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"Ecuadors Neugründung braucht einen langen Atem"

Alberto Acosta über die Schwierigkeiten im Verfassungskonvent

Alberto Acosta, geb. 1948, war bis vor kurzem Präsident der verfassunggebenden Nationalversammlung in Ecuador. Acosta studierte Ökonomie und Geografie (u.a. an der Universität Köln). Das folgende Interview erschien in der Tageszeitung "Neues Deutschland."



Herr Acosta, Präsident Rafael Correa hat nach Ihrem Rücktritt gesagt, niemand sei unentbehrlich. Heißt das, der Bruch zwischen Ihnen ist jetzt definitiv?

Nein, das ist ganz meine Meinung. Soziale Prozesse werden ja nicht von Individuen gemacht, sondern von der Bevölkerung. Da ist wirklich niemand unentbehrlich.

Ist der Verfassungsprozess jetzt in Gefahr?

Nein. Unser Projekt geht ja über die Verabschiedung der Verfassung hinaus, auch über das anschließende Referendum. Die eigentliche Herausforderung liegt in seiner Umsetzung. Es geht auch über die Regierung Correa hinaus, dafür braucht man einen langen Atem.

Was für ein Grundgesetz kommt jetzt dabei heraus?

Es wird eine fortschrittliche Verfassung, die Ecuador verändern kann und die uns Mut macht, weiterzukämpfen.

Was ist für Sie das Wichtigste daran?

Die Rechte für die Natur, das ist wirklich etwas ganz Neues. Für uns wird die Natur jetzt ein Rechtssubjekt. Im 20. Jahrhundert waren die Kämpfe um soziale Gerechtigkeit zentral, im 21. Jahrhundert wird die ökologische Gerechtigkeit die Basis für den Wandel.

Was heißt das konkret?

Die westliche Gesellschaft betrachtet die Natur nicht als Ganzes, sondern vor allem als Ressourcen, die ausgebeutet, verkauft oder gekauft werden müssen. Eine ähnliche Haltung gab es vor nicht allzu langer Zeit zu den Sklaven. Wir müssen das ändern, bevor es zu spät ist.

Passend dazu hat der deutsche Bundestag jüngst einstimmig den Vorschlag Ecuadors unterstützt, auf die Erdölförderung in einem Teil Amazoniens zu verzichten, wenn die internationale Gemeinschaft im Gegenzug die Hälfte dieser Einkünfte aufkommt. Wie ist das in Ecuador angekommen?

Das war eine fantastische Nachricht! Ich habe sie gleich am nächsten Tag im Plenum bekannt gegeben. Damit reiht sich Deutschland in ähnliche Initiativen aus Spanien oder den USA ein.

Wie haben eigentlich die Spannungen mit Kolumbien die Verfassungsdebatte beeinflusst?

Durch die Drohungen der autoritären Uribe-Regierung waren wir gezwungen, eine klare Position zur Verteidigung unserer Souveränität zu beziehen. Zufällig erklärte der Konvent an dem Tag, als die kolumbianische Regierung Ecuador angreifen ließ, unser Land zum Friedensterritorium, das frei ist von ausländischen Truppen. Daher versuchen wir alles, dass die US-Militärbasis in Manta nächstes Jahr geschlossen wird.

Was halten Sie von der Entscheidung des Präsidenten, die Verfassung bis zum 26. Juli zu verabschieden, um im anschließenden Referendum größere Chancen zu haben?

Unter kurzfristigen politischen Gesichtspunkten hat er sicher Recht. Aber es kommt doch darauf an, was mittel- und langfristig passiert.

Die Popularität der Regierung sinkt wieder, vor allem wegen der hohen Inflation. Wird es somit schwer, das Referendum zu gewinnen?

Die Kampagne steht ja noch bevor, das ist völlig offen.

Sind Sie enttäuscht darüber, dass Ihre Art, Politik zu machen, nicht den erhofften Erfolg gehabt hat?

Meine Art, Politik zu machen, ändere ich nicht. Über meine Prinzipien, sei es als Konventspräsident oder als Abgeordneter, verhandle ich nicht.

Was war Ihr größter Fehler in den letzten sieben Monaten?

Ach, das waren viele ... Der größte war wohl tatsächlich, dass der Zeitplan aus dem Ruder gelaufen ist, eben weil es ein demokratischer, ein partizipativer Prozess war. Wir haben versucht, absolut nichts mit Gewalt durchzudrücken.

Sehen Sie sich in den nächsten Jahren noch als Teil der »Bürgerrevolution«?

Das ist eine lange Zeit. Aber vorläufig bleibe ich dabei, ich bin Teil dieses Projekts. Niemand hat die Eigentumsrechte daran, es gibt auch keine unangefochtene Führungspersönlichkeit.

Was könnte dem Reformprojekt den Garaus bereiten?

Autoritäre Praktiken. Das wäre tatsächlich das Ende. Die Demokratie verlangt viel Respekt für die anderen. Ohne Opposition gibt es keine Demokratie. Ein echter Revolutionär muss zuerst einmal ein guter Demokrat sein.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Juli 2008


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