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Sprachrohr im Osten

Hintergrund. Der Ost-Ausschuß der Deutschen Wirtschaft vertritt die Interessen deutscher Unternehmen bei deren Expansion nach Ost- und Südosteuropa

Von Jörg Kronauer *

Putin kommt! Jochen Köckler, Vorstandsmitglied der Deutschen Messe AG, war rundum zufrieden. »Das ist ein eindrucksvoller Beleg für das internationale Renommée der Hannover Messe«, stellte er selbstbewußt fest. Da hatten Vertreter der deutschen Industrieschau und der zuständigen russischen Stellen den Vertrag unterzeichnet, der Rußland zum offiziellen Partnerland der diesjährigen Hannover Messe machte, die an diesem Montag ihre Pforten öffnet. Rainer Lindner, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, hat auf der begleitenden Pressekonferenz die jüngsten Wachstumserfolge im deutsch-russischen Handel geschildert und den Stand der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen gelobt. Direkt in Verbindung mit der Vertragsunterzeichnung hatte Köckler dann auch die Zusage bekommen, daß der russische Staatspräsident bei der Eröffnungsveranstaltung im Hannover Congress Centrum zugegen sein werde. Das war am Sonntag und bedeutete einen PR-Erfolg der Spitzenklasse: Weltweite Medienaufmerksamkeit war damit garantiert.

Die Anwesenheit Wladimir Putins und die seiner Entourage freut den Ost-Ausschuß der Deutschen Wirtschaft. Auf der Hannover Messe ist er ohnehin seit je präsent. Für dieses Jahr hat er eigens einen deutsch-russischen Wirtschaftsgipfel angekündigt, der »mit hochrangiger politischer Beteiligung« stattfindet. Darüber hinaus wird es am Rande der Messe sicherlich eine Vielzahl an Kontakten zu halten und zu knüpfen geben. Denn der Ost-Ausschuß versteht sich als derjenige deutsche Wirtschaftsverband, dem es obliegt, den deutschen Unternehmen bei ihrer Expansion nach Ost- und Südosteuropa und nach Zentralasien beizustehen. Dabei vertritt er nicht nur deren Interessen gegenüber der Bundesregierung, sondern stellt ihnen insbesondere auch sein Kontakt-Netzwerk in den Zielländern zur Verfügung. Rußland ist wohl der politisch und ökonomisch bedeutendste unter den alles in allem 21 Staaten, mit denen sich der Ost-Ausschuß heute befaßt. Eine Gelegenheit wie die diesjährige Hannover Messe kann er sich deshalb kaum entgehen lassen. In der niedersächsischen Landeshauptstadt ist von einer russischen »Rekordbeteiligung« die Rede. Unter den mehr als 100 russischen Firmen, die sich präsentieren wollen, sind Schwergewichte wie der Ölgigant Rosneft, der größte russische Röhrenproduzent TMK und der Gasriese Gasprom.

Schwergewichtiger Verband

Der Ost-Ausschuß der Deutschen Wirtschaft kann mit Fug und Recht beanspruchen, einer der bedeutendsten Verbände der deutschen Außenwirtschaft zu sein. Formal getragen wird er von fünf Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft: Vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), vom Bankenverband (BdB), vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, von der Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels und vom Zentralverband des Deutschen Handwerks. Zu seinen Mitgliedern zählen über 180 Unternehmen, darunter BASF, Daimler, E.on, REWE, Siemens, ThyssenKrupp und die Deutsche Bank. Wer Expansionsinteressen in Ost- und Südosteuropa oder in Zentralasien hat, gehört ihm heute ganz selbstverständlich an. Auch die Verbandsgremien könnten kaum prominenter besetzt sein. Als Vorstandsvorsitzender hat sich der ehemalige Metro-Chef Eckhard Cordes zur Verfügung gestellt. Als sein Stellvertreter fungiert E.on-Chef Johannes Teyssen. Zum Schatzmeister ist BDI-Hauptgeschäftsführer Markus Kerber ernannt worden. Als einfaches Vorstandsmitglied fungiert Jürgen Fitschen, einer der beiden Vorsitzenden der Deutschen Bank.

Entsprechend machtvoll kann der Ost-Ausschuß in den 21 Ländern auftreten, mit denen er sich gegenwärtig befaßt; das sind Rußland, Belarus und die Ukraine, die drei Staaten des Südkaukasus, die fünf früher sowjetischen Staaten Zentralasiens sowie zehn Staaten in Südosteuropa, darunter die EU-Mitglieder Bulgarien und Rumänien und das künftige EU-Mitglied Kroatien. Das Kosovo wird vom Ost-Ausschuß als eigener Staat gezählt. Der Verband organisiert für expansionswillige Unternehmen Delegationsreisen, Fachseminare, Konferenzen und Parlamentarische Abende und beteiligt sich an internationalen Messen. Insgesamt führt er eigenen Angaben zufolge mehr als 100 Veranstaltungen pro Jahr durch. Und er verfügt eben vor allem über die Beziehungen, ohne die man schwerlich mit Erfolg Geschäfte machen kann. Letzteres formuliert er selbst in etwas vornehmeren Worten: »Mit den Instrumenten der Wirtschaftsdiplomatie richtet er in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung Gesprächsrunden zwischen osteuropäischen Regierungsmitgliedern und deutschen Unternehmen aus«.

Die politische Bedeutung des Ost-Ausschusses läßt sich ohne einen Blick auf die traditionsreiche Geschichte des Verbandes kaum angemessen bewerten. Diese aber reicht genaugenommen bis in die Zeit der Weimarer Republik zurück. In den 1920er Jahren stärkte das Deutsche Reich, wie der Historiker Karsten Rudolph in einer ausführlichen Analyse der »Ostpolitik der westdeutschen Großindustrie« in Erinnerung ruft, seine »Sonderbeziehungen zur Sowjetunion«. Marksteine waren der Vertrag von Rapallo (1922) und der Berliner Vertrag (1926), vor allem aber auch die geheime Militärkooperation zwischen Berlin und Moskau – Abkommen und Maßnahmen, die aus deutscher Sicht den eigenen machtpolitischen Aufstieg trotz Versailles ermöglichen sollten. Beim Ausbau des bilateralen Handels habe man damals bereits an »eine lange Tradition deutsch-russischer Wirtschaftsbeziehungen« anknüpfen können, »die über die russische Oktoberrevolution und die deutsche Revolution hinweg fortgesetzt wurde«, schreibt Rudolph. Um gegenüber Moskau geschlossen auftreten zu können, bildeten deutsche Unternehmer 1928 den Rußland-Ausschuß der Deutschen Wirtschaft, der in der Debatte um die Gründung eines neuen »Ost-Ausschusses« nach 1945 nicht selten als Vorbild genannt wurde. Dem Gründungsvorstand gehörte unter anderem der Stahlhändler Otto Wolff an, dessen Sohn und Nachfolger die Geschäfte der Bundesrepublik mit der Sowjetunion entscheidend prägen sollte.

Handelspolitik im Kalten Krieg

Kaum hatten die deutschen Konzerne sich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder konsolidiert, da nahmen sie erneut die Ost-Expansion in den Blick. Freilich gab es zweierlei Probleme. Das eine bestand in der US-Embargopolitik gegenüber den sozialistischen Staaten, die den Aufbau bundesdeutscher Handelsbeziehungen mit ihnen in nennenswertem Umfang nicht zuließ. Das zweite Problem ergab sich daraus, daß die Westalliierten die »Rapallo-Politik« des Reichs in den 1920er Jahren noch in allzu schlechter Erinnerung hatten. Alles, was eine Wiederauflage der alten deutschen »Schaukelpolitik« möglich gemacht hätte, war deshalb für die frühe Bundesrepublik keinesfalls opportun. Zwar habe »die rheinisch-westfälische Industrie« bereits im Frühjahr 1950 begonnen, »gegen die Embargopolitik aufzubegehren«, schreibt Rudolph in seiner Untersuchung, doch habe die Bundesregierung all ihre Vorstöße gestoppt. Selbst die Spitze des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) habe sich fügen müssen. Der erste BDI-Präsident Fritz Berg, in den frühen 1940er Jahren noch ein hochrangiger Naziwirtschaftsfunktionär, verkündete am 28. März auf der ersten außerordentlichen BDI-Mitgliederversammlung in Bad Dürkheim: »Die gesamte westdeutsche Industrie fühlt sich der westlichen Welt engstens verbunden und ihr verpflichtet. Aus der abendländischen Kultur (…) leitet sie die beschwingenden Kräfte allen Widerstandes gegen die asiatische Überflutung her. Sie wird diesen Kampf bis zum Ende führen und hofft, ihn zu bestehen!«

Starke atlantische Töne – doch in der Bundesrepublik setzten sich schon damals im Zweifelsfall die harten Wirtschaftsinteressen durch. 1952 lief der Marshall-Plan aus. Die bundesdeutsche Exportindustrie suchte händeringend neue Möglichkeiten für den Export. Gleichzeitig begann die Sowjetunion, ihren Handel mit den Staaten des Westens zu intensivieren. Die Moskauer Weltwirtschaftskonferenz vom April 1952 brachte ihr diesbezüglich einen großen Sprung nach vorn. In deutschen Wirtschaftskreisen rumorte es immer lauter. »Warum nicht Osthandel?«, titelte im April 1952 die Wochenzeitung Der Volkswirt. Die Bundesrepublik sei »von ferne verpflichtet den USA«. Aber sie sei »nun einmal ein Teil Europas, dessen Hoffnung ein friedlicher Ausgleich mit dem ungeheuren Mächteblock des Ostens ist«. Mit Verweis darauf, daß man nicht bereit sei, der britischen und französischen Konkurrenz im Handel mit Osteuropa den Vortritt zu lassen, gewährte Bonn der deutschen Industrie jetzt freiere Bahn. Im Mai 1952 beschloß der Bundestag, daß der Handel mit den sozialistischen Staaten Osteuropas zu intensivieren sei. Im Juni beauftragte die Bundesregierung den Wirtschaftsminister, umgehend die Gründung eines dazu hilfreichen Ost-Ausschusses zu initiieren.

Die Industrie hatte freilich längst sorgfältig vorgearbeitet. Bereits im Januar 1950 hatte der BDI, »abendländische Kultur« hin, »asiatische Überflutung« her, verschiedene Wirtschaftsverbände nach ihrem Interesse an der Gründung eines »Ost-Ausschusses« befragt. Am 3. März 1950 hatte er in Köln eine »Ost-Tagung« durchgeführt, auf der, wie Rudolph berichtet, die Restriktionen im Ost-Handel als »unnatürlich« beklagt wurden. Nachdem Bonn im späten Frühjahr 1952 endlich grünes Licht gegeben hatte, gewannen die Vorbereitungen deutlich an Fahrt. Am 17. Dezember wurde schließlich der »Ost-Ausschuß der Deutschen Wirtschaft« in Köln offiziell gegründet. Der Leiter der im Bonner Wirtschaftsministerium angesiedelten »Gruppe West-Ost« hatte zuvor die Westalliierten gebeten, den kühnen Schritt nicht »in falscher Erinnerung an den Vertrag von Rapallo und das Ribbentrop-Abkommen vom August 1939« zu bewerten. Das kam praktisch einem Eingeständnis gleich: Auch damals warnte natürlich niemand ausdrücklich davor, Verdächtigungen ernst zu nehmen, wenn sie wirklich haltlos waren. Die tatsächliche politische Bedeutung der Ausschußgründung faßte Rudolph rückblickend so zusammen: »Inmitten des Kalten Krieges markierte die Gründung eines von den Spitzenverbänden der Wirtschaft getragenen Ost-Ausschusses den gewachsenen Willen der westdeutschen Industrie, die traditionellen Handelsbeziehungen nach Osten nicht abbrechen zu lassen« und »die extreme Westorientierung der Wirtschaftsbeziehungen der jungen Bundesrepublik abzuschwächen«. Es war nichts anderes als ein früher vorsichtiger Schritt in Richtung auf eine eigenständige bundesdeutsche Außen- und Machtpolitik.

Diverse Nazi-Kontinuitäten gab es damals – wie überall in der frühen Bundesrepublik – natürlich auch beim Ost-Ausschuß. Neben den organisatorischen Bezügen zum alten »Rußland-Ausschuß« und den alten Traditionen der Ost-Expansion ist in diesem Zusammenhang die wahrscheinlich einflußreichste Figur der Organisation zu nennen: ihr langjähriger Vorsitzender (1955 bis 2000) Otto Wolff von Amerongen. Amerongen war 1940 nach dem Tod seines Vaters persönlich haftender Gesellschafter des Otto Wolff-Konzerns geworden. Das Unternehmen organisierte damals, wie der Publizist Werner Rügemer recherchiert hat, die Verwertung von den Nazibesatzern im Ausland geraubter Aktien. 1942 übernahm Amerongen die Leitung der Konzernfiliale in Lissabon, wo er Rügemer zufolge in regelmäßigem Kontakt zum Salazar-Regime stand, um dem Nazireich die Lieferung des kriegswichtigen Elements Wolfram aus Portugal zu sichern.

In Amerongens Amtszeit als Ost-Ausschuß-Präsident fiel unter anderem das legendäre Erdgas-Röhren-Geschäft. Von 1960 an habe der Ost-Ausschuß »an sämtlichen Regierungsverhandlungen mit den sozialistischen Ländern über bilaterale Waren- und Zahlungsabkommen« teilgenommen, berichtet der Verband. Dazu gehörten Gespräche über einen gewaltigen Deal, der im April 1969 – übrigens auf der Hannover Messe – in den Grundzügen vereinbart wurde: Mannesmann lieferte Röhren in die Sowjetunion, die daraus eine Pipeline bauen und durch diese dann RWE mit Erdgas beliefern sollte. Die Zwischenfinanzierung übernahm die Deutsche Bank. Die Regierung in Bonn sicherte alles mit Hermes-Exportkreditgarantien ab. Das Erdgas-Röhren-Geschäft gab der Neuen Ostpolitik eine materielle Basis und sicherte damit einen der bedeutendsten außenpolitischen Kurswechsel in der Geschichte der Bundesrepublik ab.

Rohstoffkooperation

Besondere Aufgaben kamen dem Ost-Ausschuß dann wieder mit den Umbrüchen ab 1989 zu. Bereits 1988 habe er in Zusammenarbeit mit der Carl-Duisberg-Gesellschaft begonnen, Seminare für Manager aus der sich dramatisch wandelnden Sowjetunion abzuhalten, schreibt der Historiker Sven Jüngerkes in einer neuen Studie über die Geschichte des Verbandes. Am 13. Juni 1989 beehrte Michail Gorbatschow persönlich den Ost-Ausschuß mit einem Besuch in den Räumen der IHK Köln. Die Unterstützung bei der Zerschlagung der sozialistischen Systeme ging beim Ost-Ausschuß mit dem Aufbau deutscher Wirtschaftsstrukturen in Osteuropa einher: Erste Wirtschaftsrepräsentanzen entstanden etwa in Warschau, Prag und Budapest, die zu Delegiertenbüros und schließlich zu Außenhandelskammern erweitert wurden. Er habe Aufgaben »zur Unterstützung des Transformationsprozesses (…) in den jungen ost- und südosteuropäischen Demokratien und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion« übernommen, faßt der Ausschuß seine damaligen Aktivitäten in einer Selbstdarstellung zusammen. Aus deutscher Sicht war das ein voller Erfolg: Ökonomisch ist die einstige deutsche Hegemonie über Ost- und Südosteuropa längst wiederhergestellt.

Der Ost-Ausschuß ist, das zeigt seine Geschichte, polit-ökonomisch ein echtes Schwergewicht. Man tut gut daran, seine Aktivitäten nicht zu unterschätzen. Seine Projektpalette ist breit, sowohl inhaltlich als auch geographisch. Er legt zwar einen Schwerpunkt auf die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, ist aber beileibe nicht auf sie beschränkt. Im Jahr 2003 hat er etwa das »Zoran-Djindjic-Stipendienprogramm« initiiert, das es bis zu 60 »jungen Nachwuchskräften« aus den noch nicht in die EU integrierten Staaten Südosteuropas ermöglicht, eine Fortbildung in einem deutschen Unternehmen zu absolvieren. Die Firmen zahlen Krankenversicherung und Unterkunft – das geht prakisch aus der Portokasse. Für weitere Kosten springt das Berliner Entwicklungsministerium ein. Wie es beim Ost-Ausschuß heißt, lernten die Stipendiatinnen und Stipendiaten nicht nur die deutsche »Unternehmenskultur« kennen. Sie verbänden sich auch zu einem »Netzwerk von jungen Nachwuchskräften für die deutsche Wirtschaft in der Region«. Dazu werden sie in einem Alumni-Netzwerk organisiert, dessen Aufbau der Ost-Ausschuß unterstützt. Gut 80 deutsche Unternehmen haben sich bisher beteiligt – von Leoni bis zur Deutschen Bank. Kein Wunder: So günstig bekommt man selten die Nachwuchselite eines Expansionsgebiets auf dem Silbertablett präsentiert, und das auch noch fast kostenlos.

Am 26. November letzten Jahres hat im Ost-Ausschuß ein »Arbeitskreis Rohstoffkooperationen« seine Arbeit aufgenommen. Er will laut eigenen Angaben nicht nur in Rußland, sondern auch in den Staaten Zentralasiens, zum Beispiel in Kasachstan, Rohstoffprojekte begleiten und den deutschen Zugriff auf die dortigen Ressourcen stärken. Damit stellt er sich in den Dienst der Berliner Ressourcenpolitik, die seit geraumer Zeit alle Kräfte zu bündeln sucht, um in der sich verschärfenden globalen Konkurrenz der deutschen Industrie einen Spitzenplatz zu sichern. »Rußland und weitere Länder in Osteuropa und Zentralasien spielen bei der zukünftigen Versorgung der deutschen Wirtschaft mit Rohstoffen eine entscheidende Rolle«, urteilt der Sprecher des neuen Arbeitskreises, der Vorstandsvorsitzende der Verbundnetz Gas AG, Karsten Heuchert. Man bündele daher »bereits laufende Projekte und Aktivitäten«, um ihre Wirkung zu verstärken. Zu den bereits im Gang befindlichen Aktivitäten des Ost-Ausschusses gehört die Beteiligung an einem Projekt der Entwicklungsagentur GIZ, das ihm zufolge »die Rohstoffkooperation mit Zentralasien«, vor allem mit Kasachstan, intensiviert. Mit Kasachstan hat Berlin eigens eine »Rohstoffpartnerschaft« geschlossen: Das Land verfügt nicht nur über Öl und Gas in großen Mengen, sondern über viele weitere kostbare Rohstoffe, wie etwa Seltene Erden.

Interessierte Landeskunde

Über praktische Projekte und Lobbytätigkeiten hinaus schafft sich der Ost-Ausschuß inzwischen eine immer breitere Publizistik. Neben den klassischen Wirtschaftsblättchen, Business Guides und Investitionsführern weitet er vor allem die Palette der »Länder-Analysen« aus. Der Hintergrund ist unschwer zu erkennen: Wer Geschäfte machen und vielleicht sogar günstige politische Rahmenbedingungen für seine Geschäfte schaffen will, benötigt solide Kenntnisse über die Zielländer seiner Expansion. Um solide Informationen über Osteuropa und Zentralasien bemühen sich seit Jahren die Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen und die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde. Zu diesem Zweck publizieren sie diverse »Länder-Analysen«, die jeweils in zwei- bis vierwöchigem Turnus als Newsletter per E-Mail verschickt werden. »Seit dem Jahr 2008«, heißt es beim Ost-Ausschuß, habe sich dabei eine »Kooperation« entwickelt, die vor allem in der Teilfinanzierung der Analysen durch den Ausschuß und einige seiner Mitgliedsunternehmen besteht. Zuschüsse kommen übrigens auch in diesem Fall vom Entwicklungsministerium. Die Zahl der »Länder-Analysen« und damit auch die Kenntnisse über die Expan­sionsgebiete wachsen kontinuierlich: Mittlerweile gibt es regelmäßige Publikationen über Rußland, über Belarus und über die Ukraine, über die Staaten Zentralasiens und diejenigen des Kaukasus, über Polen und über das Schwarzmeergebiet.

Darüber hinaus baut der Ost-Ausschuß seine Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) aus (siehe jW-Thema vom 17.1.2013). 2008 wurde er gemeinsam mit seinem Mitglied Deutsche Bank zum Hauptfinanzier des »Rußland/Eurasien-Zentrums« der DGAP, das seit dem 1. Juli 2010 nach dem ehemaligen Krupp-Manager Berthold Beitz benannt ist. Beitz selbst war nie Mitglied im Ost-Ausschuß, allerdings der Organisation über den Krupp-Konzern verbunden und auf derselben polit-ökonomischen Baustelle, im Osthandel, aktiv. Das Berthold-Beitz-Zentrum, das 2010 allein vom Ost-Ausschuß 100000 Euro erhielt, führt hochkarätige Treffen mit Politikern und Experten aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion durch. Es unterhält, wie es schreibt, »ein erprobtes Netzwerk in der Region«. Zuletzt konnte das Zentrum etwa die Außenminister Armeniens, Kasachstans und Aserbaidschans für Vorträge vor der DGAP gewinnen. Das Zentrum hält seit einiger Zeit auch »Kamingespräche« in der russischen Botschaft und »Energiefrühstücke« ab, bei denen freilich nicht Power-Müsli konsumiert, sondern die »Zukunft der europäischen Energieversorgung« besprochen wird. Lange Zeit ist das Beitz-Zentrum von Alexander Rahr geleitet worden, einem der einflußreichsten deutschen Rußland-Experten, der zum 1. Juni 2012 als »Berater« zur BASF-Tochter Wintershall gewechselt ist. Rahr bleibe dem Zentrum, teilt die DGAP-Einrichtung mit, »auch in seiner neuen Funktion (…) verbunden«.

Rußland ist sicherlich nach wie vor der Hauptschwerpunkt der Ost-Ausschuß-Tätigkeit. Dafür stehen etwa die »Deutsch-Russischen Gespräche Baden-Baden«, die der Ausschuß im Jahr 2008 gemeinsam mit der Robert Bosch Stiftung und der BMW Stiftung Herbert Quandt initiiert hat. Jährlich kommen dort »junge Führungskräfte« aus Deutschland und aus Rußland zusammen, um gemeinsam zu debattieren; auch sie werden in Alumni-Netzwerken organisiert. Hinzu kommen zahlreiche weitere Rußland-Aktivitäten des Ost-Ausschusses. Wozu? Nun, die Kooperation mit Rußland sei von ganz eminenter politischer Bedeutung, schrieb der Ost-Ausschuß-Vorsitzende Eckhard Cordes im November 2011 im Handelsblatt. »Eine realistische Alternative« zu ihr gebe es »angesichts der wachsenden globalen Konkurrenz nicht«, wolle »Europa nicht an wirtschaftlichem und politischem Einfluß in der Weltordnung des 21. Jahrhunderts verlieren«. Die alte Vorstellung, gemeinsam mit Moskau den eigenen weltpolitischen Einfluß vergrößern zu können, ist in der ostorientierten Fraktion der deutschen Wirtschaft erhalten geblieben; sie beinhaltet ganz wie die »Rapallo-Politik« der 1920er Jahre immer auch die Option, sich machtpolitisch neben dem Westen oder gar gegen ihn zu positionieren. Der Ost-Ausschuß und auch schon sein Vorläufer, der alte Rußland-Ausschuß, haben dem deutschen Staat diese Option immer offen gehalten. Unterschwellig spielt das auch bei Putins Besuch in Hannover im Aufeinandertreffen mit Funktionären und Mitgliedern des Ost-Ausschusses eine Rolle.

* Jörg Kronauer ist Sozialwissenschaftler, freier Journalist und Redakteur bei german-foreign-policy.com.

Aus: junge Welt, Montag, 8. April 2013



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