Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Inszenierte jemand eine kontrollierte Gefahr?

Die Angeklagten gestehen, doch sie können die Rolle diverser Geheimdienste nicht aufklären

Von René Heilig *

Nicht nur das Sommerloch sorgt dafür, dass der Prozess gegen die sogenannte Sauerland-Gruppe auf derart großes Medieninteresse stößt. Doch zu viel Interesse mögen unsere Sicherheitsdienste nun auch nicht.

Fritz Gelowicz, der angebliche Anführer der sogenannten Sauerland-Gruppe, hat ausgepackt. Und mit ihm auch die mitangeklagten Terroristenfreunde. Eigentlich könnten die Ermittler wie die Ankläger zufrieden sein. Die einen haben einen guten Job gemacht, indem sie die Bombenköche noch ehe ihr explosiver Sud fertig war, »hochgenommen« haben. Die anderen haben die besten Vorlagen, um eine Verurteilung und damit auch eine abschreckende Wirkung auf mögliche nachwachsende Terroristen zu erreichen.

Doch je länger der Prozess dauert, desto mehr Fragen tauchen auf, die manch Methode von Geheimdiensten ins Licht ziehen könnten. Beispiel: das Terror-Rekrutierungszentrum Neu-Ulm. Dass hier unter multikulturellem Deckmantel allerlei im Gange war, das sich gegen die USA, gegen den von Bush verkündeten Krieg der Kulturen und damit insgesamt gegen den Westen richtete, darf wohl als gesicherte Erkenntnis hingenommen werden. Hier betete auch der zum Islam konvertierte Fritz Gelowicz. Und natürlich machte es schnell die Runde, dass ein in der Gemeinde bekannter Familienvater urplötzlich verschwunden war. Die CIA hatte ihn bei einer Reise auf dem Balkan kurzerhand entführt und gefoltert und - nachdem das alles unergiebig war - wieder ausgesetzt.

Khaled el-Masri heißt der Deutsch-Libanese. Der Name ging durch die Presse, der Fall war Gegenstand vieler Sitzungen im BND-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Der US-Botschafter in Berlin und sein CIA-Statthalter bemühten den deutschen Innenminister sogar am Pfingstwochenende, um den Schaden zu minimieren.

Das Vorkommnis, so sagt man, habe Gelowicz, damals Mitte zwanzig, zusätzlich motiviert. Er wollte es »den Amis« mal so richtig zeigen. Als Gotteskrieger. So wie das Neu-Ulmer Multi-Kulti-Zentrum durch allerlei aus- und inländische Geheimdienste sowie mit Polizeispitzeln durchsetzt war, kann seine Absicht nicht unbemerkt geblieben sein.

So wie die spätere Vorbereitung des Sprengstoffanschlages gegen US-Einrichtungen nicht unbemerkt geblieben ist. Man erinnert sich noch, dass die deutschen Behörden einen »Tipp« bekommen haben und dann erst begannen, die Terror-Gruppe zu observieren.

Woher der Tipp kam? Es hieß, die US-Dienste hätten Mails aus Pakistan abgefangen. Möglich. Doch im Verfahren um die sogenannte Sauerland-Gruppe verdichten sich die Hinweise, dass ein V-Mann eine wichtige Rolle in der Gruppe der Täter gespielt hatte. Mevlüt K., ein Türke, steht im Verdacht. Er gilt als »zentraler Ansprechpartner« für die Beschaffung von 26 Sprengzündern. Ohne ihn wäre es den anderen Terrorverdächtigen nicht möglich gewesen, »an die Sprengzünder heranzukommen und den Transport nach Deutschland zu organisieren«, hat das Bundeskriminalamt (BKA) festgestellt.

Mevlüt K, ein gelernter Schweißer, ist dem BKA angeblich seit Dezember 2001 als »Abu Obeida« bekannt, schrieb das Magazin »Stern«. Damals soll er geholfen haben, eine Terrorzelle zu begründen. Doch entsprechende Aktivitäten wurden aufgedeckt. Bei der Ausreise über den Flugplatz Frankfurt am Main kommt das BKA durch einen Trick hinter die Identität von »Abu Obeida«. Man verwanzt dessen Wohnung, das Bundeskanzleramt wird informiert, Mevlüt K. läuft an der langen Leine der deutschen Fahnder. Als er 2002 in die Türkei reist, bittet man die dortigen Kollegen, ihn im Auge zu behalten.

Statt dessen wird er, kaum dass die Maschine gelandet ist, verhaftet. Nach nur drei Monaten ist der Terrorist jedoch wieder frei. Das ist ungewöhnlich. Das BKA hegt einen Verdacht, der wird 2004 zur Gewissheit, als der türkische MIT-Geheimdienst dem BND einen Deal vorschlägt. Man bietet an, Mevlüt K. in die deutsche Islamistenszene einzuschleusen. Doch das ist den Agenten in Pullach zu heiß, schließlich hat die Bundesanwaltschaft bereits zwei Ermittlungsverfahren gegen den Mann eröffnet.

Doch der türkische V-Mann, der sich wissend nicht mehr nach Deutschland traut, kann auch auf anderem Wege »Helden« rekrutieren. Im Jahr 2004 läuft ihm in Istanbul Fritz Gelowicz in die Arme ... Atila Selek, einen der jetzt Mitangeklagten, trifft er Mitte 2005. Später besorgt der V-Mann die Zünder, die zumindest teilweise funktionstüchtig waren.

Es kann dem türkischen Geheimdienst nicht recht sein, dass Mevlüt K. enttarnt ist. Denn entweder die Agentenführer hatten ihren Mann nicht im Griff oder sie wollten ganz eindeutig einen großen Terrorfall konstruieren. Fragt sich, für wen diese Inszenierung? Und da kommt die CIA ins Spiel, für die der V-Mann gleichfalls tätig gewesen sein soll.

Laut Bundesanwalt Volker Brinkmann prüft die Bundesanwaltschaft derzeit, ob sie einen Haftbefehl gegen den Türken Mevlüt K. beantragen wird. Angesprochen auf die Berichte über eine angebliche Tätigkeit von K. für den Geheimdienst in Ankara, fügte Brinkmann allerdings hinzu: »Wir haben keine Erkenntnisse darüber, dass Mevlüt. K. in den Diensten des türkischen Geheimdienstes steht.«

* Aus: Neues Deutschland, 11. August 2009


Sauerland-Prozeß fortgesetzt

"Rädelsführer" beschreibt seine Radikalisierung **

Im Prozeß gegen die vier mutmaßlichen Islamisten der »Sauerland- Gruppe« hat der Angeklagte Fritz G. seine Radikalisierung beschrieben. Vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf schilderte der angebliche Rädelsführer am Dienstag, wie er nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und dem darauffolgenden Krieg gegen Afghanistan langsam zum radikalen Islamisten geworden sei. Damals habe »der Westen sein wahres Gesicht gezeigt«, sagte der 29jährige.

G. informierte sich daraufhin nach eigenen Angaben im Internet mehr über den Islam und ging alle zwei Tage in das »Multikulturhaus« in Neu-Ulm, einen bekannten Islamisten-Treff. Bereits Ende 2002 habe er den allgemeinen Entschluß gefaßt, »irgendwann einmal« in den Dschihad zu ziehen, so G. Ein Schlüsselerlebnis sei die Verschleppung seines Glaubensbruders Khaled al-Masri durch die CIA im Jahr 2004 gewesen, den er aus der Neu-Ulmer Moschee gekannt habe. Der Krieg der US-Amerikaner gegen die Muslime sei daher »bis auf drei Meter« an ihn herangekommen, sagte G. Das habe seinen Entschluß bestärkt, gegen die USA und die NATO kämpfen zu wollen. Der Ort des Kampfes sei dabei zweitrangig gewesen. Die Bundesanwaltschaft wirft den vier Angeklagten vor, im Jahr 2007 Autobombenanschläge auf US-Einrichtungen in mehreren deutschen Großstädten geplant zu haben. Die Männer sollen sich dazu zwölf Fässer mit Chemikalien beschafft und in einer Ferienwohnung im sauerländischen Medebach- Oberschledorn damit begonnen haben, daraus Sprengstoff herzustellen. Am Montag hatte G. erklärt, die geplanten Bombenexplosionen hätten als »letzte Warnung« für die Forderung nach einem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan verstanden werden sollen. Er selbst will von »den Anführern« einer mutmaßlich usbekischen Organisation namens »Islamistische Dschihad- Union« (IJU) zum Leiter der Operationen bestimmt worden sein. (ddp/jW)

** Aus: junge Welt, 11. August 2009


Aussage enttarnt Jihad-Union

Zweifel an Existenz ***

Bislang stand Vermutung gegen Vermutung. Während die einen Experten -- auch Fachleute deutscher Verfassungsschutzbehörden -- sagen, die Jihad-Union sei eine virtuelle Erfindung, die vom usbekischen Geheimdienst lanciert wurde, um freie Hand bei der Verfolgung radikaler Oppositioneller zu haben, halten andere Terrorfahnder die Gruppierung für eine der gefährlichsten überhaupt.

Nun hat der »Sauerland-Prozess« angeblich Klarheit geschaffen. »Bis ins Detail«, so der Staatsschutzsenat, haben die in Düsseldorf Angeklagten geschildert, wie die Ausbildung in den Terrorcamps der Islamischen Jihad Union im pakistanisch-afghanischen Grenzland ablief. Man drillte die Freiwilligen für den Fronteinsatz, verpasste ihnen eine infanteristische Ausbildung mit leichten Waffen und gewöhnte sie an den lauten Knall von Panzerfäusten. In kleinen, angeblich mobilen Camps nahe der Stadt Mir Ali in Nord-Waziristan vermittelte man den Terror-Killern, wie man aus Wasserstoffperoxid und Mehl Sprengstoff kocht. Und genau das haben Fritz Gelowicz sowie seine Mitangeklagten Adem Yilmaz und Daniel Schneider angeblich versucht.

Nach (nun auch) offizieller Lesart soll sich die IJU 2002 nach Abspaltung von der Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU) gegründet haben. Die Anzahl ihrer Anhänger ist unbekannt. Die Gruppierung habe sich dem globalen »Heiligen Krieg« verschrieben. Man pflege Kontakte zu Taliban und Al Qaida. Allerdings präsentiert sich die IJU durchaus als eigenständige und durchorganisierte Truppe. Vor allem mit Gelowicz habe die IJU-Führung »intensiv kommuniziert«, sagt das Bundeskriminalamt. Als Gesprächspartner werden IJU-Chef Nashmiddin Jalolow und dessen Vize Suhail Buranow genannt. hei

*** Aus: Neues Deutschland, 11. August 2009


Zurück zur Deutschland-Seite

Zur Terrorismus-Seite

Zur Geheimdienst-Seite

Zurück zur Homepage