Inszenierte jemand eine kontrollierte Gefahr?
Die Angeklagten gestehen, doch sie können die Rolle diverser Geheimdienste nicht aufklären
Von René Heilig *
Nicht nur das Sommerloch sorgt dafür, dass der Prozess gegen die
sogenannte Sauerland-Gruppe auf derart großes Medieninteresse stößt.
Doch zu viel Interesse mögen unsere Sicherheitsdienste nun auch nicht.
Fritz Gelowicz, der angebliche Anführer der sogenannten
Sauerland-Gruppe, hat ausgepackt. Und mit ihm auch die mitangeklagten
Terroristenfreunde. Eigentlich könnten die Ermittler wie die Ankläger
zufrieden sein. Die einen haben einen guten Job gemacht, indem sie die
Bombenköche noch ehe ihr explosiver Sud fertig war, »hochgenommen«
haben. Die anderen haben die besten Vorlagen, um eine Verurteilung und
damit auch eine abschreckende Wirkung auf mögliche nachwachsende
Terroristen zu erreichen.
Doch je länger der Prozess dauert, desto mehr Fragen tauchen auf, die
manch Methode von Geheimdiensten ins Licht ziehen könnten. Beispiel: das
Terror-Rekrutierungszentrum Neu-Ulm. Dass hier unter multikulturellem
Deckmantel allerlei im Gange war, das sich gegen die USA, gegen den von
Bush verkündeten Krieg der Kulturen und damit insgesamt gegen den Westen
richtete, darf wohl als gesicherte Erkenntnis hingenommen werden. Hier
betete auch der zum Islam konvertierte Fritz Gelowicz. Und natürlich
machte es schnell die Runde, dass ein in der Gemeinde bekannter
Familienvater urplötzlich verschwunden war. Die CIA hatte ihn bei einer
Reise auf dem Balkan kurzerhand entführt und gefoltert und - nachdem das
alles unergiebig war - wieder ausgesetzt.
Khaled el-Masri heißt der Deutsch-Libanese. Der Name ging durch die
Presse, der Fall war Gegenstand vieler Sitzungen im
BND-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Der US-Botschafter in Berlin
und sein CIA-Statthalter bemühten den deutschen Innenminister sogar am
Pfingstwochenende, um den Schaden zu minimieren.
Das Vorkommnis, so sagt man, habe Gelowicz, damals Mitte zwanzig,
zusätzlich motiviert. Er wollte es »den Amis« mal so richtig zeigen. Als
Gotteskrieger. So wie das Neu-Ulmer Multi-Kulti-Zentrum durch allerlei
aus- und inländische Geheimdienste sowie mit Polizeispitzeln durchsetzt
war, kann seine Absicht nicht unbemerkt geblieben sein.
So wie die spätere Vorbereitung des Sprengstoffanschlages gegen
US-Einrichtungen nicht unbemerkt geblieben ist. Man erinnert sich noch,
dass die deutschen Behörden einen »Tipp« bekommen haben und dann erst
begannen, die Terror-Gruppe zu observieren.
Woher der Tipp kam? Es hieß, die US-Dienste hätten Mails aus Pakistan
abgefangen. Möglich. Doch im Verfahren um die sogenannte
Sauerland-Gruppe verdichten sich die Hinweise, dass ein V-Mann eine
wichtige Rolle in der Gruppe der Täter gespielt hatte. Mevlüt K., ein
Türke, steht im Verdacht. Er gilt als »zentraler Ansprechpartner« für
die Beschaffung von 26 Sprengzündern. Ohne ihn wäre es den anderen
Terrorverdächtigen nicht möglich gewesen, »an die Sprengzünder
heranzukommen und den Transport nach Deutschland zu organisieren«, hat
das Bundeskriminalamt (BKA) festgestellt.
Mevlüt K, ein gelernter Schweißer, ist dem BKA angeblich seit Dezember
2001 als »Abu Obeida« bekannt, schrieb das Magazin »Stern«. Damals soll
er geholfen haben, eine Terrorzelle zu begründen. Doch entsprechende
Aktivitäten wurden aufgedeckt. Bei der Ausreise über den Flugplatz
Frankfurt am Main kommt das BKA durch einen Trick hinter die Identität
von »Abu Obeida«. Man verwanzt dessen Wohnung, das Bundeskanzleramt wird
informiert, Mevlüt K. läuft an der langen Leine der deutschen Fahnder.
Als er 2002 in die Türkei reist, bittet man die dortigen Kollegen, ihn
im Auge zu behalten.
Statt dessen wird er, kaum dass die Maschine gelandet ist, verhaftet.
Nach nur drei Monaten ist der Terrorist jedoch wieder frei. Das ist
ungewöhnlich. Das BKA hegt einen Verdacht, der wird 2004 zur Gewissheit,
als der türkische MIT-Geheimdienst dem BND einen Deal vorschlägt. Man
bietet an, Mevlüt K. in die deutsche Islamistenszene einzuschleusen.
Doch das ist den Agenten in Pullach zu heiß, schließlich hat die
Bundesanwaltschaft bereits zwei Ermittlungsverfahren gegen den Mann
eröffnet.
Doch der türkische V-Mann, der sich wissend nicht mehr nach Deutschland
traut, kann auch auf anderem Wege »Helden« rekrutieren. Im Jahr 2004
läuft ihm in Istanbul Fritz Gelowicz in die Arme ... Atila Selek, einen
der jetzt Mitangeklagten, trifft er Mitte 2005. Später besorgt der
V-Mann die Zünder, die zumindest teilweise funktionstüchtig waren.
Es kann dem türkischen Geheimdienst nicht recht sein, dass Mevlüt K.
enttarnt ist. Denn entweder die Agentenführer hatten ihren Mann nicht im
Griff oder sie wollten ganz eindeutig einen großen Terrorfall
konstruieren. Fragt sich, für wen diese Inszenierung? Und da kommt die
CIA ins Spiel, für die der V-Mann gleichfalls tätig gewesen sein soll.
Laut Bundesanwalt Volker Brinkmann prüft die Bundesanwaltschaft derzeit,
ob sie einen Haftbefehl gegen den Türken Mevlüt K. beantragen wird.
Angesprochen auf die Berichte über eine angebliche Tätigkeit von K. für
den Geheimdienst in Ankara, fügte Brinkmann allerdings hinzu: »Wir haben
keine Erkenntnisse darüber, dass Mevlüt. K. in den Diensten des
türkischen Geheimdienstes steht.«
* Aus: Neues Deutschland, 11. August 2009
Sauerland-Prozeß fortgesetzt
"Rädelsführer" beschreibt seine Radikalisierung **
Im Prozeß gegen die vier mutmaßlichen Islamisten der »Sauerland- Gruppe«
hat der Angeklagte Fritz G. seine Radikalisierung beschrieben. Vor dem
Oberlandesgericht Düsseldorf schilderte der angebliche Rädelsführer am
Dienstag, wie er nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und
dem darauffolgenden Krieg gegen Afghanistan langsam zum radikalen
Islamisten geworden sei. Damals habe »der Westen sein wahres Gesicht
gezeigt«, sagte der 29jährige.
G. informierte sich daraufhin nach eigenen Angaben im Internet mehr über
den Islam und ging alle zwei Tage in das »Multikulturhaus« in Neu-Ulm,
einen bekannten Islamisten-Treff. Bereits Ende 2002 habe er den
allgemeinen Entschluß gefaßt, »irgendwann einmal« in den Dschihad zu
ziehen, so G. Ein Schlüsselerlebnis sei die Verschleppung seines
Glaubensbruders Khaled al-Masri durch die CIA im Jahr 2004 gewesen, den
er aus der Neu-Ulmer Moschee gekannt habe. Der Krieg der US-Amerikaner
gegen die Muslime sei daher »bis auf drei Meter« an ihn herangekommen,
sagte G. Das habe seinen Entschluß bestärkt, gegen die USA und die NATO
kämpfen zu wollen. Der Ort des Kampfes sei dabei zweitrangig gewesen.
Die Bundesanwaltschaft wirft den vier Angeklagten vor, im Jahr 2007
Autobombenanschläge auf US-Einrichtungen in mehreren deutschen
Großstädten geplant zu haben. Die Männer sollen sich dazu zwölf Fässer
mit Chemikalien beschafft und in einer Ferienwohnung im sauerländischen
Medebach- Oberschledorn damit begonnen haben, daraus Sprengstoff
herzustellen. Am Montag hatte G. erklärt, die geplanten
Bombenexplosionen hätten als »letzte Warnung« für die Forderung nach
einem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan verstanden werden sollen. Er
selbst will von »den Anführern« einer mutmaßlich usbekischen
Organisation namens »Islamistische Dschihad- Union« (IJU) zum Leiter der
Operationen bestimmt worden sein. (ddp/jW)
** Aus: junge Welt, 11. August 2009
Aussage enttarnt Jihad-Union
Zweifel an Existenz ***
Bislang stand Vermutung gegen Vermutung. Während die einen Experten --
auch Fachleute
deutscher Verfassungsschutzbehörden -- sagen, die Jihad-Union sei eine
virtuelle Erfindung, die
vom usbekischen Geheimdienst lanciert wurde, um freie Hand bei der
Verfolgung radikaler
Oppositioneller zu haben, halten andere Terrorfahnder die Gruppierung
für eine der gefährlichsten
überhaupt.
Nun hat der »Sauerland-Prozess« angeblich Klarheit geschaffen. »Bis ins
Detail«, so der
Staatsschutzsenat, haben die in Düsseldorf Angeklagten geschildert, wie
die Ausbildung in den
Terrorcamps der Islamischen Jihad Union im pakistanisch-afghanischen
Grenzland ablief. Man
drillte die Freiwilligen für den Fronteinsatz, verpasste ihnen eine
infanteristische Ausbildung mit
leichten Waffen und gewöhnte sie an den lauten Knall von Panzerfäusten.
In kleinen, angeblich mobilen Camps nahe der Stadt Mir Ali in
Nord-Waziristan vermittelte man den
Terror-Killern, wie man aus Wasserstoffperoxid und Mehl Sprengstoff
kocht. Und genau das haben
Fritz Gelowicz sowie seine Mitangeklagten Adem Yilmaz und Daniel
Schneider angeblich versucht.
Nach (nun auch) offizieller Lesart soll sich die IJU 2002 nach
Abspaltung von der Islamischen
Bewegung Usbekistans (IBU) gegründet haben. Die Anzahl ihrer Anhänger
ist unbekannt. Die
Gruppierung habe sich dem globalen »Heiligen Krieg« verschrieben. Man
pflege Kontakte zu
Taliban und Al Qaida. Allerdings präsentiert sich die IJU durchaus als
eigenständige und
durchorganisierte Truppe. Vor allem mit Gelowicz habe die IJU-Führung
»intensiv kommuniziert«,
sagt das Bundeskriminalamt. Als Gesprächspartner werden IJU-Chef
Nashmiddin Jalolow und
dessen Vize Suhail Buranow genannt.
hei
*** Aus: Neues Deutschland, 11. August 2009
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