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Ecuadors Bürgerrevolution ist eine Gratwanderung

Präsident Rafael Correa muss an verschiedenen Fronten die Feuer löschen, die er selbst entfacht hat

Von Miriam Lang *

Ecuadors »Bürgerrevolution« feierte Mitte Januar ihr dreijähriges Bestehen. Die massive Beteiligung an den offiziellen Feierlichkeiten in der Andenstadt Ambato konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Jahrestag in einer für Rafael Correa schwierigen politischen Konjunktur stattfand. Er hat sich mit den verschiedensten politischen Lagern verfeindet, und die Mittelschicht läuft ihm davon. Hinzu kommen die regelmäßigen Stromsperren, die der Privatwirtschaft seit November schwere Verluste zugefügt haben und auch bei den normalen Bürgern für Unmut sorgen.

Ohne jeden Zweifel hat die Revolución Ciudadana die politische Landschaft Ecuadors seit ihrem Beginn 2006 gründlich in Bewegung gebracht. Die traditionellen politischen Parteien scheinen endgültig in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht zu sein, und mit ihnen ein Konzept von formaler Demokratie, in der die Bevölkerungsmehrheit nicht einmal repräsentiert war. Rafael Correa hatte eine Art Obama-Effekt ausgelöst: Er hat es bewirkt, dass die Leute wieder Hoffnung entwickelten, nicht nur auf eine Verbesserung ihrer persönlichen Lebenssituation, sondern auch Hoffnung auf einen tiefgreifenden politischen und gesellschaftlichen Wandel, an dem es sich zu beteiligen lohnte. Hoffnung darauf, dass das kleine Andenland nicht nur seine Souveränität behaupten, sondern gar international wahrgenommen werden könnte - zum Beispiel mit radikalen Vorschlägen zu einer eigenständigen südamerikanischen Finanzarchitektur oder mit dem Projekt, die in einem besonders schützenswerten Teil des amazonischen Regenwalds vermuteten Ölreserven bewusst nicht zu fördern, und statt- dessen für die ausgefallenen Einkünfte die Länder aus dem Norden ökonomisch mit in die Pflicht zu nehmen.

Ecuador mit neuem Selbstbewusstsein

Ecuador fand seinen Platz in einem von einer neuen Linken mehr und mehr übernommenen Kontinent und entwickelte in diesem Kontext eigenständige, interessante Visionen. Correa ist ein gebildeter Präsident, der auch den einfachen Leuten komplexe Sachverhalte in ihrer eigenen Sprache verständlich machen kann. Auf diesem neuen Selbstbewusstsein sollte die Nation neu gegründet werden, dafür wurde gegen den Widerstand der alten politischen und wirtschaftlichen Eliten eine neue Verfassung durchgesetzt, die im Herbst 2008 in Kraft trat.

Derzeit befindet sich das Land in der Phase, in der diese Verfassung Anwendung finden soll, in der sie in Gesetzen und politischer Praxis Fuss fassen müsste. Dabei treten jedoch strukturelle Unstimmigkeiten zutage, die die neue Charta Magna hinterlassen hat, und die politischen Widersprüche zwischen den Gründervätern von Alianza País vertiefen sich.

Vor allem im Bereich der Sozialpolitik hat die Bürgerrevolution durchaus positive Ergebnisse vorzuzeigen: Die staatlichen Investitionen im Bildungs- und Gesundheitssektor sowie im sozialen Wohnungsbau sind im Vergleich zu den vorherigen Regierungen sprunghaft gestiegen. Auch die Infrastruktur des Landes wurde merklich verbessert, Straßen, Brücken, Flughäfen errichtet, wo vorher kaum ein Durchkommen war. Der Staat vergibt Kredite zu günstigen Konditionen und verteilt in einem gewissen Maß auch Grund und Boden an die Bauern, wenn auch von einer grundlegenden Agrarreform nicht die Rede sein kann. Die Arbeitslosigkeit ist trotz der weltweiten Krise seit Januar 2007 nur um einen Prozentpunkt auf acht Prozent gestiegen - was Correa in seiner Festansprache als Erfolg wertete, im Vergleich zu elf Prozent in Chile und 14 Prozent in Kolumbien. Auch der Analphabetismus soll um drei Prozentpunkte zurückgegangen sein. Die gesamtwirtschaftliche Situation des Landes ist aufgrund der weltweiten Krise jedoch eher schlecht, die Mittelschicht verliert spürbar an Kaufkraft, und die offiziellen Armutsstatistiken stagnieren.

Bereits im Sommer hatte ein Skandal um Regierungsaufträge an die Firmen von Fabricio Correa, dem Bruder des Präsidenten, am integren Image des smarten Staatschefs gekratzt. Nun sind in nur zwei Monaten zusätzlich zur Energiekrise, die sich in den vor wenigen Wochen vorerst eingestellten täglichen Stromrationierungen manifestierte, zahlreiche weitere politische Krisenherde entstanden: Im Dezember brach die indigene Dachorganisation CONAIE die Verhandlungen mit der Regierung über Bergbau, interkulturelle Bildung, das neue Wassergesetz und den Status indigener Regierungsinstitutionen ab und kündigte für das Frühjahr neue Aufstände an. Im Januar mobilisierte nicht nur Jaime Nebot, der konservative Bürgermeister der Industriemetropole Guayaquil, zu Massenprotesten wegen Haushaltsstreitigkeiten zwischen der Zentralregierung und seiner Kommune; auch ein Flügel der Gewerkschaften wollte am liebsten in den Generalstreik treten, weil die Regierung traditionelle Errungenschaften der Arbeiterschaft angreift, wie zum Beispiel das 13. und 14. Monatsgehalt, die nun wieder auf die zwölf Gehaltsmonate verteilt werden sollen - der erste Schritt zu ihrer schleichenden Abschaffung, wie viele befürchten. Nun hat auch noch die Gattin des Generalstaatsanwalts, der eigentlich für eine moralisch erneuerte Justiz stehen sollte, eine junge Frau totgefahren und danach versucht zu flüchten - woraufhin von der Generalstaatsanwaltschaft alle klientelistischen Hebel in Bewegung gesetzt wurden, um ihr die anstehende Haftstrafe zu ersparen. Und schließlich hat Rafael Correa das internationale Vorzeigeprojekt seiner eigenen Regierung - die Nichtausbeutung des Erdöls im Yasuní-Nationalpark im Amazonasgebiet, als Abkehr vom auf Rohstoffexport basierenden Entwicklungsmodell - vor Kurzem eigenhändig auf Eis gelegt.

Modellprojekt Yasuní auf Eis gelegt

Anstatt auf dem Weltklimagipfel von Kopenhagen den UN-verwalteten Fonds ins Leben zu rufen, in den die Länder aus dem Norden ihr »Geld gegen Regenwald« hätten einzahlen sollen - und damit vor der Weltöffentlichkeit als Mann der Tat ins Sachen Klimaschutz gut dazustehen - pfiff er seinen Außenminister Fander Falconí in letzter Minute zurück und verhinderte so die Konkretisierung des Fonds. Wenige Wochen später verkündete er obendrein in seiner wöchentlichen Radioansprache, das von Falconí geführte Verhandlungsteam habe »beschämende Bedingungen« ausgehandelt, die gar die Souveränität Ecuadors in Frage stellten. Deshalb werde man spätestens im Juni mit der Ölförderung beginnen, wenn bis dahin nicht mindestens die Hälfte der geschätzten Öleinnahmen aus anderen Quellen eingegangen seien.

Kritiker vermuten hingegen, der Präsident habe dem Druck der mächtigen Ölkonzerne nachgegeben, die ein Gelingen der ökologischen Initiative unbedingt verhindern wollen. Im Yasuní-Gebiet werden mit 846 Millionen Barrel 20 Prozent der ecuadorianischen Ölreserven vermutet, wenn auch nicht besonders hochwertiger Qualität. Nichts an den Bedingungen für den Fonds sei beschämend gewesen, ja die Geber aus dem Norden hätten nicht einmal am Verhandlungstisch gesessen, hält Alberto Acosta dagegen, einer der geistigen Väter der Bürgerrevolution, den Correa anfangs zum Energieminister bestellte und der dann die Verfassunggebende Versammlung leitete. Man habe sich vielmehr mit der UN-Agentur UNDP auf die Mechanismen geeinigt, wie der zu schaffende Fonds verwaltet werden solle, und in dem entsprechenden Gremium habe Ecuador letztendlich die Mehrheit gehabt. Der Präsident habe mit seiner Wankelmütigkeit nun schon seit geraumer Zeit die konkrete Einrichtung des Fonds gebremst, in den die Gelder längst hätten fließen können - von denen er gleichzeitig immer wieder bemängelte, sie würden nicht in ausreichender Höhe bereitgestellt.

Gleichzeitig machte die Regierung nie öffentlich, wie viele Länder mit welchen Summen bereits Zusagen gemacht hatten - unter anderen die Bundesrepublik, Spanien, Belgien, etc. Laut Roque Sevilla, dem nun zurückgetretenen Vorsitzenden der entsprechenden ecuadorianischen Verhandlungskommission, gab es bereits Zusagen in Höhe von circa 49 Prozent der vereinbarten Gesamtsumme.

Sevilla erklärte auch, der plötzliche Kurswechsel von Correa sei auf Bedenken dessen juristischen Sekretärs, Alexis Mera, zurückzuführen. Von Alexis Mera wiederum ist bekannt, dass er auch schon juristischer Berater des rechtesten Präsidenten war, den die jüngere ecuadorianische Geschichte aufzuweisen hat: León Febres Cordero, dessen massive Menschenrechtsverletzungen während der 80er Jahre sogar die Einrichtung einer Wahrheitskommission in Ecuador im Jahr 2007 motiviert haben.

Alexis Mera ist eine der rechten Schlüsselfiguren in der weithin als links wahrgenommenen Regierung. Er, der als enger Vertrauter von Correa gilt, stand bereits im vergangenen Oktober im Kreuzfeuer der Kritik, als die Indigene Bewegung die Regierung nach einem Aufstand gegen das geplante Wassergesetz an den Verhandlungstisch gezwungen hatte. Damals hatte die Regierung Correa eine Reihe von runden Tischen zu Schlüsselthemen wie Bergbau, interkulturelle Schulbildung, Wasser und indigene Regierungsinstitutionen ins Leben gerufen. Es war das erste Mal seit seinem Amtsantritt, dass Correa von sozialen Protesten öffentlich zum Einlenken gezwungen wurde - insbesondere, weil bei den Demonstrationen im Amazonasgebiet ein indigener Lehrer zu Tode gekommen war.

Die ungestümen Äußerungen des Präsidenten im Zusammenhang mit dem ITT-Projekt führten nicht nur zum Rücktritt von Außenminister Fander Falconí und des gesamten ITT-Verhandlungsteams der Regierung unter Roque Sevilla, sondern auch zum endgültigen Bruch mit Alberto Acosta, der von der Zeitschrift »Vanguardia« als »das schlechte Gewissen des Regimes« bezeichnet wird, »das das ursprüngliche Programm von Alianza País inzwischen von der anderen Straßenseite aus betrachtet«. Mit Falconí und Acosta verliert Correa zwei seiner ergebensten und öffentlich angesehensten Mitstreiter aus dem linken Flügel von Alianza País. Auch wenn er in der Sache inzwischen halbherzig zurückgerudert ist und eine neue Verhandlungskommission für die Yasuní-Initiative geschaffen hat, dürfte die Glaubwürdigkeit Ecuadors im Hinblick auf die Umsetzung eines innovativen und nachhaltigen Entwicklungsmodells einen schweren Schlag erlitten haben.

Doch darüber hinaus stehen in Ecuador auch verschiedene Konzepte von Demokratie zur Debatte, was zu konstanten Spannungen zwischen Regierung und sozialen Bewegungen führt. Der Präsident geht davon aus, dass sieben Wahlerfolge in drei Jahren - davon zwei Referenden - ihn mit einer Art persönlicher Generalvollmacht ausgestattet haben. Kritiker kanzelt er entweder öffentlich ab oder entfernt sie aus ihren Ämtern - und von Kompromissen und einem ergebnisoffenen Dialog mit organisierten gesellschaftlichen Kräften hält er wenig. Anstatt einen lebendigen Austausch mit den sozialen Bewegungen zu suchen und in sozialen Organisationen legitime Verhandlungspartner beim Aufbau eines neuen gesellschaftlichen Projekts zu sehen, wirft er Indigenen, Gewerkschaften und anderen legitimen Interessengruppen vor, sie würden eine eigene Agenda verfolgen und hätten das Gemeinwohl nicht im Blick. CONAIE, Gewerkschaften und linke Intellektuelle fordern dagegen, ihr ehemaliger Hoffnungsträger möge endlich das Versprechen einer wahrhaft partizipativen Demokratie einlösen, in der gesellschaftliche Mitsprache auf allen Ebenen und auf verschiedene Arten stattfinden kann.

Correas Führungsstil missfällt einigen

Unterdessen denkt die politische Bewegung Alianza País darüber nach, wie sie sich in eine durchstrukturierte Partei umwandeln könnte. Im vergangenen Sommer wurden in einigen Landesteilen »Komitees zur Verteidigung der Revolution« nach kubanischem Vorbild gegründet, eine »Organisierung von Oben«, die bei vielen Ecuadorianern auf Ablehnung stieß. Generell lässt der Präsident wenig Zweifel daran, dass er den Bürgerinnen und Bürgern in seinem politischen Projekt wenig mehr Souveränität als die Rolle von Wählern zuweist. Zudem scheint die Regierung Correa die Strategie zu verfolgen, die historisch gewachsenen Organisationen der fortschrittlichen Zivilgesellschaft, die sie systematisch angreift und zu schwächen versucht, durch »linientreue« und auf Correas sehr personalistischen Führungsstil zugeschnittene Organisationen zu ersetzen, die dem politischen Projekt dann als gesellschaftliche Basis dienen könnten.

Noch sind dies nur Tendenzen - und es ist momentan schwer zu sagen, was die nächsten Monate Ecuador bringen werden. Die Regierung ist sich offenbar bewusst darüber, dass der Boden, auf dem sie steht, nicht mehr allzu stabil ist. Sie versucht, an manchen Fronten zu beschwichtigen. So wurden zum Beispiel hinter verschlossenen Türen Zugeständnisse an die Indígenas gemacht, so dass diese vorerst von Mobilisierungen absehen wollen. Delfin Tenesaca, der neugewählte Sprecher der Indigenen aus dem Hochland, bringt auf den Punkt, was auch viele Linke denken: »Wir wollen nicht, dass Correa abtritt, aber wir wollen, dass er seinen Regierungsstil ändert.«

Manch einer geht auch davon aus, dass Rafael Correa der vertrackten Situation am liebsten durch einen neuen Wahlkampf entgehen will - er selbst erwähnte bereits die Möglichkeit, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen einzuleiten, oder ein Referendum zum Yasuní-Projekt durchzuführen - das würde die Öffentlichkeit von den Mühen der Ebene ablenken und Correa stünde wieder auf der Bühne, auf der er am besten glänzen kann.

* Die Autorin ist Leiterin des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Quito.

Aus: Neues Deutschland, 12. Februar 2010



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