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Trotz Verbot: PKK wächst

Arbeiterpartei Kurdistans hat ihre Mitgliederzahl in Deutschland verdoppelt. Auch plus bei Spendeneinnahmen

Von Nick Brauns *

Mit dem seit fast 20 Jahren bestehenden Betätigungsverbot gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) konnten die Aktivitäten der kurdischen Befreiungsbewegung in Deutschland nicht unterdrückt werden – im Gegenteil. Das zeigt die jetzt vorliegende Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, über »Maßnahmen gegen die Betätigung der Arbeiterpartei Kurdistans«. So hat sich die Zahl der PKK-Mitglieder in Deutschland von 6900 im Verbotsjahr 1993 auf mittlerweile 13000 fast verdoppelt. Auch das jährliche Spendenaufkommen für die PKK, das nach der Gefangennahme von Abdullah Öcalan 1999 von zuvor zehn Millionen Euro jährlich auf fünf Millionen absank, liegt nach Schätzungen des Verfassungsschutzes wieder bei über acht Millionen.

Im Februar war mit Ali Ihsan ­Kitay vor dem Oberlandesgericht Hamburg erstmals ein mutmaßlicher PKK-Kader wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach dem Strafgesetzbuchparagraphen 129b zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt worden. In diesem Verfahren hatten die Verteidiger vergeblich den Antrag auf Prüfung des völkerrechtlichen Status des Kurdistan-Konfliktes und der PKK gestellt. Es handle sich bei den Aktivitäten der PKK nicht um Terrorismus, sondern um einen durch das Völkerrecht gedeckten antikolonialen Befreiungskampf, argumentieren auch die Unterzeichner eines in dieser Woche als Reaktion auf Kitays Verurteilung veröffentlichten Hamburger Appells. Unterzeichnet wurde das Papier mit dem Titel »Für eine friedliche Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts« u.a. von Juristen, Friedensaktivisten und Abgeordneten der Linkspartei. Eine Einstufung als bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts setze »die Kenntnis konkreter Fakten des entsprechenden Falles voraus«, argumentiert dagegen die Regierung in einer Antwort auf eine entsprechende Anfrage der Linksfraktion. »Die Bundesregierung nimmt eine solche Einstufung im vorliegenden Fall nicht vor.« Diese offensichtlich fehlende Kenntnis »konkreter Fakten« zum Kurdistan-Konflikt hinderte die Bundesregierung nicht daran, der Justiz die für eine Verfolgung nach Paragraph 129b notwendige Ermächtigung gegen PKK-Kader zu erteilen. In Stuttgart und Berlin stehen zur Zeit weitere Kurden unter Terroranklage vor Gericht.

Nach jW-Informationen hatten deutsche Geheimdienstvertreter in der zweiten Hälfte der 90er Jahre mit dem PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan einen Gewaltverzicht in Deutschland im Gegenzug für eine Lockerung der Verfolgung ausgehandelt. Nach solchen Kontakten zur PKK befragt, verweist die Bundesregierung auf Dokumente, die als »Verschlußsache – Vertraulich« in der Geheimschutzstelle des Bundestages lagern. Eine offene Antwort würde »das außenpolitische Verhältnis zu anderen Staaten und deren Sicherheitsbehörden bei Bekanntwerden belasten«. Gemeint ist wohl die Türkei, deren Regierung zur Zeit selber Friedensgespräche mit dem inhaftierten PKK-Vorsitzenden führt.

Ausdrücklich begrüßt die Bundesregierung Öcalans Aufruf zu einer Waffenruhe und dem Abzug der Kämpfer aus der Türkei als einen »großen Schritt hin zu mehr gegenseitigem Vertrauen«. Selbst sieht sie dagegen keinen Handlungsbedarf. »Die friedliche Überwindung des Kurdenkonflikts auf politischem Wege ist eine innertürkische Angelegenheit«, behauptet die Bundesregierung, die die Spannungen seit Jahrzehnten durch Waffenlieferungen an die türkische Armee weiter anheizt. »Analogien zur Situation in Deutschland ergeben sich deshalb nicht.« Das PKK-Verbot sei ein Hindernis für eine Friedenslösung, beklagt dagegen Ulla Jelpke. Es sei nicht nachvollziehbar, warum Kurden in Deutschland weiterhin für das Zeigen von Fahnen mit dem Portät Öcalans bestraft würden, während gleichzeitig die türkische Regierung einen offiziellen Dialog mit dem PKK-Vorsitzenden führt.

Erst vergange Woche hatte die Polizei die Wohnungen kurdischer Aktivisten aus Mannheim, Dortmund und Hamburg durchsucht. Ihnen wird vorgeworfen, im September vorigen Jahres während eines von 40000 Menschen besuchten kurdischen Kulturfestivals in Mannheim Polizisten angegriffen zu haben. Zu der Auseinandersetzung mit zahlreichen Verletzten war es gekommen, als die Polizei einem Kind eine PKK-Fahne abnehmen wollte.

* Aus: junge Welt, Freitag, 19. April 2013


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