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Streit um Ecuadors neue Verfassung

Konventspräsident Acosta tritt zurück und bemängelt Zeitdruck

Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *

Die Auseinandersetzungen um die neue ecuadorianische Verfassung haben sich verschärft. Alberto Acosta, der wichtigste Verbündete und zugleich das profilierteste Gegengewicht von Präsident Rafael Correa, trat am Montag von seinem Amt als Präsident des Verfassungskonvents zurück.

Der Terminplan steht: Das neue Grundgesetz von Ecuador soll bis zum 26. Juli verabschiedet werden. Dieser Termindruck hat den Präsidenten des Verfassungskonvents, Albert Acosta dazu bewogen, sein Amt niederzulegen. Hintergrund sind die Differenzen zwischen Präsident Rafael Correa und Acosta über die Ausarbeitung der Verfassung. Er wende sich dagegen, die Debatte und die Qualität des Textes dem Zeitdruck zu opfern, sagte Acosta in Montecristi, wo der Konvent seit November 2007 tagt. »Damals sagte ich und jetzt wiederhole ich mit tiefster Überzeugung: Geschichte wird von den Völkern gemacht und nicht von Einzelpersonen in isolierter Form«.

Eigentlich hatte Acosta die Gründe für seinen Rücktritt vor dem Plenum erläutern wollen, doch stattdessen zog sich seine Fraktion Acuerdo PAIS (»Abkommen für ein stolzes und unabhängiges Vaterland«) zu einer Klausurtagung in der nahegelegenen Hafenstadt Manta zurück. Daraufhin berief Acosta eine Pressekonferenz ein, bei der ihn seine Frau und Abgeordnete der regierungskritischen Mitte-Links-Parteien begleiteten.

»Unsere Bürgerrevolution wird nicht mit einem Anführer möglich, sondern nur durch die aktive Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten«, sagte Acosta und bezeichnete den Verfassungsprozess als historischen Einschnitt: »Vorher galten die Gesetze einiger weniger als Begründung einer Ordnung, um die Privilegien weniger zu sichern.« Jetzt hingegen werde gemeinsam ein »neues Entwicklungsmodell« entwickelt, »ein kreatives, harmonisches, friedliches Lebensprojekt, das in Ecuador und auf der ganzen Welt nötig ist«.

Staatschef Correa hingegen drängt bereits von Anfang an auf eine rasche Verabschiedung des Textes und bezeichnete Acosta mehrmals und nur halb im Scherz als »zu demokratisch«. Als ursprünglicher Termin für die Verabschiedung war der 24. Mai vorgesehen. Die AP-Parteispitze hat sich nun ebenfalls für den 26. Juli ausgesprochen. »Indem sie mir ihre Unterstützung entzogen, haben sie mich gebeten, einer anderen Führungsgruppe (im Konvent) Platz zu machen«, sagte Acosta. Er beuge sich dieser Entscheidung und wolle nun als einfacher Abgeordneter weitermachen.

Rückendeckung erhielt er von der indigenen Bewegung und der unabhängigen Linken. Allerdings bedauerte Indígena-Sprecher Humberto Cholango den Rücktritt. Verantwortlich seien dafür der »Druck kleiner Gruppen« und die »Intoleranz jener, die nichts verändern wollen«. Eduardo Delgado von der Partei »Demokratischer Pol« befürchtet einen »Rechtsruck innerhalb der Regierung«.

Ähnlich wie Hugo Chávez in Venezuela und Evo Morales in Bolivien versuchen Acosta und Correa, den angestrebten Systemwechsel weg vom Neoliberalismus auch durch eine neue Verfassung zu bewerkstelligen. Nach dem Referendum über den Verfassungstext, das nun im Herbst stattfinden dürfte, plant die Regierung Neuwahlen. Umfragen zufolge wächst die Unzufriedenheit in der Bevölkerung, vor allem wegen der hohen Inflation bei Lebensmitteln.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Juni 2008


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