrez bei knappen Kassen und gewaltigen
sozialen Problemen – um
die 70 Prozent der Bevölkerung leben in Armut – allein die regionale
Integration mit anderen
lateinamerikanischen Staaten. Als unmißverständliches Signal nach
Brasilien ist Gutíerrez
Ankündigung zu verstehen, er werde die Vereinbarungen mit den USA im
Rahmen der
panamerikanischen Freihandelszone ALCA »prüfen«. Auch »Lula« hatte
mehrfach angekündigt, die
einseitig die USA begünstigenden Abmachungen des ALCA-Vertrages durch
den Zusammenschluß
mehrerer lateinamerikanischer Länder in den Verhandlungen zu revidieren.
In Lateinamerika wurde der Wahlsieg Gutiérrez an vielen Orten begrüßt.
Der linke
Oppositionspolitiker Luis Zamora aus Argentinien wertete den Triumph
Gutiérrez’ als Teil eines
Prozesses des Wandels in Lateinamerika: Die Bevölkerung stelle das
herrschende ökonomische
Modell und die überkommenen politischen Regimes immer mehr in Frage.
Aus: junge Welt, 26. November 2002
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