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Deutsche Schlagkraft

Analyse. Zum Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP. Auf dem Weg zu einer hochgerüsteten Großmacht mit weltweiten Ambitionen

Von Wolfgang Gehrcke und Paul Schäfer *

Guido Westerwelle (FDP), Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg (CSU) und Dirk Niebel (FDP) – ein »Trio Infernale« bestimmt künftig die deutsche Außenpolitik. Ist es denkbar, daß die drei diese noch unfriedlicher und aggressiver machen können, als es Joseph Fischer (Die Grünen) und Frank-Walter Steinmeier (SPD) bereits geschafft haben? Außenpolitik war in Deutschland immer ein Feld, in dem Kontinuität und Konsens beschworen wurden. Fischer und Schröder betonten ihre Kontinuität zur Außenpolitik Hans-Dietrich Genschers (FDP) und Klaus Kinkels (FDP). Steinmeier war bereits für den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die außenpolitische Denkmaschine. Westerwelle und die anderen zwei behaupten nun die Kontinuität ihrer Politik zu Steinmeier, Fischer und Schröder. Diese sogenannte Kontinuität mündet in Kriege.

Brüche in der deutschen Außenpolitik vollzog Willy Brandt (SPD) mit seiner Ostpolitik, mit den Nord-Süd-Debatten; und Brüche fordert heute Die Linke. Nicht zu Unrecht erklärt Steinmeier immer wieder, daß eine engere Zusammenarbeit der SPD mit der Linkspartei an der Außenpolitik scheitere. Und zwischen der Außenpolitik von Union und FDP auf der einen und der Linkspartei auf der anderen Seite klaffen Welten.

Der Koalitionsvertrag zeigt, daß Deutschland weiter den Weg beschreitet, den »Rot-Grün« und »Rot-Schwarz« eingeschlagen haben. Es wandelt sich von einer europäischen Mittelmacht zu einer hochgerüsteten Großmacht im Rahmen der EU, mit der weltweite Ambitionen und besondere geostrategische Interessen in Osteuropa, im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika und Asien verfolgt werden.

Politik wird durch Ideologie ersetzt

Statt rationalem, auf die jeweiligen Konflikte gemünztem Handeln präsentieren die »Schwarz-Gelben« eine »wertegebundene und interessengeleitete Außenpolitik«. Doch um welche Werte wird es sich handeln? Gerechtigkeit? Gleichberechtigung? Solidarität? Oder geht es um handfeste Wertsachen wie Zugriff auf Ressourcen anderer Völker, Dominanz des reichen Nordens über den armen Süden und freie Marktzugänge?

Zentraler Punkt dieser Werteorientierung ist die »Idee des Westens«. Für diese Idee soll Geschlossenheit erreicht werden: »In der Zeit der Globalisierung muß der Westen zu mehr Geschlossenheit finden, um seine Interessen durchzusetzen und gemeinsame Werte zu bewahren.« Eine »enge politische Koordination mit den Vereinigten Staaten« soll als »Kraftverstärker« das Gewicht Deutschlands in Europa und der Welt erhöhen. Eine solche außenpolitische Linie wird die Beziehungen Deutschlands zu Ländern in Asien, Afrika und Lateinamerika schwer belasten. Auch in den USA wird es zumindest ein Nachdenken auslösen, ob Deutschland die Kooperation mit den USA deswegen verstärken will, um mehr Gewicht in der Welt zu erlangen. So ein bißchen antiamerikanisch ist er wohl doch, unser neuer Außenminister.

Der Begriff »Völkerrecht« spielt im ganzen Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP nur eine untergeordnete Rolle. An einer Stelle heißt es: »Wir handeln militärisch nur dann, wenn wir dies im Rahmen der Vereinten Nationen, der NATO oder der EU sowie aufgrund einer völkerrechtlichen Legitimation tun können.« Die »rot-grüne« Bundesregierung hatte erklärt, das Völkerrecht einhalten zu wollen, sich allerdings nicht daran gehalten. »Schwarz-Rot« sprach immerhin noch von dem Ziel, das Völkerrecht einhalten zu wollen. »Schwarz-Gelb« sieht im Völkerrecht nur noch eine mögliche Handlungsvariante. Stärkere Betonung findet das Recht auf Selbstverteidigung, die auch ohne völkerrechtliches Mandat praktiziert werden kann.

Die internationalen Organisationen, in denen Deutschland Mitglied ist, werden zu »westlichen Wertegemeinschaften« umgedeutet. Wer aus den Vereinten Nationen, die durch die Vielfalt von Werteorientierungen leben, eine westliche Wertegemeinschaft machen will, zerstört die UNO.

Die eigentlichen Probleme der Welt tauchen im außen- und sicherheitspolitischen Teil des Koali­tionsvertrags überhaupt nicht auf: Keine demokratische Konzeption einer gerechten Verteilung der Naturressourcen, keine Initiative zur Überwindung von weltweitem Hunger, von Armut und Massenkrankheiten, keine Idee, wie den Menschen, die aus ihren Ländern flüchten, geholfen werden soll. Das sind aber die großen Fragen einer modernen Außenpolitik! Der starke Bezug auf die nationalen Interessen hingegen verheißt nichts Gutes.

»Frieden durch Recht« verlangt kategorisch globale soziale Gerechtigkeit. Ohne globale soziale Gerechtigkeit kein stabiler Frieden. Globale Gerechtigkeit heißt auch, eine andere, gerechte Verteilung der knapper werdenden Naturressourcen. Nicht der Hauch eines Impulses für globale soziale Gerechtigkeit ist im Koalitionsvertrag zu finden. Auch nicht im Abschnitt über die Entwicklungszusammenarbeit. Künftig werden milde Gaben an politisches Wohlverhalten geknüpft.

Die Philosophie einer wertegebundenen und interessengeleiteten Außenpolitik ist die Übertragung der neoliberalen Prinzipien auf die internationalen Beziehungen. »Als Exportnation haben wir ein hohes Interesse an einer freiheitlichen Ordnung der Weltwirtschaft.« Das ist Klartext und formuliert brutal einen globalen Machtanspruch. Jegliche Menschenrechtsrhetorik, die »Rot-Grün« für ihren außenpolitischen Systembruch noch bemühte, wird entsorgt.

Die Freiheit der Märkte ist die Unfreiheit der Völker und Staaten, die unter der Beherrschung der Märkte durch transnationale Konzerne leiden. Freiheitliche Ordnung der Weltwirtschaft ist die Ideologie der Privatisierung und der Zurückdrängung staatlicher Regulierung. Sie hat gerade den Kapitalismus in seine bisher größte Krise gerissen. Regulierung und Nachhaltigkeit führt zu Freiheit; die Freiheit der Märkte aber führt zur Diktatur der Kapitaleigner. Mit der Freiheitspropaganda der Unfreiheit Produzierenden haben sich bereits Karl Marx und Friedrich Engels im »Kommunistischen Manifest« auseinandergesetzt. Zwei Gedanken von ihnen: »Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.« – »Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhaß der Barbaren zur Kapitulation zwingt. Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen; sie zwingt sie, die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen, d. h. Bourgeois zu werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde.«

Friedenspolitik der Linkspartei

Die Außenpolitik der Linkspartei beruht auf anderen Grundlagen. Deutsche Außenpolitik muß Friedenspolitik werden. Friedenspolitik heißt immer, daß Außenpolitik auf Recht – dem Völkerrecht – beruhen muß. Den großen Gedanken Immanuel Kants, Frieden durch die Herrschaft des Rechts, hat Die Linke aufgenommen. Wir werden in der Gesellschaft und im Bundestag die Völkerrechtspartei sein.

Zur Philosophie der Außenpolitik der Linkspartei gehört unbedingt die Demokratisierung von Außenpolitik. Das heißt, das Verhältnis zwischen »großen« und »kleinen« Staaten nicht als Machtverhältnis zu mißbrauchen, eine wirkliche Reform der Vereinten Nationen voranzubringen und außenpolitische Entscheidungen nicht nur als Entscheidungen von Regierungen und Parlamenten zu verstehen, sondern die Menschen selbst an der Außenpolitik zu beteiligen. Keine Kriegsteilhabe Deutschlands hätte eine Mehrheit gefunden, wenn die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes darüber hätten mitbestimmen können. Sie konnten es nicht, nicht einmal bei den EU-Verträgen. Deswegen gehören Volksentscheide und Volksbegehren auch zur außenpolitischen Konzeption der Linkspartei.

Weltweite Gerechtigkeit erfordert Abrüstung. Dieser Gedanke dominiert Die Linke. Die Abrüstung steht auch im Koalitionsvertrag. Einige der dort genannten Punkte findet unsere Unterstützung: Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland, Abschluß neuer Abrüstungs- und Rüstungskontroll­abkommen, Ratifizierung des Vertrags über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE). Allerdings fordert Die Linke klare, kontrollierbare und wenn nötig auch einseitige Abrüstungsschritte. Der Koalitionsvertrag verbreitet statt dessen heiße Luft.

Durchsetzung deutscher Interessen

Nichts ist neu und modern an der »schwarz-gelben« Außenpolitik, aber sie ist gefährlich. Hinter den Worten von Freiheit und Werten lauern die Ansprüche auf hohe Profite. Eine Welt nach dem Bilde der Bourgeoisie ist gebaut auf dem Elend von Millionen. CDU und FDP wissen, wessen Interessen sie zu vertreten haben. Solch ein »Klassenbewußtsein« kann man sich auf seiten der Opposition nur wünschen.

Härter und entschlossener als die Vorgänger will die »schwarz-gelbe« Koalition die wirtschaftlichen und Herrschaftsinteressen Deutschlands in der Außenpolitik zur Geltung bringen. Zugleich betont sie das gemeinsame Interesse der führenden kapitalistischen Nationen, weltweit die neoliberale Globalisierung durchzusetzen. Auch weiterhin wird dabei auf die europäische Integration, die internationalen Organisationen und übernationalen Zusammenschlüsse gesetzt, aber mit verstärktem deutschem Führungsanspruch.

Bereits »rot-grün« und »schwarz-rot« hatten verstanden, daß deutsche Interessen nicht mehr allein nationalstaatlich durchgesetzt werden können. Der Koalitionsvertrag stellt nun Europa ganz nach vorn. Kooperation und Konkurrenz innerhalb der EU ist Kernlinie deutscher Politik. Es geht darum, die deutschen Positionen in der EU zu stärken und die EU zum einheitlichen Akteur auf der Weltbühne zu machen. Dafür soll Europa weiter militarisiert werden. Mit dem Lissabon-Vertrag läßt sich deutsche Dominanz leichter realisieren. Die Linke hat das kritisiert. Sie muß anerkennen, daß aus einem Entwurf ein Gesetz geworden ist, allerdings in einer vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Form, an der Die Linke mit ihrer Kritik einen Anteil hatte. Daß der Lissabon-Vertrag Rechtsstatus erhält, macht ihn nicht besser und ändert nichts an unserer Kritik.

Im deutsch-französischen Verhältnis setzt sich die Linie der Vorgängerregierung fort, die Achse Berlin–Paris abzuwerten. Das deutsch-französische Verhältnis ist nur noch »in seiner Breite und Tiefe einzigartig und fördert maßgeblich die europäische Einigung«. Von einem deutsch-französischen Motor ist keine Rede mehr. Zwar können die herrschenden Kreise beider Staaten nur internationale Bedeutung erlangen, wenn sie miteinander kooperieren, das schließt aber Konkurrenz um den Führungsanspruch und Dissens in wesentlichen Fragen nicht aus. Und zur Zeit überwiegt der Dissens mit Frankreich.

Die Erklärung, wonach die »Bundeswehr ein wesentliches Instrument deutscher Friedenspolitik« sei, dürfte so manche Staaten eher beunruhigen. Der Koalitionsvertrag will die Stärkung der NATO und hält an der deutschen Bereitschaft fest, sich an Militäreinsätzen zu beteiligen. Insofern berufen sich die Koalitionsparteien in ihm zu Unrecht auf das Grundgesetz, und zumindest in dieser Frage ist der Koalitionsvertrag nicht verfassungskonform. Auch im Verhältnis zur NATO ist Die Linke entschieden weitsichtiger. Wir wollen weltweit Militärbündnisse überwinden und den Kampf gegen den Terrorismus mit zivilen Mitteln führen: durch Entwicklung, globale soziale Rechte, kulturelle Vielfalt, fairen Handel und Respekt.

Die internationale Krisenprävention sieht nach wie vor diplomatische Initiativen vor, aber das Interventionsrecht soll mit Kräften der Polizei und der Justiz gestärkt werden. Dafür sollen entsprechende Einheiten bei der Bundespolizei aufgebaut und ein »von den Ländern zur Verfügung gestellter Pool zur internationalen Verwendung bereitgestellt werden«. Statt Hunger zu bekämpfen, sollen offenbar Hungeraufstände bekämpft werden, die die neoliberale Globalisierung mit sich bringen wird.

Wachstumsmarkt Rüstung

Die Linke will eine demokratische Reform der Vereinten Nationen. Wir wollen eine Aufwertung der Vollversammlung gegenüber dem Weltsicherheitsrat. Wir wollen, daß den Vereinten Nationen auch Entscheidungen über ökonomische Prozesse zukommen. Die »schwarz-gelbe« Bundesregierung will einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat; und wenn es nicht Deutschland selbst sein kann, dann wenigstens die EU. Die Linkspartei geht davon aus, daß sich Afrika unter den ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrats wiederfinden muß ebenso wie die arabische Welt, Lateinamerika oder neben China ein weiteres asiatisches Land. Reform der Vereinten Nationen durch mehr Macht für Deutschland – diesem Gedanken werden wir widersprechen.

Die Herstellung eines »unverfälschten Wettbewerbs« ist ein vorrangiges außenpolitisches Ziel. Das gilt auch für die Rüstungsexporte. Daran ändert die Abrüstungsrhetorik nichts. Der Rüstungsexport war mit 20 Prozent Steigerung von 2005 bis 2008 Konjunkturmotor und dürfte auch in der Krise weltweit kaum von Einsparungen betroffen sein. Der Rüstungsexportriese Deutschland wird auch weiterhin eine großes Stück vom weltweiten Rüstungskuchen ergattern wollen, aber die Konkurrenz schläft nicht. Daher gibt es zwar Bekenntnisse zur Abrüstung, wichtiger als Abrüstung ist der Regierung allerdings das Ziel, die deutsche Rüstungsindustrie von Exporthemmnissen zu befreien. Denn die »wehrtechnische Industrie ist »von hoher (…) wirtschaftspolitischer Bedeutung« und »die Sicherung technologischer Kompetenz und hochwertiger Arbeitsplätze ein wichtiges Anliegen«. Dafür wird eine Lockerung der Ausfuhrregeln angestrebt. So spricht die Regierung nicht mehr von »restriktiver«, sondern von »verantwortungsbewußter« Genehmigungspolitik. Mit einer »Harmonisierung der Rüstungsexportrichtlinien« wird die Anpassung der deutschen Genehmigungspraxis an schlechtere europäische Standards umschrieben. Daß letztere »auf hohem Niveau« liegen sollen, scheint allenfalls Wortgeklingel, denn in Wahrheit geht es in erster Linie um starke Positionen auf einem Wachstumsmarkt. Dazu paßt auch die »Beschleunigung der Verfahren« dort, wo eine zivile Verwendung »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht«.

Die fortgesetzte Transformation der Bundeswehr zu einer »Armee im Einsatz«, wie die Interventionsarmee beschönigend genannt wird, ist eine hervorragende Profitquelle für die deutsche Rüstungsindustrie. Allein die Ausrüstung mit modernsten Waffensystemen, um »Krisen und Konflikte (…) effektiv zu bewältigen«, kostet den deutschen Steuerzahler im Jahre 2010 um die sieben Milliarden Euro. Aber unterm Strich haben ja alle etwas davon, denkt sich wohl die neue Bundesregierung: Die Bundeswehr selbst, die deutsche Rüstungsindustrie und nicht zuletzt auch die vielen tausend Menschen, deren »hochwertige Arbeitsplätze« durch die Rüstungsaufträge der Bundesregierung gesichert werden. Im Kontext der Transformation der Bundeswehr wurden bislang alte Waffensysteme ausgesondert und gern von der Bundesregierung an andere Staaten weiterverkauft. Rüstungsexporte an die Türkei und an Griechenland stehen für eine besonders smarte Geschäftstüchtigkeit des deutschen Kapitals. Nicht weniger »friedensfördernd« ist der Export von Rüstungsgütern an Pakistan und Israel – obschon der Nahe und Mittlere Osten als die explosivste Region der Welt gilt.

Was in den Koalitionsverhandlungen auf jeden Fall schon mühelos gelungen ist, ist der beschleunigte Zugang der Rüstungslobbyisten zur neuen Regierung.

Gegen das linke Lateinamerika

Die deutschen Truppen sollen in Afghanistan bleiben, so will es der Koalitionsvertrag, auch wenn sich Union und FDP nicht trauen, dies so deutlich auszusprechen. »In Kürze« will die Bundesregierung ein neues strategisches Konzept für Afghanistan vorstellen, den »Worten Taten folgen lassen« und die Verantwortung »an die Autoritäten des Landes schrittweise übergeben«. So wird gemeinhin der Rechtsstatus eines besetzten Landes beschrieben.

Neue Konzeptionen will die Bundesregierung auch für Lateinamerika, Afrika und Asien ausarbeiten, zumindest verspricht sie das im Koali­tionsvertrag. Gerade die Lateinamerikapolitik der FDP ist ideologiedominiert und frontal gegen die linksgerichteten Staaten in Lateinamerika gerichtet. Das zeigt sich in Formulierungen wie »den politischen Stiftungen kommt dabei eine herausgehobene Funktion zu«. Ein Schalk, wer dabei nicht an die subversive Rolle der Friedrich-Naumann-Stiftung bei der Vorbereitung des Putsches in Honduras denkt. Wenn dann die Destabilisierung, wie in Honduras, eingeleitet ist, kündigt die neue deutsche Regierung »die Unterstützung von Transformationsprozessen« an: »In der Zusammenarbeit mit fragilen und zerfallenden Staaten und Ländern mit schlechter Regierungsführung wollen wir Konzepte entwickeln, um situationsgerecht in ausgewählten Staaten Transformationsprozesse zu unterstützen.« Dazu passen auch aggressive Begriffe wie »Schlagkraft der deutschen Entwicklungspolitik«, »Zielgenauigkeit des Mitteleinsatzes« und »Instrumente unserer Menschenrechtspolitik«.

Die martialische Sprache deutet darauf hin, daß neue »schlagkräftige« Instrumente zur innen- und außenpolitischen Durchsetzung dieser Konzepte entwickelt werden müssen. Zu diesem Zweck greift die neue Koalitionsregierung nun hochoffiziell auf die Vorarbeiten des »Celler Trialogs« zurück: »Schließlich werden wir die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) und die Führungsakademie der Bundeswehr (FüAkBw) verstärkt nutzen, um Führungskräfte von Bund und Ländern sowie der Wirtschaft, Wissenschaft und Medien weiterzubilden und die Prinzipien der vernetzten Sicherheitspolitik kontinuierlich weiterzuentwickeln.«

In Lateinamerika bahnt die Koalition einen Konflikt mit den fortschrittlichen und linken Regierungen an. Ihr zentrales Anliegen ist, den neoliberalen, auf völlige Marktöffnung gerichteten Prozeß durchzudrücken. Sie fordert innerhalb der EU-Mitgliedstaaten Kohärenz und abgestimmtes Vorgehen in der Außenpolitik. Dies ist ein Affront insbesondere gegen die spanische Außenpolitik von Minister Miguel Moratinos, der die Haltung Spaniens zu Kuba und den linken Regierungen in Lateinamerika entkrampft und normalisiert hat.

Mit welchen Herrenreitermanieren die deutsche Politik daherkommen soll, zeigt folgende Formulierung, die die hegemoniale und kolonialistische Vergangenheit deutscher Außenpolitik kaum verbirgt und die indigene Bevölkerung virtuell ein weiteres Mal auslöscht: »Die Partnerschaft zwischen Deutschland, Lateinamerika und der Karibik baut auf gemeinsamen Werten auf. Wir teilen ein kulturelles Erbe und Erfahrungen aus langjähriger Zusammenarbeit auf politischem, wirtschaftlichem, kulturellem und wissenschaftlich-technologischem Gebiet.«

Parteinahme im Nahen Osten

Besonders kritikwürdig ist die Skizzierung der neuen Nahostpolitik im Koalitionsvertrag. Dieser Abschnitt beginnt nicht mit einem Bekenntnis zum Frieden im Nahen Osten, sondern mit dem Bekenntnis zur »besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel als jüdischer Staat«. Wenn man sich vor Augen führt, daß 25 Prozent der Einwohner Israels nichtjüdischer Herkunft sind und die Vereinten Nationen mit gutem Grund Israel nicht als exklusiv jüdischen Staat betrachten, ist diese Formulierung völkerrechtswidrig und führt nicht zu einer Stützung des Friedensprozesses im Nahen Osten. Selbstverständlich gibt es eine besondere Verantwortung Deutschlands gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern Israels. Selbstverständlich brauchen Jüdinnen und Juden die Zufluchtsmöglichkeit des Staates Israel. Aber ebenso selbstverständlich wird die Sicherheit Israels nur dann gewährleistet sein, wenn es zu einem eigenen palästinensischen Staat kommt und Israel auch seinen nichtjüdischen Bürgerinnen und Bürgern alle demokratischen und sozialen Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Genau dies zu unterstützen, leistet der Koalitionsvertrag nicht.

Die Gesichter an der Spitze der deutschen Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik haben sich verändert. Das »Trio Infernale« wird sich warm anziehen müssen. Wie heißt es so schön in einer Mozart-Oper: »Will der Herr Graf ein Tänzlein wohl wagen? Mag er’s mir sagen, ich spiele ihm auf!« Dies gilt nicht nur für den Freiherrn, sondern für alle drei.

* Wolfgang Gehrcke ist Bundestagsmitglied von Die Linke und deren außenpolitischer Sprecher.
Paul Schäfer ist Bundestagsmitglied derselben Fraktion und abrüstungspolitischer Sprecher.

Aus: junge Welt, 5. November 2009



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