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Ölförderung in Ecuador: Am Oberlauf des Río Napo

Von Gerhard Dilger, Río Napo *

Gebt uns Geld, und wir lassen einen Teil des Erdöls im Yasuní-Nationalpark im Boden, sagt die Regierung den westlichen Staaten. Doch noch ist unklar, wie ernst es ihr damit wirklich ist.

Rosarote Delfine tollen in der Mitte des Flusses, kreischende Affen springen durch das Geäst der Urwaldriesen, die am Ufer stehen. Papageienschwärme ziehen über den Himmel, bei Einbruch der Dunkelheit schwillt das Vogelkonzert an. Hier, im ecuadorianischen Amazonasgebiet unmittelbar an der Grenze zu Peru, zeigt sich der Regenwald von seiner faszinierendsten Seite.

80 Fledermausarten, 188 verschiedene Amphibien und Reptilien sowie 567 Vogelarten haben Wissenschaftler­Innen im hiesigen Yasuní-Nationalpark identifiziert, der als eines der artenreichsten Gebiete der Erde gilt. Es ist der traditionelle Lebensraum der Huao­rani-Indígenas sowie der Tagaeri und der Taromenane, zweier Urvölker, die den Weissen aus dem Weg gehen.

«Dschungel statt Öl»

Seit knapp drei Jahren macht eine von Umweltgruppen entwickelte Idee unter dem Motto «Dschungel statt Öl» Furore: Erdöl, das im östlichen Teil des Yasuní-Nationalparks lagert, im Ishpingo-Tambococha-Tiputini-Korridor (ITT), soll nicht gefördert werden, sondern im Boden bleiben. Es geht um knapp 850 Millionen Barrel (1 Barrel = zirka 159 Liter), ein Fünftel der landesweiten Ölreserven. Im Gegenzug soll die internationale Staatengemeinschaft zwanzig Jahre lang die Hälfte der dem Land durch den Förderverzicht entgangenen Deviseneinkünfte aufbringen: 350 Millionen US-Dollar im Jahr.

Im Juni 2007 erklärte Ecuadors Präsident Rafael Correa diese sogenannte Yasuní-ITT-Initiative zum Regierungsprojekt. Im weiteren Verlauf versuchte die Regierung, Zahlungszusagen von westlichen Staaten zu erhalten. Die deutsche Bundesregierung erklärte sich im Juli 2009 bereit, 75 Millionen Dollar jährlich zu leisten. Auch aus der Schweiz, Spanien, Belgien, Britannien und Schweden gab es ein positives Echo. Die Mittel sollen in einen bei der Uno angesiedelten Treuhandfonds eingezahlt werden. Mit dem Geld würden dann etwa Naturschutzgebiete erhalten, gerodete Wälder wieder aufgefors­tet sowie Energiesparprogramme und Sozialprojekte lanciert. Allerdings wird derzeit in Ecuador wieder heftig um das Projekt gerungen (vgl. Text unten «Staatspräsident Rafael Correa krebst zurück»).

«Heute geht alles nach der Uhr»

Was halten die Menschen in der Amazonasregion vom Vorhaben? Eine von der Umweltorganisation Acción Ecológica organisierte Bootsfahrt auf dem Amazonasnebenfluss Napo soll Aufschluss geben. Von Coca, der Hauptstadt der Urwaldprovinz Orellana, geht es rund 250 Kilometer flussabwärts nach Osten bis Nuevo Rocafuerte kurz vor der peruanischen Grenze. An den engsten Stellen ist der Napo einen hal­ben Kilometer breit.

Schon bald nach unserer Abfahrt schiessen linker Hand hinter den Bäumen zwei Flammen in den Himmel. Es ist der Beginn des Ölfelds Sacha. Früher wurde es vom US-Konzern Texaco betrieben, nun soll ein Joint Venture zwischen dem Staatsbetrieb Petroecuador und seinem venezolanischen Pendant PDVSA die Tagesproduktion von 48000 auf 70000 Barrel steigern.

Auf der weiteren Fahrt ziehen immer mehr Fähren vorbei. Sie bringen Lastwagen, Kräne und dicke Betonrohre zu den Ölfeldern. Wir sind im Fördergebiet Block 15, das von der zu Petro­ecuador gehörenden Aktiengesellschaft Petro­amazonas gemanagt wird. Unmittelbar neben der Ölhafenanlage Itaya leben 120 Kichwa-Indígenas vom Kakao-, Kaffee- und Maisanbau. Ein paar Kinder spielen auf dem Fussballplatz. «Hier verseuchen achtzehn Bohrlöcher das Wasser», sagt Daniel Tangüela, der hier wohnt. «Fische gibt es kaum noch, der ständige Lärm vertreibt die wilden Tiere.» Dennoch trauert er dem früheren Betreiber des Fördergebiets, dem US-Konzern Occidental Petroleum, nach: «Die haben wenigstens die Verträge eingehalten, uns als Bootsfahrer beschäftigt und unsere Schule unterstützt.»

Auch im Dorf Pañacocha, eine weitere Stunde flussabwärts, ist die Stimmung gedämpft. «Petroamazonas kauft uns nicht einmal unser Obst und Gemüse ab», sagt Dorfvorsteher Nelson Rivadeneira, «alles lassen sie von aussen herbringen.» Heute sei die Umweltverschmutzung nicht mehr so offensichtlich wie in den achtziger Jahren, als Texaco am Oberlauf des Napo und seinen Nebenflüssen wütete: «Damals war der ganze Fluss mit einer fünf Zentimeter dicken, schwarzen Ölschicht bedeckt. Viele sind an Krebs gestorben.»

«Die Ölfirmen haben uns gespalten», sagt Rivadeneira. «Nie reden sie mit allen zusammen, sie greifen sich einzelne Leute oder Gruppen heraus und machen Versprechungen. Den Reichtum schaffen sie weg, die Armut bleibt.» Lebensweise und Kultur der Kichwa und der mestizischen Siedler, die sich vor Jahrzehnten am Napo niederliessen, hätten sich radikal gewandelt. «Wir waren Bauern, die sich gegenseitig ausgeholfen haben. Heute geht alles nur noch gegen Bezahlung», bedauert Rivadeneira. «Früher wussten wir nicht, was Zeit ist, heute geht alles nach der Uhr. Kleidung, Ess- und Trinkgewohnheiten, Sprache, alles ist heute anders. Unsere Kinder schämen sich, Kichwa zu sprechen.»

Rivadeneira beruft sich auf das Prinzip des «guten Lebens», das in Ecuadors neuer Verfassung verankert ist: «Gesundheit, gutes Essen, Ruhe, das müssen wir zurückgewinnen.» Auch deswegen begrüsst er die Yasuní-ITT-Initiative. Allerdings fragt er: «Was haben wir davon? Wir brauchen auch mehr Know-how für die Verarbeitung unseres Ka­kaos und der Hühner - und bessere Absatzmärkte. Und die von anderen Staaten einbezahlten Gelder müssen gerecht und transparent verwaltet werden.»

Die Bevölkerung in der Umgebung des Nationalparks wurde bislang kaum über die Yasuní-ITT-Initiative informiert. Selbst in den Gemeinschaften, die direkt an den noch unberührten Teil des Nationalparks angrenzen, kennt man das Projekt nur vom Hörensagen, wie Franklin Cox, Bürgermeister der Kommune Aguarico, sagt. Wie sich die finanzielle Situation der Gemeinde, die im Ölfördergebiet Block 31 liegt, ändern würde, weiss er nicht. Über die jetzigen Verhältnisse ist er jedoch nicht glücklich: «Unsere Kommune finanziert sich ausschliesslich durch die Steuerabgaben der Ölfirmen», sagt er. «Doch immer mehr dieses Geldes bleibt in der Hauptstadt Quito hängen: 2007 bekamen wir 1,4 Millionen Dollar, die beiden darauffolgenden Jahre nur noch die Hälfte, und für 2010 ist noch alles offen.» Die Verbindung der Gemeinde mit dem Ölabbau ist so eng, dass ein Bohrturm ihr Wappen ziert. Auf dem Gebiet der weitläufigen und dünnbesiedelten Kommune ist auch der spanische Konzern Repsol aktiv. Wegen der Verseuchung einer acht Hektar grossen Fläche im Yasuní-Park hat Cox den Multi auf 3,1 Millionen Schadensersatz verklagt.

Vierzig Cent pro Hektar

In der Förderzone Block 31, die an das ITT-Gebiet grenzt, will Petroamazonas mit Dynamit nach Öl suchen. «Doch mit mir reden die nicht, sondern nur direkt mit den Leuten vor Ort. Sie bieten ihnen vierzig Cent pro Hektar, das ist absurd», sagt Bürgermeister Cox. «Natürlich bin ich dafür, das Öl im Boden zu lassen - wenn wir einen Teil der Entschädigungszahlungen für echte lokale Entwicklung bekommen. Der Yasuní könnte eine wunderbare Touristen­attraktion werden.» Schon jetzt träumt er von Trinkwassersystemen und einem Flugplatz. Die Umweltorganisation Acción Ecológica fordert, dass auch im Block 31 kein Öl mehr gefördert wird.

Auch im verschlafenen Grenzort Nuevo Rocafuerte mit seinen 600 EinwohnerInnen weiss man wenig vom ITT-Projekt. Und das, obwohl Vizepräsident Lenín Moreno hier geboren wurde und auch schon zweimal selbst vorbeigekommen ist, wie Blanca Acero erzählt. Sie selbst betreibt ein kleines Hotel und sagt: «Unser Dorf lebt vom Tourismus, wie schön wäre es, wenn es dabei bliebe!» Spanische Jesuiten haben das bes­te Krankenhaus weit und breit aufgebaut, die Strandpromenade ist gepflas­tert. Doch die Ladenbesitzerin Tomasa Guillín schimpft: «Es gibt keine Arbeit für meine Kinder, die Regierung hat uns im Stich gelassen.»

Staatspräsident Rafael Correa krebst zurück

Ecuadors Vorzeigeprojekt gegen den Klimawandel, der Verzicht der Ölförderung im Ishpingo-Tambococha-Tipu­tini-Korridor (ITT) des Yasuní-Nationalparks, steht auf der Kippe. Verantwortlich dafür ist der linke Staatspräsident Rafael Correa. Am 9. Januar zog er vehement gegen den von seinen UnterhändlerInnen und möglichen GeldgeberInnen ausgehandelten Vertrag zu Felde. Ecuador soll dafür, dass es sein Öl im Boden lässt, finanziell entschädigt werden. Doch die Auflagen der westlichen Staaten passen Correa nicht: «Wir sind es satt, als Kolonie behandelt zu werden», sagte er in seiner allwöchentlichen Rundfunkansprache. «Das Einfachste für uns wäre es, dieses Öl zu fördern.» Das würde dem Staat sechs Milliarden Dollar in die Kasse spülen. Correa störte sich vor allem dar­an, dass die Entschädigungsgelder von einem Treuhandfonds unter dem Dach des Uno-Entwicklungsprogramms verwaltet werden sollen. Dort hätten die Geldgeber die Mehrheit. Sie könnten so bestimmen, wo investiert wird.

Für die ecuadorianischen UnterhändlerInnen, die 2009 engagiert für das Projekt geworben und von zwanzig Staaten Interesse signalisiert bekommen hatten, war Correas Ansprache eine schallende Ohrfeige. Sie traten alle zurück - inklusive Aussenminister Fander Falconí. Den Treuhandfonds bezeichnet Falconí gegenüber der WOZ als «solides Instrument, das den Geldgebern Sicherheit gibt». Und er betont: «Wir haben immer klargemacht, dass dabei die Souveränität des Landes gewahrt bleiben muss.»

Der Ökonom Alberto Acosta, der 2007 als Energieminister den Staatschef dazu bewegt hatte, den innovativen Klimavorschlag zu lancieren (siehe WOZ Nr. 21/07), sieht in Correas nationalistischer Rhetorik denn auch ein Ablenkungsmanöver. Er vermutet, der Präsident schiele jetzt doch auf die Erdöleinnahmen. In der Tat hat die Regierung im letzten Jahr die Pläne zur Ölförderung vorangetrieben. Das Öl aus dem ITT-Gebiet könnte in derjenigen Raffinerie verarbeitet werden, die in Kooperation mit Venezuela am Pazifik gebaut werden soll. Allerdings haben die jüngsten Diskussionen die Yasuní-ITT-Initiative in Ecuador erst richtig bekannt gemacht - und den Präsidenten in die Defensive gedrängt. Correa kündigte inzwischen an, die Verhandlungen würden weitergeführt.

«Es geht um den Kern der Bürger­revolution», sagt Fander Falconí, «jedes Projekt des Wandels muss von der Umwelt ausgehen.» Mit dieser Position steht er nicht alleine: Einer neuen Umfrage zufolge möchten 68 Prozent der EcuadorianerInnen über die Ölförderung im ITT-Gebiet per Referendum abstimmen. Eine deutliche Mehrheit lehnt sie ab.



* Aus: Schweizer Wochenzeitung, 11. Februar 2010


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