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Geehrter Erzmilitarist

"Zwiespältig" oder "schillernd"? Wie Schwaben sich ein Bild von Hindenburg machen wollen

Von Kurt Pätzold *

Ende November 2014 teilte die Stuttgarter Zeitung ihren Lesern mit, dass es im Lande Baden-Württemberg insgesamt 128 Straßen gebe, die auf Paul von Hindenburg (1847–1934) getauft wurden und bis heute so heißen. Anlass der Meldung war die Kunde, dass in Ludwigsburg sich Kräfte geregt hätten, die diesem Zustand in ihrer Gemeinde, wo der so benannte Straßenzug zentral gelegen 1,3 Kilometer misst, ein Ende setzen wollen. Es könnten also, schreibt der Redakteur, bald nur 127 sein. Wie das Land dann verglichen mit anderen Ländern der Bundesrepublik abschneiden könnte, bleibt ungesagt und natürlich auch unerwähnt, dass sich dieses Verhältnis besonders beim Vergleich mit den »neuen«, den ostdeutschen Bundesländern sehr ungünstig darstellen könnte.

Als Fürsprecher einer Umtaufe wurden der Vorsitzende des Fördervereins Synagogenplatz, der Landrat des Kreises Ludwigsburg, die stellvertretende Leiterin der Volkshochschule, die sich in dieser Straße befindet, namentlich genannt. Eine Stadträtin meint, man solle »über Hindenburg nachdenken«. Der Bürgermeister findet die Sache »nicht eindeutig«, und die CDU-Oberen sehen vor Ort »keinen Handlungsbedarf«.

Lügner von Graden

Nicht dass die Redaktion des landeshauptstädtischen Blattes in der Sache Partei ergriffen hätte. Sie lässt nach ihrer Meldung einen Befürworter und einen Gegner der Umbenennung zu Worte kommen. Der geschichtskundige oder -belehrte Leser mag dann entscheiden, wer ihn überzeugt. Nun sind die »Kontrahenten« beide der Meinung, dass es sich bei Hindenburg um eine »zwiespältige historische Figur (…) mit vielen Facetten« handelt. Der eine meint, dass die Biographie Hindenburgs jedoch so viele Flecken aufweist, dass er als Namengeber für die Straße doch nicht länger in Frage kommt, während der andere ihn als »eine schillernde Figur« bezeichnet und davor warnt, nun bei allen, denen man auf Straßenschildern begegnet, nach einem »Fleck auf der vermeintlich weißen Weste zu suchen«.

Wenn ein Mann Feldmarschall und über Jahre Chef der Obersten Heeresleitung, also der höchstgestellte Militär, in einem imperialistischen Krieg war, der das Deutsche Kaiserreich von einer Großmacht in eine Weltmacht verwandeln sollte, dann könnte das allein Grund genug sein, jede öffentliche Ehrung für ihn in einer Republik zu unterlassen, die sich auf ihre Frieden stiftende Politik – rechtens oder eingebildet und täuschend – etwas zugute hält. Von dieser Rolle des Feldmarschalls, vom Charakter des Krieges und den in ihm verfolgten Zielen ist hierzulande freilich die Rede nicht oder nur im Ausnahmefall. Das ließ sich in unseren Tagen studieren. Gerade haben die Medien die Debatte hinter sich gebracht, wie groß oder wie gering der Anteil der deutschen Politik am Weg in den Ersten Weltkrieg war. Schon da wurde die Frage nach Kriegsursachen und -zielen tunlichst gemieden.

Doch damit hat die Sache ihr Bewenden nicht. Hindenburg war einer der Aktivisten, die das deutsche Volk nach Kriegsende um die Lehren betrogen, die es aus diesem Weltkrieg hätte ziehen können. Er habe, sagt der Befürworter des Namenwechsels, dabei »mitgewirkt«, die Dolchstoßlegende in die Welt zu setzen. Das ist eine Beschönigung, er gab sich als der Kronzeuge für die angebliche Vaterlandsverteidigung und war einer der frühen Verfechter dieser die Ursachen der deutschen Kriegsniederlage verfälschenden Legende. Dabei kannten nur wenige wie er die Wahrheit über den Zustand des deutschen Heeres im Sommer 1918. Dieses Wissen war ausschlaggebend dafür gewesen, dass die Militärführer schließlich von den Zivilisten an der Spitze der Reichsregierung verlangt hatten, einen Weg zum Waffenstillstand zu suchen und das möglichst rasch und also bevor die deutschen Truppen auf das Reichsbiet zurückfluteten. Da sind kein Zwielicht und kein Schillern. Und hätte nicht diese Rolle als ein Lügner von Graden und mit lang wirkenden Folgen genügt, längst genügen können, die zu seinen Ehren einst angebrachten Straßenschilder zu demontieren?

Hitlers Helfer

Hindenburg war ebenso unbußfertig wie lernunwillig. Er war der Herzensmonarchist und Prototyp des Verweigerers jeder kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Mit Vorliebe hat der Mann selbst als Oberhaupt der Republik demonstriert, dass er zur Vergangenheit ein ungebrochenes Verhältnis besaß. Wie sonst lässt sich sein Auftreten als Präsident im ordensgeschmückten Rock des Kaisers interpretieren.

Und dann sind da der 30. Januar 1933 und eine Unterschrift. Der Autor, der sich laut Stuttgarter Zeitung von dem Straßennamen verabschieden will, kann nicht entscheiden, ob Hindenburg nur nicht vermochte, »Hitler etwas entgegenzusetzen«, oder ob er seinen »Aufstieg befördert« hat. Nun bleibt aber doch Tatsache, dass Hitler von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt wurde und dass er ohne die von Hindenburg unterschriebene Urkunde keine Zehenspitze in das Zimmer hätte setzen können, in dem einst Bismarck regierte. Das bringt andere Stümper jedoch nicht in Verlegenheit. Die Unterschrift, erklärt der Gegner der Umbenennung, als ginge es hier um mildernde Umstände vor Gericht, hätte der alte Herr geleistet, »als seine geistigen Kräfte schon schwanden«. Und außerdem hätte Hindenburg doch »der NSDAP lange Zeit skeptisch und misstrauisch« gegenübergestanden. Das »Problem« sei ohnehin nicht dieser Mann gewesen, sondern die Stärke von Hitlers Partei im Reichstag, womit jene Millionen, die sie wählten, etwa ein Drittel der Wahlberechtigten, für Hitlers Einzug in die Wilhelmstraße verantwortlich gemacht werden, was sie zweifellos auch waren, doch nicht sie besaßen den Schlüssel für die Reichskanzlei. Mit dieser Version aber wird der Eindruck erweckt, es hätte der Schwachsinnige unter Volkes Druck entscheiden müssen. Eher ein Opfer also denn ein Täter.

Schließlich, mit diesem Argument schließt der Verteidiger der Hindenburgstraße, sei der Mann doch kein »Massenmörder oder Verbrecher gegen die Menschlichkeit gewesen«. Das ist ein bemerkenswertes Kriterium dafür, wer als Namengeber einer Straße oder eines Platzes nicht in Frage kommt. Doch lässt sich darüber einen Moment nachdenken: Dieser Feldmarschall war ein während des Krieges über die Truppe weit hinauszielender aktiver Propagandist des Aus- und Durchhaltens, auch des Eintreibens von Spendens für die Finanzierung des Krieges, kurzum, er war, was man einen Kriegsverlängerer nennt. Und unter seinem obersten Kommando hatten die deutschen Soldaten im März 1918 zur letzten Großoffensive auf französischem Boden anzutreten. Im Verlauf dieser Frühjahrsoffensive wurden blutige Schlachten ausgetragen, die auf beiden mehrere hunderttausend Tote forderten. Sie wurde befohlen, wiewohl an seiner Aussichtslosigkeit kein Zweifel bestand. Die Kräfte der gegnerischen Koalition und ihre schier unerschöpflichen Reserven waren längst ausgemacht.

So, durch die Sachverständigen der Stuttgarter Zeitung informiert, sollen die Mitglieder des Gemeinderatsausschüsse im Ludwigsburger Stadtrat am Beginn von 2015 das Thema diskutieren und nicht vergessen, dass Namensänderungen auch Aufwendungen der Gemeinden wie mancher Bewohner verlangen, was sich in einem Lande, in dem Millionen für »Stuttgart 21« unsinnigerweise verbaut werden, auch merkwürdig liest. Die am Ende entscheiden, könnten freilich auch zu mancher Hindenburg-Biographie greifen. Eine unter mehreren hilfreichen, die zur Auswahl stehen, wäre die des allerdings ostdeutschen Historikers Wolfgang Ruge (1917–2006). Sie erschien 1974 mit dem Untertitel »Porträt eines Militaristen« und erlebte mehrere Auflagen. Ein Exemplar der vierten ist in der Württembergischen Landesbibliothek ausleihbar.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 31. Dezember 2014

Wegbereiter des Faschismus

Der DGB-Ortsverband Fellbach fordert die Umbenennung der Hindenburgstraße und der Ernst-Heinkel-Straße in der schwäbischen Stadt Fellbach

Anlässlich 100 Jahre Erster Weltkrieg und 75 Jahre Zweiter Weltkrieg hat der DGB Fellbach in einem Brief Anfang Oktober die Stadt und den Gemeinderat aufgefordert, die Hindenburgstraße und die Ernst-Heinkel-Straße in Fellbach umzubenennen. Der DGB stellt darin fest:

»Hindenburg war Wegbereiter des Faschismus. Er hat in voller Überzeugung Hitler zum Reichskanzler ernannt und wenig später das Ermächtigungsgesetz unterzeichnet. Parteienverbote, Zerschlagung der Gewerkschaften, Einrichtung von KZ usw., insbesondere die Vorbereitung eines neuen Angriffskrieges, waren die Folge und ganz in seinem Sinne.

Ernst Heinkel war Hitlers Waffenschmied, (...) Wehrwirtschaftsführer, (...) erhielt höchste faschistische Auszeichnungen (...) und beutete in großem Umfang Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge aus, was bei vielen zum Tode führte.«

Diese unsäglichen Namen unserer Geschichte müssen endlich aus dem Straßenbild entfernt und durch antifaschistische Widerstandskämpfer/innen und Demokrat/innen ersetzt werden.


Umbenennung: Zum Beispiel Münster

In Münster, der Stadt des Westfälischen Friedens, erinnerte seit 1927 der vormals als Neuplatz bekannte innerstädtische Platz an Paul von Hindenburg. Am 3. April 1933 folgte die Auszeichnung des Generalfeldmarschalls und Reichspräsidenten (1925–1933) mit der Ehrenbürgerwürde der westfälischen Stadt. Seit der Befreiung Münsters vom Faschismus wurde die Umbenennung des Platzes öffentlich diskutiert, immer wieder auch unter Berufung auf die Direktive Nr. 30 des Alliierten Kontrollrats vom 13. Mai 1946, die die »Beseitigung deutscher Denkmäler und Museen militärischen und nationalsozialistischen Charakters« verlangte.

Im Stadtrat wurde im März 2012 beschlossen, den Hindenburgplatz, die größte Freifläche der Stadt, in Schlossplatz umzubenennen (Foto). Hindenburgs Rolle als Totengräber der Weimarer Republik und Steigbügelhalter der Faschisten war zuvor Gegenstand diverser Informationsveranstaltungen und Ausstellungen gewesen. In der Debatte vor der geheimen Abstimmung im Rathaus hatte sich die Mehrheit der CDU-Fraktion, anders als ihr Parteikollege und Oberbürgermeister Markus Lewe, für die Beibehaltung des Namens ausgesprochen.

Manche Konservative, unter ihnen Mitglieder der Jungen Union, mochten den neuen Namen nicht akzeptieren und gründeten die Initiative »Pro Hindenburgplatz«. Innerhalb kurzer Zeit hatten sie die Unterschriften beisammen, die in Münster für die Organisation eines Bürgerentscheids nötig sind (jW berichtete). Im Vorfeld der Abstimmung mobilisierten Hindenburg-Gegner u. a. mit einem Happening, an dem sich der Kabarettist Christoph Tiemann, als Kaiser Wilhelm II. kostümiert, per Videobotschaft aus dem niederländischen Exil »an die geliebten Untertanen in der Provinz Westfalen wandte« und diese aufforderte, dem »Trottel von Tannenberg« eine Abfuhr zu erteilen: Der habe »nicht nur unser Kaiserreich in den französischen Sand gesetzt, sondern auch die anschließende Republik vor die Wand gefahren«, ihm mangele es »offensichtlich für jede Staatsform an Talent«. Das Ergebnis der Abstimmung fiel eindeutig aus: Rund 60 Prozent der Münsteraner sprachen sich dafür aus, Hindenburg symbolisch aus der Stadt zu werfen. Die Abstimmungsbeteiligung lag bei rund 40 Prozent. »Wir haben so intensiv wie keine andere Stadt in Deutschland dieses Thema bearbeitet«, sagte Oberbürgermeister Markus Lewe nach dem Plebiszit. (jW)




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