Welthistorische Wende
Geschichte. Voraussetzungen und Entstehungsbedingungen des Potsdamer Abkommens, sein maßgeblicher Inhalt und sein Schicksal
Von Erich Buchholz *
Obwohl das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 unmittelbar Regelungen
für Europa betraf, besitzt es enorme welthistorische Bedeutung. Nach der
Großen Sozialistischen Oktoberrevolution von 1917 war und bleibt dieses
auf der Zerschlagung des Hitlerfaschismus beruhende Abkommen das
bedeutendste Ereignis des 20. Jahrhunderts. Es wurde von den
Staatsoberhäuptern Joseph Stalin für die UdSSR, Harry S. Truman für die
USA - anstelle des im April verstorbenen Franklin D. Roosevelt - und von
Clement Attlee statt des abgewählten Winston Churchill für das
Vereinigte Königreich unterzeichnet. Frankreich und China waren
eingeladen, sich diesem Vertrag anzuschließen.
Dieses völkerrechtliche Abkommen konnte nur zustande kommen, weil und
nachdem der Hitlerfaschismus, besonders dank der letztlich
entscheidenden großen Blutopfer der Soldaten der Roten Armee,
militärisch zerschlagen worden war und sich am 8. Mai 1945 in
Berlin-Karlshorst einer bedingungslosen Kapitulation sowie der Besetzung
ganz Deutschlands durch die alliierten Truppen unterwerfen mußte. Eine
deutsche Regierung oder Staatsgewalt gab es nicht mehr. Deshalb
übernahmen die Siegermächte - wie im Potsdamer Abkommen unter »III.
Deutschland« festgelegt - durch die Oberbefehlshaber der Streitkräfte
der USA, des Vereinigten Königreichs, der UdSSR und der Französischen
Republik die »höchste Regierungsgewalt in Deutschland«.
Wie war es dazu gekommen? Meist wird das Abkommen völkerrechtlich mit
der Konferenz in Teheran (28.11.-1.12.1943) und der Krim-Konferenz in
Jalta (3.-11.2.1945) gesehen, zumal es nach der erzielten vollständigen
militärischen Niederschlagung Hitlerdeutschlands ausdrücklich auf die
Umsetzung der Erklärung von Jalta [1] gerichtet war. Indessen darf nicht
übersehen werden, daß der Verlauf des Krieges gegen Hitlerdeutschland
ausschlaggebend dafür war, daß die drei Mächte sich zur Verabschiedung
eines solchen Dokuments zusammenfinden konnten. Vergessen wir nicht:
Zunächst hatten die imperialistischen und daher antikommunistischen
Westmächte die der Kriegsvorbereitung gegen Sowjetrußland dienende
Expansionspolitik Hitlers toleriert, wenn nicht gar diesen dazu
ermutigt. Nach dem völkerrechtswidrigen Überfall auf Polen am 1.
September 1939 erklärten zwar England und Frankreich Hitlerdeutschland
den Krieg - jedoch nur pro forma. Denn es gab weder effektive politische
Aktionen oder Hilfeleistungen für Polen noch militärische Handlungen. An
der Maginot-Linie auf der französischen bzw. dem Westwall auf der
deutschen Seite fand über viele Monate ein »komischer Krieg«, ein
Sitzkrieg statt: Frankreich ließ Hitlerdeutschland in Ruhe.
Sogar als die Wehrmacht Dänemark und Norwegen bis hinauf nach Narvik im
April/Juni 1940 okkupierte und der Feldzug zur Niederwerfung Frankreichs
durch die neutralen Länder Niederlande und Belgien begann und mit dem
Waffenstillstandsvertrag von Compiègne schloß, blieben maßgebliche
militärische Handlungen der Westmächte - abgesehen von der Bombardierung
deutscher Städte und Industriestandorte - aus. Als die Hitlerwehrmacht,
die sich in aller Ruhe und vor den Augen der Welt auf den Überfall auf
die Sowjetunion hatte vorbereiten können, dann am 22. Juni 1941 mit
erheblichen Anfangserfolgen in die weltweit einzige sozialistische
Republik einmarschierte, reagierte der Westen kaum. Von Churchill sind
die Worte bekannt: »Wir wollen sehen, wer von beiden - Hitler und Stalin
- stärker ist. Dem Schwächeren werden wir dann beistehen, damit sich
beide gegenseitig auffressen.«
Als indessen die Rote Armee zunehmend erfolgreicher Widerstand leistete,
als Moskau standhaft blieb - so daß die von Hitler zum Jahreswechsel
1941/42 geplante Siegesparade auf dem Roten Platz ausfiel, auch
Leningrad sich nicht nur nicht ergab, sondern einer Blockade von
zweieinhalb Jahren trotzte und die Hitlertruppen Ende 1942 vor
Stalingrad ins Stocken gerieten -, begann sich die politische Landschaft
in der Welt zu verändern. Stalingrad brach Hitler das Genick.
Hunderttausenden Partisanen gelang es, im Hinterland der Nazis immer
erfolgreicher zu werden. Die Kapitulation der Paulus-Armee bei
Stalingrad im Januar/Februar 1943 und die Panzerschlacht bei Kursk im
Juli 1943 brachten die Wende im Kriegsverlauf.
Späte zweite Front
Wenige Monate später, Ende November/Anfang Dezember 1943, trafen sich in
Teheran erstmalig Repräsentanten der Westmächte mit Stalin, nachdem -
was oft vergessen wird - auf Drängen Stalins in Moskau am 30. Oktober
1943 eine Konferenz der Außenminister der drei Mächte zustandegebracht
worden war. Dazu hatten auch die in allen Ländern, auch denen der
späteren westlichen Alliierten, nicht zuletzt aufgrund der Erfolge der
Roten Armee unübersehbar gewordenen Forderungen von Antifaschisten nach
Zusammenarbeit mit der UdSSR beigetragen. Die deutschen Antifaschisten
hofften zunehmend auf die auch ihnen versprochene zweite Front. Die
Landung US-amerikanischer und britischer Truppen in Süditalien erschien
aber nur als eine Art vertröstende »Ersatzhandlung«.
Als die Rote Armee Ende Juli 1944 die Reichsgrenze in Ostpreußen bei
Augustow erreicht und im Frühjahr 1945 am Westufer der Oder bei Küstrin
bis Frankfurt/Oder nach und nach Brückenköpfe errichtet hatte, von denen
aus am 16. April der Sturm auf die Reichshauptstadt erfolgen sollte,
hatte sich die militärische Lage grundlegend gewandelt. Die Niederlage
Hitlerdeutschlands war in greifbare Nähe gerückt. Die Siege der Roten
Armee und der Einsatz der Sowjetvölker wurden weltweit gefeiert.
Mit dem wachsenden Zusammenwirken der Alliierten trat - auch für die
internationale Öffentlichkeit - zugleich ihre Rivalität untereinander
immer deutlicher hervor: Wer leistete mehr für den Sieg über
Hitlerdeutschland? Was zählten die Bombenangriffe auf deutsche Städte
und Betriebe? Was bewirkten sie faktisch und was psychologisch? Was
leisteten die USA mit ihren Schiffstransporten von Soldaten und Material
in den Geleitkonvois nach Europa?
Vor allem aber trat immer mehr die Frage in den Vordergrund: Wer wird
zuerst die Reichshauptstadt einnehmen? Denn wer Berlin erobert, wird
ganz sicher etwas zu sagen haben, wenn es um das Nachkriegsdeutschland
geht. Je deutlicher sich diese Perspektive abzeichnete, desto mehr hatte
sie Einfluß auf das militärische und militärpolitische Handeln der
Streitkräfte der westlichen Alliierten. Jetzt mußte wirklich eine zweite
Front geschaffen werden.
Diese wurde zwar von den USA und dem Vereinigten Königreich für 1943
geplant, aber erst am 6. Juni 1944 mit der Landung in der Normandie in
die Tat umgesetzt. Sie kam also sehr spät, zumal jeder Kriegstag für die
Rote Armee ungeheure Blutopfer bedeutete. War die späte Errichtung der
zweiten Front - im Sinne von Churchills Bekenntnis - womöglich auch
Absicht? Sie konnte jedenfalls nach den Siegen der Roten Armee nur noch
in Grenzen kriegsentscheidend sein, zumal die Wehrmacht - abgesehen von
der Ardennenoffensive im Winter 1944/1945 - den Truppen der westlichen
Alliierten nur wenig Widerstand entgegensetzen konnte, weil sie ihre
Streitmacht im Osten konzentrierte.
Daß die Sowjetunion aus diesem Krieg mit enormen menschlichen Verlusten,
wirtschaftlich massiv geschwächt und auch militärisch angeschlagen
herauskommen würde, lag auf der Hand. Da die USA mit ihrer durch den
Krieg enorm ausgebauten, gewinnträchtigen Rüstungsindustrie nicht nur
ökonomisch besonders gestärkt waren, konnten sie sich in Europa als
Militärmacht plazieren und in der kapitalistischen Welt zum Hegemon
aufrücken.
Regeln für Nachkriegsdeutschland
Das Potsdamer Abkommen war - wie bereits angedeutet - in der Sache eine
Fortsetzung der Konferenz von Jalta. Daher muß man neben ihm stets die
Erklärung von Jalta mitlesen. Wie schon auf der Krim erklärt, war es
nicht die Absicht der Alliierten, das deutsche Volk zu vernichten. Es
wird im Potsdamer Abkommen hervorgehoben, daß die Verantwortlichen für
die furchtbaren Verbrechen büßen müssen, die sie im Namen »des Volkes«
begangen hatten. Vor allem mußte definitiv verhindert werden, daß von
Deutschland aus ein neuer Weltbrand ausgelöst werden konnte. Aber es
sollte dem Land eine Perspektive in einem einheitlichen demokratischen,
antifaschistischen und friedliebenden Staat eröffnet werden.
Dazu mußte es zunächst davon überzeugt werden, daß »es eine totale
militärische Niederlage erlitten« hat (Potsdamer Abkommen, III. A. 3.)
und sich nicht der Verantwortung für in seinem Namen begangene
Verbrechen entziehen kann. Daraus folgte nicht nur das Erfordernis der
Abrüstung und Entmilitarisierung, sondern auch der Entnazifizierung, der
radikalen Eliminierung des deutschen Faschismus durch Beseitigung aller
nazistischen Gesetze. Daraus erfolgte ebenso das Erfordernis einer von
nazistischen Ideen befreiten Demokratisierung des Erziehungs- und
Gerichtswesens wie der Verwaltung und überhaupt der Demokratisierung des
gesamten gesellschaftlichen Lebens.
Die Alliierten hatten damit die Überwindung des Faschismus in
Deutschland festgeschrieben, der sich unwiderlegbar in den Köpfen der
meisten Deutschen auf diese oder jene Weise festgesetzt hatte und nur
durch besondere, längerfristige Aktivität zu überwinden war - sie hatten
den Deutschen Antifaschismus »verordnet«.
Angesichts der im Namen des deutschen Volkes begangenen Verbrechen, die
über 50 Millionen Tote einschließen, stand die Verfolgung und Bestrafung
der Kriegsverbrecher und die Auferlegung von Reparationen im Mittelpunkt
des Abkommens. Diese Passagen in den Abschnitten IV (Reparationen aus
Deutschland) und VII (Kriegsverbrecher) knüpfen an die »Moskauer
Erklärung über die Verantwortlichkeit der Hitleranhänger für begangene
Greueltaten« vom 30.Oktober 1943 an, in der die Repräsentanten der drei
alliierten Mächte feierlich versicherten, die Schuldigen »bis an das
äußerste Ende der Welt (zu) verfolgen«. Hierzu gehört dann das »Londoner
Viermächteabkommen über die Verfolgung und Bestrafung der
Hauptkriegsverbrecher der europäischen Achse« vom 8. August 1945, das
die Rechtsgrundlage für die Nürnberger Prozesse abgab - also in
zeitlichem und sachlichem Zusammenhang zum Potsdamer Abkommen. Auch zur
»Ordnungsgemäßen Überführung deutscher Bevölkerungsteile«, die »in
Polen, Tschechoslowakei und Ungarn zurückgeblieben sind« in das
verbliebene Deutschland wurden unter dem Abschnitt XIII (Festlegungen)
getroffen.[2]
In einem besonderen Abschnitt (III B) legten die Siegermächte
»Wirtschaftliche Grundsätze« für die Besatzungszeit fest, vor allem:
»Deutschland [ist] als eine wirtschaftliche Einheit zu betrachten.«
Weiterhin ist herauszustellen, daß dieses Abkommen nicht nur das
besiegte Hitlerdeutschland betraf. Im Sinne von Jalta waren auch andere
sich aus der Niederwerfung und der bedingungslosen Kapitulation
Hitlerdeutschlands ergebende Fragen zu regeln: die Zukunft Polens (IX)
und die des Königsberger Gebietes (VI), der Abschluß von
Friedensverträgen und die Zulassung zur Organisation der Vereinten
Nationen (X).
Entzweiung der Siegermächte
Näheres zum Inhalt des Abkommens muß hier nicht dargestellt werden; das
kann nachgelesen werden.[3] Bedeutsamer ist es, einige Aspekte des
Schicksals des Vertrags zu betrachten. Es muß noch einmal daran erinnert
werden, daß das Abkommen, wie schon zuvor die Erklärungen von Jalta und
Teheran, diametral entgegengesetzte politische Kräfte nur deshalb an
einen Tisch zu bringen vermochte, weil der Kriegsverlauf und Forderungen
der Öffentlichkeit sie dazu zwangen. Mit der Niederlage
Hitlerdeutschlands und seinem Ende war dieser äußere Zwang entfallen!
Gesetzmäßig traten die vor allem durch Antikommunismus und
Antisowjetismus der Westmächte charakterisierten Gegensätze wieder
hervor. Sie bestimmten zunehmend deren Politik gegenüber der Sowjetunion
und dem besiegten und besetzten Deutschland und damit maßgeblich das
Schicksal des Abkommens.
Zwar wurden von den vier Militärregierungen in ihren Besatzungszonen in
einer Anfangsperiode noch gemeinsame und weitgehend übereinstimmende
Entscheidungen getroffen - was vornehmlich Aktivitäten zur
Strafverfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechern betraf. Dazu gehört die
Durchführung der Nürnberger Prozesse, der Erlaß spezifischer
Kontrollratsgesetze, wie das KG 10 und die Kontrollratsdirektive Nr. 38,
sowie z.B. die von Besatzungsmächten selbst durchgeführten
Strafverfahren vor dem US-amerikanischen Militärgerichtshof und die
Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der britischen Besatzungszone.
Auf anderen Gebieten traten demgegenüber mehr und mehr die Unterschiede
und Gegensätze hervor. Waren zunächst auch bei den Westmächten eine
Bodenreform und zum Teil auch eine Enteignung (zumindest Sequestration)
von Vermögenswerten von Nazi- und Kriegsverbrechern in Betracht gezogen
worden, wurden diese nach dem Potsdamer Abkommen unerläßlichen Maßnahmen
nur unter der sowjetischen Besatzungsmacht in der von ihr verwalteten
Zone unverzüglich durchgeführt. Ausdruck der deutlicher werdenden
Unterschiede der Besatzungspolitik war die Veränderung der personellen
Zusammensetzung der Besatzungstruppen: Waren zunächst unter diesen,
besonders unter den französischen, ausgewiesene Antifaschisten, speziell
auch Kommunisten, so traten in der Folgezeit zunehmend
»Wirtschaftsexperten in Uniform« in Erscheinung, die vor allem die
ökonomischen Interessen ihrer Auftraggeber verfolgten.[4] Nach dem
Potsdamer Abkommen war Deutschland während der Besatzungszeit als
wirtschaftliche Einheit zu behandeln. Aber die Westmächte, vor allem die
USA, nahmen seit 1946 Kurs auf die Spaltung Deutschlands.
Wie der Kriegsverlauf das Zustandekommen der Konferenzen in Teheran,
Jalta und Potsdam bewirkte, so hatte das politische Geschehen der
Nachkriegszeit bedeutende Auswirkungen auf das Schicksal des Potsdamer
Abkommens.
Nicht zuletzt wegen der unübersehbaren militärischen Erfolge der Roten
Armee und der großen Leistungen der Völker der UdSSR hatten die
Sowjetunion und Stalin persönlich großes internationales Ansehen
erworben. Die Idee des Sozialismus gewann weltweit zunehmend an Boden
und mobilisierte die Unterdrückten allüberall, auch in den Kolonien. In
Europa hatte die Rote Armee viele Völker Osteuropas befreit und den
Osten Deutschlands besetzt, wo deutsche Antifaschisten darangingen, eine
konsequent antifaschistische, friedliebende und demokratische Ordnung
aufzubauen. Auch in Italien und Frankreich hatten dieselben Kräfte einen
beispiellosen Aufschwung erreichen können. Über eine Volksfront strebten
sie auch dort Volksdemokratien an.
Westdeutschland in die NATO
In dieser weltweiten Entwicklung sah die nach Roosevelts Tod gebildete
reaktionäre US-Administration unter Truman eine »lebensgefährliche«
Bedrohung. Hatten die USA im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges mit
verhältnismäßig geringen eigenen Opfern ihre Weltmachtposition ganz
erheblich ausbauen können, so mußten sie sich eingestehen, daß im
Ergebnis des Sieges der Roten Armee über den Hitlerfaschismus dort nicht
nur eine starke zweite - sozialistische - Weltmacht entstanden, sondern
auch politisch der Einfluß des Sozialismus in der ganzen Welt erheblich
gewachsen war. Kündigte sich damit womöglich das Ende des Imperialismus an?
Weiterhin war abzusehen, daß mit der Verwirklichung des für die
Besatzungszeit vereinbarten Potsdamer Abkommens in Gestalt eines
friedliebenden, demokratischen, antifaschistischen und einheitlichen
Deutschland den US-amerikanischen Truppen der Rechtsgrund für ihre
Anwesenheit in Deutschland - und damit in Europa - verlorengehen würde:
Man hätte die Truppen, die mit Mühe und Kosten über den »großen Teich«
nach Europa gebracht worden waren, wieder zurückziehen müssen. Das
durfte nicht sein! Aus Sicht der USA mußte unverzüglich gehandelt werden.
Mit dem Abwurf der ersten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki läuteten
sie den Kalten Krieg ein. Denn dieser Abwurf richtete sich eigentlich
nicht gegen Japan, sondern gegen die Sowjetunion - gegen Stalin
persönlich, wie Truman ihm am Rande der Konferenz im Schloß Cecilienhof
mitteilte. Dank der militärischen Erfolge Chinas und des Eintritts der
Sowjetunion im August 1945 in den Krieg gegen das bereits sehr
geschwächte Japan stand dessen Niederlage unmittelbar bevor. Japaner
wurden als »Versuchskaninchen« für den Einsatz dieser Waffe mißbraucht.
Um von vornherein ein sozialistisches oder gar kommunistisches Europa zu
verhindern, bedurfte es eines »Grundes« für die fortdauernde Anwesenheit
der US-Armee. Weiter benötigte man für die avisierte militärische
Auseinandersetzung mit der Sowjetunion das militärische Potential der
Deutschen, das durch seine geplante, aber erst 1955 erfolgte
Einbeziehung in das gegen die Sowjetunion gerichtete Militärbündnis NATO
erfolgte.
Solange das besiegte Deutschland von den Alliierten gemeinsam verwaltet
wurde, war eine solche Planung irreal. Die erste Voraussetzung für die
Durchführung der Pläne der US-Imperialisten war daher die Spaltung und
damit die faktische Liquidierung des Potsdamer Abkommens. Begonnen wurde
die Spaltung Deutschlands mit einer insgeheim langfristig, bereits im
November 1947 komplett vorbereiteten separaten Währungsreform vom Sommer
1948. Zuvor war schon im September 1947 auf der Pariser Konferenz - also
ein Dreivierteljahr vor dieser Währungsreform- die einseitige
Einbeziehung der inzwischen als eigenständige wirtschaftliche
Verwaltungseinheit errichteten (westdeutschen) Bi-Zone in die
Marshallplanhilfe mit Kapital aus den USA und entsprechender
Abhängigkeit verabredet worden. Das war währungspolitisch die
ökonomische Trennung. Es war die Spaltung Deutschlands.
Um das militärische Potential der Deutschen gegen die Sowjetunion zur
Geltung zu bringen, brauchte man einen eigenständigen westdeutschen
Staat. Üblicherweise schafft sich ein Staat, wenn notwendig, eine Armee,
in Westdeutschland lief es genau andersherum ab: Um westdeutsche, in die
NATO einzugliedernde Streitkräfte aufzubauen, bedurfte es zuvor eines
westdeutschen Staates. Dessen Gründung war somit das Vehikel für den
Aufbau der westdeutschen Armee im Rahmen der NATO.
Unmittelbar nach der separaten Währungsreform ordneten deshalb die
Militärgouverneure der drei westlichen Besatzungsmächte am 1. Juli 1948
im »Frankfurter Dokument I« an, bis zum 1. September 1948 - also
innerhalb von zwei Monaten! - für Westdeutschland einen (demokratisch
aussehenden) Verfassungskonvent einzuberufen, der eine Verfassung für
Westdeutschland ausarbeiten und verabschieden sollte.[5] Den
Westdeutschen wurde schließlich am 23. Mai 1949 - ohne ihre
demokratische Beteiligung - das Grundgesetz vorgesetzt.
Das Haupthindernis für die Einbeziehung Westdeutschlands in die NATO
waren die antifaschistischen Kräfte, voran die Kommunisten und andere
Demokraten, Sozialisten, friedliebende Bürger, die über die
spalterischen Pläne Adenauers in Sorge waren und aktiv gegen die
Einbeziehung Westdeutschlands in die NATO sowie gegen die Aufrüstung und
die Gefahr eines Bürgerkrieges auftraten. Mit allen dem gerade erst
erstandenen Staat zur Verfügung stehenden polizeilichen und juristischen
Mitteln wurde gegen diese demokratischen und friedliebenden Kräfte
vorgegangen, mit einer beispiellosen Verfolgung, die buchstäblich in
vielem an die der Nazis erinnerte.
Was lehrt uns das Zustandekommen des Potsdamer Abkommens und sein
Schicksal? Reaktionären, kriegslüsternen - imperialistischen - Kräften
kann in den Arm gefallen, und sie können an den Verhandlungstisch
gebracht werden, wenn die Völker sich unbeirrbar zusammenschließen und
ihre gemeinsame, auch militärische Stärke genügend konsequent zur
Geltung bringen. Wenn sich aber die friedliebenden Menschen und die
Völker dieser Erde durch jene imperialistischen Kräfte dividieren und
gegeneinander aufbringen lassen, rettet sie kein noch so gutes
juristisch ausgefeiltes Abkommen, kein Gesetz davor, wieder mit ihrem
Blut die Zeche zahlen zu müssen.
Anmerkungen-
Diese Erklärung enthält über die Niederwerfung Deutschlands und seine
Besetzung und Kontrolle hinaus weitere gemeinsame Unternehmungen wie die
Einberufung einer Konferenz der Vereinten Nationen für den 25. April
1945 nach San Francisco, Wiedergutmachung durch Deutschland, das
befreite Europa, Polen und Jugoslawien. Dazu gehörte die angestrebte
Zusammenarbeit der Außenminister der drei Mächte und die Bekräftigung
ihrer Einigkeit im Frieden wie im Kriege.
-
An dieser Stelle ist nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß die »Flucht«
der Deutschen aus den Ostgebieten durch die Nazibehörden befohlen und
veranlaßt wurde: Deutsches Blut sollte nicht den »Untermenschen«
überlassen bleiben.
-
Siehe www.documentarchiv.de/in/1945/potsdamer-abkommen.html
-
US-Truppen, die zunächst im Kriegsverlauf Gebiete besetzt hatten, die
gemäß Jalta zur sowjetischen Besatzungszone gehörten, transportierten
zur wirtschaftlichen Schwächung der sowjetischen Besatzungszone
Wirtschaftsgüter - vor allem Patente und wissenschaftlich-technische
Unterlagen und hoch qualifiziertes wissenschaftlich-technisches
Personal, etwa von den Zeiss-Werken in Jena - bei ihrem planmäßigen
Abzug in ihre Besatzungszone.
-
Adenauer unterlief diesen Befehl, indem er anstelle einer durch einen
Verfassungskonvent anzunehmenden westdeutschen Verfassung durch
Experten, weitab vom Volk auf einer Insel im Chiemsee, ein »Grundgesetz«
(GG) ausarbeiten und dieses durch einen von ihm installierten
»Parlamentarischen Rat« am 23. Mai 1949 sanktionieren und verkünden ließ.
* Erich Buchholz ist Jurist. Er war langjähriger Direktor der Sektion
Rechtswissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin. Von ihm ist u. a.
erschienen: »Strafrecht im Osten. Ein Abriß über die Geschichte des
Strafrechts in der DDR«.
Aus: junge Welt, 2. August 2010
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