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Rüstungsgelder abgestottert

Hintergrund. Die Bundesrepublik zahlt am 3. Oktober 2010 letztmalig Zinsen für Auslandsanleihen des Deutschen Reiches. Die Kredite aus den 20er Jahren dienten dazu, die deutschen Konzerne zu stärken und ihr Rüstungspotential wiederherzustellen

Von Manfred Oertel *

Der 3. Oktober 2010 wird nicht nur der von offizieller Seite euphorisch gefeierte 20. Jahrestag der deutschen Einheit und nicht nur Erntedanktag sein. Er wird auch aus anderem Grunde ein denkwürdiger Tag. Er wird ein Zahltag besonderer Art für Deutschland. An diesem Tag nämlich werden die letzten Zinsen und Zinseszinsen für deutsche Auslandsschulden aus der Vorkriegszeit fällig. Mit ihrer Zahlung entledigt sich die Bundesrepublik Deutschland der letzten finanziellen Verbindlichkeiten aus dem Londoner Schuldenabkommen von 1953. Es handelt sich zwar »nur« um etwa 70 Millionen Euro, dennoch ist die Sache einer näheren Betrachtung wert.

In den Jahren der Weimarer Republik flossen erhebliche Mengen Kapitals aus dem Ausland nach Deutschland. Das führte nach dem Ersten Wetlkrieg nicht nur zu den sprichwörtlichen »goldenen zwanziger Jahren«, sondern vor allem zur Stabilisierung der Macht der Konzerne, ihrer Profite und des deutschen Rüstungspotentials.

Die im Zuge mehrerer Anleihen vom Deutschen Reich, vom Staat Preußen und öffentlichen Körperschaften aufgenommenen Kredite waren bis 1939 nicht zurückgezahlt. Während des Krieges erfolgten keine Rück- oder Zinszahlungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgten zunächst auch keine Zahlungen. Das Reich existierte nicht mehr, es gab keine deutsche Stelle, die hätte Tilgung oder Zinszahlung vornehmen können. Als die Adenauer-Regierung nach Gründung des westdeutschen Separatstaates den Anspruch auf Rechtsnachfolge des Deutschen Reichs erhob, blieb es der Bonner Regierung vorbehalten, diese Auslandsschulden samt Zinsen zu übernehmen.

Bundeskanzler Adenauer erkaufte sich die Legitimation seiner Regierung in der westlichen Welt durch die Übernahme aller Auslandsschulden des Deutschen Reichs aus der Vorkriegszeit. Die Hohe Kommission der drei Westmächte forderte am 23. Oktober 1950 die Bundesregierung schriftlich auf, formell die Haftung für die Auslandschulden des früheren Deutschen Reichs zu übernehmen. Dem Schreiben war der Entwurf einer entsprechenden Schuldenerklärung der Bundesrepublik beigefügt. Änderungen am Wortlaut seien nicht erwünscht. Die Westmächte wollten möglichst schnell per Notenwechsel die Zusage auf Schuldenübernahme. Auch Adenauer wollte dies rasch erledigt haben. Allerdings gab es auf deutscher Seite, selbst in der CDU-Führung und bei der Bank deutscher Länder, der späteren Bundesbank, Widerstand gegen Vorgaben der Alliierten. Strittig war nicht die pauschale Zusage zur Schuldenübernahme, sondern waren Verfahrensfragen.

Nach vielen Verhandlungen kam es schließlich am 6. März 1951 zum gewünschten Notenaustausch und der weitgehend von den Hohen Kommissaren auf dem Bonner Petersberg formulierten Schuldenerklärung. Darin hieß es: »Die Bundesrepublik bestätigt hiermit, daß sie für die äußeren Vorkriegsschulden des Deutschen Reiches haftet, einschließlich der später zu Verbindlichkeiten des Reiches zu erklärenden Schulden anderer Körperschaften, sowie für die Zinsen und anderen Kosten für Obligationen der österreichischen Regierung, soweit derartige Zinsen und Kosten nach dem 12. März 1938 und vor dem 8. Mai 1945 fällig geworden sind.« Im weiteren brachte die Bundesregierung »ihren Wunsch zum Ausdruck, den Zahlungsdienst für die deutsche äußere Schuld wieder aufzunehmen«.

Die Erklärung erstreckte sich auch auf die Nachkriegsschulden aus der westlichen »Wirtschaftshilfe« für Westdeutschland. Entscheidend aber war, daß die Bundesrepublik, die den Anspruch der alleinigen Rechtsnachfolge des Deutschen Reichs erhob, juristisch die Verantwortung für dessen Auslandsschulden tragen wollte.

Mit der Schuldenübernahme ...

Die Arten und die Höhe der zu begleichenden Schulden, Zahlungs- und andere Modalitäten wurden dann auf der Londoner Schuldenkonferenz ausgehandelt. Verhandlungsführer seitens der Bundesrepublik war der Adenauer-Intimus Hermann Josef Abs, zuvor eine der wesentlichen Figuren innerhalb der monopolkapitalistischen Strukturen des deutschen Faschismus.

Nach diversen Vorverhandlungen begann am 28. Februar 1952 die Hauptkonferenz zur Regelung der deutschen Schuldenfrage. Es ging darum, die Begleichung der öffentlichen Verbindlichkeiten des »Reichs«, auch der privaten Auslandsschulden aus der Vorkriegszeit, zu regeln; darüber hinaus um die Rückzahlung der nach dem Krieg in die Westzonen und Bundesrepublik geflossenen Kredite sowie um den Ausgleich für die Aufwendungen Dänemarks bei der zeitweiligen Aufnahme von deutschen Flüchtlingen nach Kriegsende.

Bei den zur Debatte stehenden Schulden handelte es sich nicht um Kriegsschulden aus dem Ersten Weltkrieg. Reparationen waren bis 1932 abgezahlt bzw. die Siegermächte hatten, nach wiederholten Neufestlegungen der Höhe und Zahlungstermine, die Beendigung von Reparationszahlungen auf der Konferenz von Lausanne im Juni/Juli 1932 hinnehmen müssen. Nun ging es darum, jene Kredite aus der Zeit der Weimarer Republik abzuwickeln, die z.B. im Zusammenhang mit dem Dawes- und dem Young-Plan1, teilweise durch mehrere Stillhalteabkommen gestundet, im Krieg nicht bedient und getilgt worden waren, einschließlich der aufgelaufenen Zinsen.

Natürlich war die Bonner Verhandlungsdelegation bemüht, die Höhe der zu begleichenden Altschulden möglichst niedrig anzusetzen. Die am 15. März 1945 von der damaligen Reichsschuldenverwaltung im Reichsanzeiger angegebenen (nach den seinerzeitigen Börsenkursen) 1341,8 Millionen Reichsmark konnten nicht gelten. Auch setzte man darauf, daß die ausländischen Gläubiger die Hoffnung auf volle Rückzahlung längst aufgegeben hätten. Schließlich sollte ein Zahlungsmodus ausgehandelt werden, der den wieder erstarkenden Konzernen in Westdeutschland genehm war.

Eine bedeutende Rolle spielte das Argument, daß die Bundesrepublik wegen erheblicher »Gebietsverluste« nur begrenzt Zahlungsfähigkeit besäße, daß »wichtige Reichsteile weiter abgetrennt« seien (Hermann Josef Abs). Die territoriale Beschränkung der Herrschaftsgewalt der Bundesregierung müsse berücksichtigt werden. Adenauer hatte schon in der Schuldenerklärung vom März 1951 hierauf verwiesen, und die Westmächte hatten dies in ihrer Antwortnote auch ausdrücklich bestätigt.

Im Ergebnis der mehrmonatigen Verhandlungen wurden als Gesamtverbindlichkeit der BRD 13,73 Milliarden DM vereinbart. Die Vorkriegsschulden wurden auf 7,3 Milliarden DM festgesetzt. Für diese Schulden waren auch die Zinssätze reduziert worden. Abs erklärte auf der abschließenden Sitzung der Hauptkonferenz am 8. August 1952, die deutsche Seite habe gewiß nicht die Absicht verfolgt, »von lästigen Verbindlichkeiten aus der Vergangenheit freizukommen«. Es sei ihr um die Erfüllung der vertraglichen Rechte, nicht um die billigste Lösung gegangen.

... ins westliche Paktsystem

Das mit seinen Einzelverträgen, Anhängen und Anlagen mehrere hundert Seiten umfassende Londoner Schuldenabkommen wurde schließlich am 27. Februar 1953 unterzeichnet. Neben dem Abkommen über die deutschen Auslandsschulden wurden die Ansprüche der USA, Großbritanniens und Frankreichs aus der an Westdeutschland geleisteten Nachkriegswirtschaftshilfe geregelt sowie zwei weitere spezielle Abkommen zwischen der BRD und den USA getroffen. Zuvor war mit Dänemark die Erstattung der Aufwendungen in Verbindung mit dem Aufenthalt deutscher Flüchtlinge in Dänemark 1945 bis 1949 vereinbart worden.

Das Londoner Schuldenabkommen über deutsche Auslandsschulden trägt die Unterschriften von BRD, USA, Großbritannien und Frankreich (Signatarstaaten) sowie 15 weiterer Staaten - von Belgien über Ceylon, Liechtenstein, Luxemburg und Pakistan bis Südafrika, um nur einige zu nennen. 70 westliche oder neutrale Staaten waren eingeladen, sich dem Abkommen anzuschließen, »Ostblockstaaten« waren nicht dabei. Nach Hinterlegung der Ratifizierungsurkunden durch die vier Signatarstaaten trat das Abkommen am 16. September 1953 in Kraft.

Mit dem Londoner Schuldenabkommen wurden in aller Stille entscheidende Weichen der imperialistischen Nachkriegspolitik gestellt. Die Verhandlungen in London verliefen zeitgleich und in engem Zusammenhang mit weltpolitischen Ereignissen und Aktionen im Weltmachtstreben der USA: die Gründung des Nordatlantikpaktes, das atomare Wettrüsten, der Koreakrieg. In Europa gab es Auseinandersetzungen um die geplante Europäische Verteidigungsgemeinschaft EVG, um den Generalvertrag zwischen der BRD und den Alliierten sowie um die Wiederaufrüstung in Westdeutschland. Und die Adenauer-Regierung zögerte nicht, alle Verständigungsangebote und Vorschläge der Sowjetunion und der DDR-Regierung für einen Friedensvertrag mit Deutschland abzulehnen.

Die Londoner Schuldenkonferenz und das Abkommen über Altschulden des Deutschen Reiches waren die finanzpolitische Ergänzung zum Streben, die BRD in das westliche Paktsystem einzugliedern, Westdeutschland zu remilitarisieren und letztlich in die NATO aufzunehmen. Sie waren fester Bestandteil der westlichen Strategie im Kalten Krieg gegen den »Ostblock«.

Die Verhandlungen in London und das Abkommen standen kaum im Blick der deutschen Öffentlichkeit, und es gab wenig Kritik oder Protest­äußerungen. Von bürgerlicher Seite wurde zumeist beklagt, daß die Bundesregierung, im »Ehrgeiz, Rechtsnachfolger des Altreichs zu sein«, zu viele Zugeständnisse gemacht habe, mit »ungeheuren Verpflichtungen, die wir in London eingegangen sind«, so etwa der Industriekurier, Düsseldorf.

Prinzipielle Ablehnung gab es bei der KPD. Wie bereits im Kampf gegen den Abschluß des »Generalvertrages 'Über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei Mächten'« im Mai 1952 bezogen die Kommunisten im Bundestag eine eindeutige Position gegen das Londoner Schuldenabkommen. Der Abgeordnete Walter Fisch brandmarkte das Abkommen in der ersten Lesung zur Ratifizierung als Beweis für den Willen der Adenauer-Regierung, für die Eingliederung Westdeutschlands »in das amerikanische Militärpaktsystem nicht nur deutsche Fremdenlegionen zur Verfügung zu stellen, sondern auch Tributleistungen finan­zieller Art in ungeheurem Ausmaß anzuerkennen und zu gewährleisten«.

Im Hinblick darauf, daß die noch zurückzuzahlenden Kredite in der Weimarer Republik dazu gedient hatten, die deutsche Wirtschaft - und das hieß, die Konzerne für neue Profite und ihr Rüstungspotential - zu stärken, betonte er, daß das deutsche Volk nichts zu tun haben will »mit der Rückzahlung von Rüstungsgeldern, die in den zwanziger Jahren den Krupp und Thyssen zur Vorbereitung des Krieges geleistet wurden«.

Adenauers Regierungserklärung zur Ratifizierung des Schuldenabkommens war darauf gerichtet, eine ausführliche Debatte im Bundestag zu vermeiden. Für die meisten Abgeordneten war das umfangreiche Dokumentenwerk kaum verständlich. Die SPD wollte sich in der ersten Lesung noch nicht festlegen. Für die CDU war das Abkommen »ein Schlußstrich unter eine tragische Vergangenheit (...) und ein neuer Anfang mit schweren Opfern«. »Dieser Neubeginn fällt zeitlich zusammen mit dem Zeitpunkt, in dem sich Deutschland anschickt, seine Souveränität wiederzugewinnen und sich in eine neu zu schaffende europäische Ordnung als gleichberechtigter Partner einzufügen«, so der Abgeordnete Hermann Kopf.

Die zweite und dritte Lesung ging am 2. Juli 1953 nur mit Schwierigkeiten über die Bühne. Das Abkommen mit Frankreich wurde zunächst mit Stimmenmehrheit abgelehnt. Mit einem Trick erwirkte man eine Wiederholung der Abstimmung, die dann eine Zustimmung brachte. Damit war auch das ganze Gesetzeswerk »gerettet«. Frankreich und Großbritannien hatten bereits ratifiziert. In den USA dauerte es noch, weil im Senat ziemliche Unkenntnis über die Situation in Europa herrschte und offenbar das Abkommen einigen Senatoren als zu großzügig gegenüber den Deutschen erschien. Letztlich aber waren in den USA politische Motive ausschlaggebend, die BRD nicht zu sehr mit Schulden zu belasten. Ein ausgepowertes, wirtschaftlich am Boden liegendes Deutschland wäre »der sicherste Weg, die Deutschen in die Arme der Russen zu treiben«, resümierte der Leiter des Senatsausschusses für Außenpolitik, Alexander Wiley.

Allerdings versucht in jüngster Zeit eine »Investorengruppe« in Florida, auf dem Wege einer gerichtlichen Klage gegen Deutschland Anleihe-, Rück- und Zinszahlungen in Höhe von 450 Millionen Dollar zu erwirken. Ihrem Verlangen dürfte kaum Erfolg beschieden sein.

Dank Marshall-Plan und der Wirtschaftspolitik von Ludwig Erhard (»Wirtschaftswunder«) beim Wiederaufbau nach den katastrophalen Kriegszerstörungen gelang es der BRD entgegen aller pessimistischen Prognosen relativ problemlos, die in London festgesetzten Zahlungen zu leisten - bis auf einen als »Schattenquote« geführten Rest von etwa 250 Millionen DM. Begünstigend war, daß die Sätze der rückständigen Zinsen im Abkommen von sieben auf fünf Prozent (Dawes-Anleihe) und von 5,5 auf 4,5 Prozent (Young-Anleihe) bzw. von sechs auf vier Prozent (Zündholz- oder Kreuger-Anleihe genannt2) gesenkt worden waren. Die vorrangig zu bedienenden Nachkriegsschulden waren bis 1961 (Großbritannien und Frankreich) bzw. 1966 (USA) abbezahlt. Die durch die früheren Stillhalteabkommen gestundeten Beträge wurden schon bis Ende 1954 gezahlt. Bis Ende 1960 war mehr als ein Drittel der Vorkriegsschulden abgegolten. Bis 1980 waren alle festgelegten Zahlungspflichten erfüllt (1969 war die Dawes-Anleihe, 1980 die Young-Anleihe fällig geworden). Offen war noch die »Schattenquote«. Das waren die Zinsforderungen aus den bereits zurückbezahlten Anleihen für die Zeit vom 8. Mai 1945 bis 1952, insgesamt etwa 250 Millionen DM.

Der damalige Vizekanzler Franz Bücher (FDP) wollte für diese Zeit bis zum Beginn der Schuldenkonferenz eigentlich gar keine Zinsberechnung, weil in dieser Periode die Alliierten die politische Macht ausübten, den Deutschen deshalb keine Versäumnisse anzulasten seien. Aber in den Verhandlungen wurde entschieden, diese Zinsforderungen als »Schattenquote« bis zur Wiedervereinigung Deutschlands auszusetzen. Damit sollte auch dem Umstand Rechnung getragen werden, daß Bonn nicht über ganz Deutschland regierte.



Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik wurde die Zahlung der »Schattenquote« aktuell. Schien es lange Zeit so, daß die Zinsrückstände für deutsche Auslandsanleihen in den 30er Jahren nie zur Zahlung kämen, so änderte sich das mit dem 3.Oktober 1990. Wer angenommen hatte, die Sache mit den noch offenen Zinszahlungen für 1945-1952 sei vergessen und hinfällig, wurde eines Besseren belehrt und darf sich gegebenenfalls freuen. Unbeglichene Geldverbindlichkeiten werden in dieser Gesellschaft weder vergessen noch hinfällig.

Es ist eigentlich unerheblich, wäre aber ganz interessant zu wissen, wer die noch nicht gezahlten Zinsen für die deutschen Auslandsschulden aus dem Schattendasein herausgeholt hat, ob ungeduldige Gläubiger oder beflissene Finanzbeamte. Im Einigungsvertrag von 1990 steht nichts über die mit dem Beitritt der DDR zur BRD aktuell werdende Angelegenheit. Eine im Einigungsvertrag fixierte Schuldenregelung betrifft nur die »aufgelaufene Gesamtverschuldung des Republikhaushalts der Deutschen Demokratischen Republik« (Artikel 23). Allerdings bestimmt Artikel 11 des Einigungsvertrages, »daß völkerrechtliche Verträge und Vereinbarungen, denen die Bundesrepublik Deutschland als Vertragspartei angehört (...) ihre Gültigkeit behalten und die daraus folgenden Rechte und Verpflichtungen sich (...) auch auf das in Artikel 3 genannte Gebiet (die DDR - M. O.) beziehen«.

Nun werden auch die Ostdeutschen zur Kasse gebeten, rückständige Zinsen für Auslandsschulden des Deutschen Reiches zu zahlen. Bereits im Oktober 1990 gab es erste bankeninterne Bekanntmachungen über die bevorstehende Ausgabe von Schuldverschreibungen des Bundes auf die »Schattenquote«. Bei den Londoner Verhandlungen war entschieden worden, solche Schuldscheine an die Gläubiger nicht schon damals oder zu einem anderen festen Termin auszugeben, sondern eben zu dem sehr unbestimmten Zeitpunkt einer »Wiedervereinigung« Deutschlands. Jetzt war es soweit.

Beachtliche Renditen

Im August 1991 veröffentlichte dann der Bundesanzeiger eine ausführliche Bekanntmachung über die Ausgabe von »Drei-Prozent-Fundierungsschuldverschreibungen der Bundesrepublik Deutschland für Zinsrückstände aus Auslandsschulden des Deutschen Reichs nach dem Londoner Schuldenabkommen vom 27. Februar 1953 ('Schattenquoten')«. Zu bedienen seien Zinsrückstände der Jahre 1945 bis 1952 aus folgenden Anleihen: Deutsche Äußere Anleihe von 1924 (Dawes-Anleihe), Internationale Anleihe des Deutschen Reichs von 1930 (Young-Anleihe) und Deutsche Äußere Anleihe von 1930 (Zündholz- oder Kreuger-Anleihe2). Ohne besondere Verhandlungen werde der Bund auch die von 1937 bis 1951 bzw. 1952 aufgelaufenen Zinsrückstände aus Äußeren Anleihen des Freistaates Preußen von 1926 und 1927 bedienen.

Die Schuldverschreibungen würden mit drei Prozent jährlich ab 3. Oktober 1990 verzinst, bei halbjährlicher Zinszahlung (jeweils zum 3.April und 3. Oktober). Die Laufzeit wurde auf 20 Jahre, die Endfälligkeit entsprechend auf den 3. Oktober 2010 festgesetzt. Die Tilgung sollte durch Ankauf (Rückkauf) oder auf dem Wege der Auslosung ab 1995 in gleichbleibenden Jahresraten von 2,5 Prozent (Dawes- und Preußen-Anleihen) bzw. 1,25 Prozent (die Anleihen von 1930) erfolgen.

Die Schuldverschreibungen erhielten Börsenzulassung und andere Wertpapiereigenschaften und wurden ins Bundesschuldbuch eingetragen. Sie konnten in DM, Pfund Sterling, Schweizer Franken, Schwedenkronen, US-Dollar, belgischen oder französischen Francs sowie in holländischen Gulden ausgestellt werden.

Die Schuldverschreibungen wurden von der Bundesbank ausgegeben an die Inhaber von Bezugs- bzw. Zinsscheinen der betreffenden Anleihen. Diese Scheine waren einzureichen. Die Ansprüche konnten auch in den ursprünglichen Emissionsländern der Anleihen geltend gemacht werden. In den wenigsten Fällen dürften die heutigen Besitzer dieser Schuldscheine frühere Anleihezeichner oder deren Nachkommen sein. Höchstwahrscheinlich sind die meisten Anleihepapiere von den ursprünglichen Gläubigern schon vor langer Zeit als vermeintlich wertlos abgestoßen worden. Mit den Schuldverschreibungen von 1990 aber brachten sie nach dem Anschluß der DDR an die Bundesrepublik noch eine beachtliche Rendite und stehen, soweit nicht schon getilgt, jetzt mit der letzten Zinsrate zur Auszahlung. Etwa 70,5 Millionen Euro sind dafür im Bundeshaushalt 2010 eingestellt.

Fazit: Seit 1990 sind auch alle Steuerzahler in den ostdeutschen Bundesländern dazu herangezogen, alte Reichs- und Preußen-Auslandsschulden zu begleichen. Natürlich sind damit sogar die von Hartz IV Betroffenen beteiligt. So ist es eben: »Wir sind ein Volk.«

[1] Der Dawes-Plan wurde 1924 vom Alliierten Reparationsausschuß unter Vorsitz von Charles G. Dawes erarbeitet, und sollte die Reparationszahlungen Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg regeln: Der Plan sah für 1924 Reparationen in Höhe von einer Milliarde Goldmark und eine Steigerung der jährlichen Zahlungen auf 2,5 Milliarden bis 1928 vor. Teil des Plans war auch eine internationale Anleihe in Höhe von 800 Millionen Goldmark. 1929 wurde der Dawes-Plan durch den Young-Plan, benannt nach dem amerikanischen Finanzkapitalisten Owen D. Young, ersetzt. Der Young-Plan sah Reparationen von 34,05 Milliarden Reichsmark vor, zahlbar bis 1987/88 bei 5,5 % Zinsen.

[2] Zur Finanzierung von Staatsausgaben des Deutschen Reiches beim schwedischen "Zündholzkönig" und NSDAP-Finanzier Ivar Kreuger aufgenommene Anleihe. Der 1929 geschlossene Vertrag sieht eine Anleihe von 125 Millionen Dollar vor, die dem Deutschen Reich in zwei Raten auszuzahlen waren. Zu tilgen war die Anleihe im Zeitraum von 1940 - 1980 in Halbjahresraten. Als Sicherheit diente die Abtretung des Deutschen Zündholzmonopols.

Quellen- und Literaturauswahl:
  • Bundesgesetzblatt Teil II, Nr. 15/1953 vom 27. August 1953
  • Bundesanzeiger Nr. 163 vom 31. August 1991
  • Ursula Rombeck-Jaschinski: Das Londoner Schuldenabkommen. Die Regelung der deutschen Auslandsschulden nach dem Zweiten Weltkrieg, München 2005
Ergänzend:
  • Weißbuch über die amerikanisch-englische Interventionspolitik in Westdeutschland und das Wiedererstehen des deutschen Imperialismus, überreicht vom Nationalrat der Nationalen Front des demokratischen Deutschland, Berlin 1951
  • Dietrich Eichholtz, Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft, Band III: 1943-1945, Berlin 1996
* Manfred Oertel ist Historiker und Mitglied der Berliner Gesellschaft für Faschismus- und Weltkriegsforschung

Aus: junge Welt, 1. Oktober 2010



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