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Ecuador: Correas Anhänger tanzten auf den Straßen

Es zeichnet sich eine große Mehrheit für eine verfassunggebende Versammlung ab - Chávez gratuliert als Erster

Am 15. April fand in Ecuador ein Plebiszit statt, in dem es um die Frage ging, ob eine Verfassung gebende Versammlung einberufen werden soll oder nicht. Der amtierende Präsident Correa will mit einer neuen Verfassung, die in der Bevölkerung breit diskutiert werden soll, den Staat Ecuador gleichsam neu gründen und ihm einen anderen Entwicklungsweg ermöglichen.
Im Folgenden berichten wir über das zu erwartende Ergebnis der Abstimmung und dokumentieren einen Artikel, der vor der Abstimmung geschrieben wurde und in dem die Hintergründe des Plebiszits dargelegt werden.



Ecuador: Offenbar Mehrheit für verfassunggebende Versammlung

Beim Volksentscheid in Ecuador kann der linksgerichtete Präsident Rafael Correa mit einem klaren Ja zu der von ihm angestrebten verfassunggebenden Versammlung rechnen. Absehbar ist damit eine Stärkung seines Projekts für einen "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" auf Kosten des von der rechten Opposition beherrschten Parlaments. Laut Nachwahlbefragungen (exit polls) im Anschluss an die Schließung der Wahllokale am Sonntagabend (Ortszeit) stimmten gut 78 Prozent für die Einberufung der Verfassungsversammlung, wie das private Umfrageinstitut Cedatos-Gallup mitteilte.

Laut Cedatos-Gallup votierten 11,5 Prozent gegen die Einberufung der Versammlung, die eine neue Verfassung für Ecuador ausarbeiten soll. Fast 10,5 Prozent wählten demnach ungültig oder gaben leere Stimmzettel ab. Die Fehlerquote gab das Institut mit zwei Prozent an. Nach Angaben des Obersten Wahlgerichts (TSE) ist mit dem amtlichen Ergebnis des Referendums erst in einer Woche zu rechnen.

Correas Anhänger und die Unterstützer einer verfassunggebenden Versammlung feierten in den Straßen. Der frühere Wirtschaftsminister Correa amtiert erst seit drei Monaten als Staatschef. Er hat grundlegende demokratische Reformen sowie eine Beendigung des neoliberalen Wirtschafssystems angekündigt. In einer Rede in der Stadt Guayaquil im Südwesten des Andenlandes bezeichnete er die Zustimmung zur verfassunggebenden Versammlung als Sieg für Ecuador.

Correa kündigte zugleich die Ausweisung des Weltbank-Vertreters aus Ecuador wegen "Erpressung" an, ohne ihn namentlich zu nennen. 2005, als er unter Präsident Alfredo Palacio Wirtschaftsminister war, habe der Repräsentant der Weltbank in Quito einen bereits zugesagten Kredit in Höhe von 100 Millionen Dollar ohne Erklärungen zurückgehalten, sagte Correa. Die Ermittlungen in dieser Angelegenheit, die mit Maßnamen im Erdölsektor zusammenhingen, gingen weiter.

Die Warnung der Kritiker

Die Wähler in Ecuador haben dem linksnationalistischen Präsidenten Rafael Correa den Weg für eine Verfassungsänderung freigemacht, mit der die Rechte der Parteien im Parlament beschnitten werden sollen.
Kritiker warnen, die Politik des im vergangenen November gewählten Präsidenten ähnele zunehmend dem autoritären Regierungsstil des venezolanischen Staatschefs Hugo Chavez.
Aus einer Meldung von AP, 16. April 2007



Bereits am 14. April hatte Correa der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Interamerikanischen Entwicklungsbank (BID) vorgeworfen, mit Unterstützung der USA auf dem Rücken der Beschäftigten Privatisierungen in Ecuador vorangetrieben zu haben. Bei dem derzeitigen Repräsentanten der Weltbank in Ecuador handelt es sich um Eduardo Somensatto. Ecuador ist Südamerikas fünftgrößter Erdölproduzent.

Venezuelas linksnationalistischer Präsident Hugo Chávez gratulierte Correa. So schreite Lateinamerika voran, "von Sieg zu Sieg, von Triumph zu Triumph", sagte Chávez. Rund 9,2 Millionen Stimmberechtigte waren zu dem Referendum aufgerufen. Sollte sich die erforderliche Mehrheit für die Einberufung der verfassunggebenden Versammlung bestätigen, sollen die Ecuadorianer zwischen Oktober und November deren 130 Mitglieder wählen. Diese sollen die neue Verfassung ausarbeiten.

Quelle: AFP, AP, 16. April 2007



Correa setzt alles auf eine Karte

Ecuadors Präsident verknüpft Amtsverbleib mit Ergebnis eines Plebiszits

Von Tommy Ramm, Bogotá *

Bei dem am Sonntag (15. April) anstehenden Referendum über eine verfassunggebende Versammlung steht für Ecuadors Präsident Rafael Correa viel auf dem Spiel. Im Falle einer mangelnden Zustimmung hat er seinen Rücktritt in Aussicht gestellt.

Die Ansage ist deutlich: Falls ihm die Bevölkerung die Zustimmung zu diesem Projekt für die Lösung der sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Andenstaats verweigere, werde er »wieder nach Hause gehen«, kündigte der frühere Wirtschaftsminister und jetzige Präsident Ecuadors, Rafael Correa, an. Das Projekt ist die verfassunggebende Versammlung, mit der Ecuadors Präsident ähnlich wie Venezuelas Präsident Hugo Chávez oder Boliviens Oberhaupt Evo Morales den Staat quasi neu gründen möchte. Der erste Schritt dahin ist die Volksabstimmung an diesem Sonntag in Ecuador, die über die Einsetzung einer verfassunggebenden Versammlung Auskunft entscheiden soll.

Die Aussichten für ein Anhalten des politischen Höhenflugs von Correa stehen indes gut. Auch wenn Umfragen offiziell verboten sind, sagen nahezu alle den Befürwortern einer verfassunggebenden Versammlung eine deutliche Mehrheit von über 60 Prozent unter den neun Millionen zur Stimmabgabe aufgerufenen Ecuadorianern voraus.

Damit die verfassunggebende Versammlung Rechtswirksamkeit erlangt, müssen die Ja-Stimmen bei dem Referendum jedoch alle anderen Stimmzettel zahlenmäßig übertreffen, also neben Nein- Stimmen auch ungültige sowie nicht angekreuzte Stimmzettel, die in der Vergangenheit einen großen Umfang hatten. Deshalb warf sich Correa trotz der guten Umfragewerte in den letzten Wochen ins Zeug, um bei den Menschen für eine verfassunggebende Versammlung Überzeugungsarbeit zu leisten. Zahlreiche Fernsehauftritte sollten die Idee des Referendums näherbringen, der Medienrummel glich einer Präsidentschaftswahl.

Correa zeigte in den letzten Wochen mehrfach, dass er Krisen gewachsen ist und aus diesen politischen Profit schlagen kann. Den wohl größten Durchbruch erreichte er im Machtkampf mit dem oppositionell geführten Kongress, der nach der Absetzung von mehr als der Hälfte der Abgeordneten den letzten Monat über praktisch geschlossen blieb. Die Politiker verloren ihre Sitze, nachdem sie gesetzeswidrig den Präsidenten des Obersten Wahlgerichts absetzten, um Correa den Weg zu einer neuen Verfassung zu erschweren. Erst mit der Benennung von 20 neuen Abgeordneten, die der sturen Oppositionsrolle ihrer Parteien abschworen, wendete sich das Blatt. Am 11. April konnte im Kongress erstmals wieder nach wochenlanger Pause eine ordnungsgemäße Sitzung abgehalten werden.

Den Schwung seines Erfolges nutzend, knöpfte sich Correa den Bankensektor vor, der in den nächsten Wochen genaueren Prüfungen unterzogen werden soll. »Die Banken werden in Zukunft nie mehr in die Position kommen, den Staat brechen zu können«, so Correa. Die anscheinende Zahlungsunfähigkeit vieler Geldinstitute führte 1999 zur Bankrotterklärung des Landes und zur späteren Einführung des US-Dollar als offizielle Landeswährung. Correa will zwar an der USAWährung festhalten, doch die Rahmenpolitik des Landes soll künftig sozialer ausgerichtet sein und der Staat Kontrolle zurückgewinnen. Mit dem morgigen Referendum und einer möglichen neuen Verfassung dürfte Correa diesem Ziel ein großes Stück näher kommen.

* Aus: Neues Deutschland, 14. April 2007


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