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Geschäftsträume am Golf

In Dubai suchen deutsche Unternehmer ihr Paradies: niedrige Steuern, billige Arbeitskräfte, schnelle Gewinne, keine Gewerkschaften

Von Heike Baldauf *

Dank der stark gestiegenen Ölpreise schwimmt Dubai in Geld. Auch deutsche Unternehmen zieht es deshalb an den Persischen Golf. Banken und Versicherungskonzerne sind bereits vor Ort. Und auch Mittelständler hoffen auf gute Geschäfte.

Nach sechs Stunden Nachtflug drücken sich Gäste der Emirates Airlines an den Bordfenstern die Nasen platt. Unter ihnen glitzert, flach wie auf dem Reißbrett, das Ziel ihrer Hoffnungen: Dubai, die Stadt der Gigantomanie, der Millionäre, des Geldes. Was folgt, sind zwei Stunden Wartezeit auf den Bus, der im Stau steckt, und weitere 60 Minuten bis zum Hotel. Zeit, darüber nachzudenken, ob der Aufwand für jemand lohnt, der lange überlegt, ob er es sich überhaupt leisten kann, seine Firma drei Tage im Stich zu lassen.

Dörthe und Manfred Kopf aus Dessau haben darauf vorerst keine Antwort. Die Hersteller von Bodenbelägen folgten gemeinsam mit sechs Unternehmern aus Braunschweig, Bautzen und Dresden der Einladung des German Innovation Centre (GIC) nach Dubai. Die Firma von Geschäftsführer Kai Zuchold, 35, und Yassin Nasri, 41, erstreckt sich über 160 Quadratmeter Bürofläche in einem verglasten Turm am Creek, einem alten Meeresarm, der bis in die Innenstadt führt. Zuchold kommt aus Ostdeutschland, wo der Syrer Nasri einige seiner 16 Jahre in Deutschland verbrachte. Vor drei Jahren gründeten die Freunde die Plattform für den deutschen Mittelstand in der Golfregion.

Jetzt geben sie ihren Gästen – darunter zwei Ingenieure, ein Autohändler, ein Softwareentwickler, zwei Experten für Finanzmanagement – die erste Lektion in arabischer Geschäftskultur. »Die Deutschen haben hier einen guten Ruf«, erklärt Nasri. Deutsche seien gute Tüftler, gründlich, aber langsam. Ein Raunen geht durch die Runde. »Ja«, sagt Nasri gedehnt, »die Deutschen sind bienenfleißig, aber die Konkurrenz ist oft schneller. Man muss verdammt schnell sein, wenn man hier Geschäfte machen will.«

Das hat Brigitte Dietrich aus Braunschweig schon erfahren müssen. Die zierliche Frau mit dem einnehmenden Lächeln ist nicht zum ersten Mal am Golf. Sie handelt mit Immobilien. Mit Hilfe des GIC will sie Geschäftskontakte ausbauen. »Innerhalb von Stunden sind hier hunderte Appartements und Häuser eines Projektes verkauft«, erzählt sie. Doch die wenigsten Käufer ziehen selbst ein. Nach einem Jahr kann eine Immobilie das Doppelte oder Dreifache wert sein. Die Nachfrage nach Eigentumswohnungen und Büros ist groß, da warten satte Gewinne – vorausgesetzt, man kennt die richtigen Leute. Nicht zu vergessen, dass der Käufer gleichzeitig einen Aufenthaltsstatus erhält. »Erst seit 2006 dürfen Ausländer hier Boden besitzen«, erklärt Zuchold.

Gigantische Prestigeprojekte

Kontakte, Kontakte, Kontakte – vor allem darum geht es: Die richtigen Partner aus der Branche zu finden, sie von der eigenen Qualitätsarbeit zu überzeugen und schnell zu sein. Zuchold lächelt. Er weiß, wie einfach sich das sagt und wie schwer es praktisch sein kann. »Die Lehrjahre für uns waren hart«, sagt er. »Wer hier keinen Sitz hat, dem wird jegliche Kompetenz abgesprochen.« Je exquisiter die Adresse, desto besser. Die in der Mittagssonne schimmernden Twin Towers in der Nachbarschaft bedeutender Banken sind eine gute Visitenkarte für das GIC.

Was sich in Dubai tut, dafür gibt es keinen Maßstab. Innerhalb von nur drei Jahrzehnten hat sich das alte Dubai mit einem einst kleinen Hafen am arabischen Golf wie im Zeitraffer in die Zukunft katapultiert. Das Hotel Burj Al Arab in der Form eines aufgeblähtem Segels und mit ebensolchen Übernachtungspreisen war der Anfang einer langen Reihe spektakulärer Projekte von internationalen Investoren. Noch heute, acht Jahre nach der Eröffnung, entscheiden sich fast alle Redaktionen von Reisemagazinen und Reiseführern für das Burj Al Arab auf dem Titel, wenn ihr Thema das neue Zentrum der Erde ist – wie Dubai sich in der Eigenwerbung großspurig nennt.

Inzwischen machen sich im Reich von Scheich Mohammed bin Rashid Al Maktoum diverse aufsehenerregende, teils größenwahnsinnige Projekte Konkurrenz. Kürzlich verbreitet die Tageszeitung »Gulf News« die Nachricht, dass der im Bau befindliche Burj Dubai jetzt mit über 500 Metern höher ist als jedes andere Gebäude weltweit. Alle drei Tage wächst der Turm an der Bussines Bay um ein Stockwerk und mit ihm 500 weitere Wolkenkratzer gleichzeitig. Um die 1000 Meter soll der Burj Dubai am Ende hoch sein, doch schon laufen die Vorarbeiten für einen noch höheren Giganten, den Al Burj. Auf der Spielwiese der Architekten aus aller Welt gibt es künstliche Inseln in der Form einer Palme, künstliche Lagunen mit Hochhäusern, Hotels, Villen mit Pool, Yacht-Liegeplätzen, gekühlten Einkaufspassagen, Restaurants, Boutiquen.

Jeder vierte Kran dieser Erde dreht sich in Dubai. Bald auch dort, wo der Wüstenwind Sandkörner vor sich her treibt. Der schiefe Turm von Pisa, der Eiffelturm, das Taj Mahal, die Pyramiden von Gizeh entstehen hier neu – und zwar größer als im Original. Dazu Hotels und Wohnviertel, angebunden an siebenspurige Schnellstraßen. Am Meer steht ein mächtiges Edelhotel mit 1000 Zimmern und einem großzügigen Wasser-Themenpark. Atlantis, so der Name, ist ein Joint-Venture zwischen einem führenden Hotelbetreiber und der Regierung von Dubai. 650 Millionen US-Dollar fließen allein in die erste Entwicklungsphase.

»Dass astronomische Summen in derartige Projekte investiert werden, macht Sinn«, finden die Unternehmensberater Zuchold und Nasri. Der Scheich führe sein Emirat, dem irgendwann das Öl ausgehen wird, wie ein Unternehmen. »Es ist die Aufgabe einer Regierung, Möglichkeiten zu schaffen«, zitiert Zuchold den Milliarden schweren Herrscher über ein Volk von 130 000 Emiratis. Auf einen Einheimischen kommen acht bis neun Arbeitsimmigranten. »Seitdem die Frauenkirche in Dresden wieder aufgebaut wurde, strömen weit mehr Touristen in die Stadt als je zuvor«, sagt Zuchold. »Die Pyramiden in Ägypten zählen jedes Jahr um die vier Millionen Besucher im Jahr. Das hier hat denselben Effekt, es passiert jetzt schon.«

Mit Indien und Afrika vor der Haustür, China und Europa im Blick sei Dubai das Drehkreuz und der Handelsplatz für die Welt schlechthin. Die Vereinigten Arabischen Emirate mit der Hauptstadt Abu Dhabi sind für Deutschland der wichtigste arabische Handelspartner. Keine Einkommens- und Mehrwertsteuer, keine Gewerkschaften, das wird den Unternehmern aus Deutschland als Standortvorteil angepriesen. »Und was ist mit Ladenöffnungszeiten?« fragt einer aus der Runde. Das sei die kurioseste Frage seit langem, meint Nasri. Private Geschäfte haben so lange geöffnet, wie es sich für die Inhaber lohnt. Die meisten schließen nicht vor Mitternacht.

Arbeiter aus Asien stehen Schlange

Denn abends, nach Sonnenuntergang, lebt Dubai auf. Dabei stehen die Leute trotz mehrspuriger Autobahnen, die die Stadt wie ein Netz durchziehen, permanent im Stau. Jeder hat ein Auto. Zu dieser Zeit ein Taxi – davon gibt es Tausende – zu bekommen, ist ein Glückstreffer. Das öffentliche Bussystem scheint überlastet. Eine Metro, gerade im Bau, wird das Problem auch nicht lösen, meinen Einheimische. Denn wie überall auf der Welt seien die Menschen bequem und wollen bis vor die Haustür fahren. So sind die verstopften Straßen eine Hauptschwierigkeit für Pünktlichkeit gewohnte Geschäftsleute aus Europa. »Dazu kommt die große Hitze«, sagt Nasri. Jetzt, im Sommer, sinkt das Thermometer auch abends und morgens nicht unter 30 Grad. Klimaanlagen in Autos, öffentlichen Gebäuden, Hotels und Wohnungen laufen auf Hochtouren.

Auch auf den Baustellen stöhnen die Arbeiter unter der arabischen Sonne. Für sie ist eigentlich laut einer Verfügung der Regierung bei einer Mittagstemperatur von 44 Grad Feierabend. Doch immer wieder gibt es Unternehmen, die nicht so genau hinschauen. Und die sich die Arbeitskräfte aussuchen können aus einem Heer von Männern vor allem aus Indien und Pakistan. Für durchschnittlich 175 Dollar im Monat schuften die, fern von ihren Familien in der Heimat, zwischen Sand, Beton und Stahl. Unfälle und Selbstmorde, über die kaum einer spricht, sind an der Tagesordnung. Nur am Freitag, dem islamischen Sonntag, an dem die Muslime in die Moscheen gerufen werden, haben sie frei.

Die Geschäftsleute aus Deutschland sind überwältigt von den Eindrücken, vom Bauboom, von den Informationen. Der Firmenchef aus Bautzen meint: »Das muss ich erst mal setzen lassen und mich weiter im Internet schlau machen.« Bei den Kopfs aus Dessau sieht es etwas anders aus. Nach Gesprächen mit einem ortsansässigen Fußbodenverkäufer überlegen sie ernsthaft, ob sich ein Schritt nach Dubai lohnt. Darüber muss Brigitte Dietrich, die Immobilienhändlerin, nicht mehr groß nachdenken. Ihr Entschluss steht fest: Sie will sich hier niederlassen, geschäftlich wie privat.

Zwei aus der Gruppe, die beiden Finanzmanager, haben von dem Rummel um die Sehenswürdigkeiten nichts mitbekommen. Sie waren mit einem Vertreter des Herrschers in der Wüste. Was sie da gemacht haben? Einer der beiden lächelt: »Geschäftsgeheimnis.«

* Aus: Neues Deutschland, 31. Juli 2007


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