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Sieg über Militärdiktatur

Geschichte. Im März 1920 erschüttert der Kapp-Putsch die Weimarer Republik. Ein Generalstreik kann die Reaktion vorläufig aufhalten

Von Manfred Weißbecker *

Mit dem Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch wurde bereits jener Weg eingeschlagen, der 13 Jahre später zum schmählichen Ende der Republik von Weimar führte. Schon damals begann der kaum unterbrochene, sich jedoch keineswegs zwangsläufig vollziehende Abstieg von jener parlamentarischen Demokratie, welche das Ergebnis der Novemberrevolution darstellte und Eingang in die Bestimmungen der Weimarer Verfassung gefunden hatte. Gerettet wurden Demokratie und Parlamentarismus durch einen geschichtlich einmaligen Generalstreik. Für die deutschen Linken verband sich in ihm und seither der Kampf gegen Kapp mit Auseinandersetzungen um die Frage, was am Geretteten schützenswert und verteidigungswürdig war oder nicht. In ihren Debatten spielte die Erinnerung an den Putsch stets eine zentrale Rolle.

Andererseits fragten sich die Gescheiterten, ob denn ein Putsch wirklich das richtige Mittel ihres Ringens um Machterhalt und profitable Geschäfte wäre. Zu desaströs war ihre Niederlage gewesen, zu mächtig hatte ein großer Teil der Deutschen aufbegehrt und den Versuch eines historischen Rück-Schrittes abgewehrt. Lediglich die Nazis probierten es noch einmal, als sie am 9. und 10. November des Jahres 1923 vor die Münchner Feldherrnhalle zogen.

Die Mehrheit bürgerlicher Parteien und Politiker indessen mied das Thema. Man erinnerte sich nicht gern daran und verdrängte das Geschehene. Bereits 1922 warf im Thüringer Landtag ein Politiker der Deutschen Volkspartei den Linken vor, sie würden mit ihren Warnungen vor einer Rechtsentwicklung ständig den »Kapp-Hengst« reiten, so als sei dieses Kapitel ein für allemal abgeschlossen. Schaut man auf die geschichtswissenschaftliche Forschung, so läßt sich leicht feststellen, daß in den letzten Jahren überhaupt nicht mehr zu diesem Thema gearbeitet worden ist. Die vielfältigen Schriften aus der Feder von DDR-Historikern schlummern in gewolltem Dunkel, sieht man von der hervorragenden Dokumentation ab, die Erwin Könnemann und Gerhard Schulze 2002 herausgaben. Natürlich wird in den einschlägigen Darstellungen das Ereignis vom Frühjahr 1920 behandelt, zumeist jedoch als Aktion einer Minderheit sowie als Beleg für die schlichtweg falsche These angeführt, die Weimarer Republik sei an den Angriffen von rechts und von links zugrunde gegangen. Die Tatsachen sprechen eine andere Sprache!

Der Weg zum Putsch

Von Anfang an sah sich nicht allein die Arbeiterbewegung, sondern diese bürgerlich-parlamentarische Republik in ihrer Gesamtheit vielfältigen Angriffen militaristischer, monarchistischer, konservativer und rechtsradikaler Gegner ausgesetzt. Bereits am 21. Juli 1919 hatten Teile der 40000 Mann umfassenden und bei Berlin stationierten Garde-Kavallerie-Schützen-Division den Versuch unternommen, gewaltsam die Regierung zu stürzen. Die von Hauptmann Waldemar Pabst auf eigene Faust zum Marsch nach Berlin befohlenen Einheiten wurden in letzter Minute aufgehalten. General Walther von Lüttwitz, Kommandeur des Reichswehrkommandos I, schien das Unternehmen zu improvisiert und nicht aussichtsreich genug zu sein. Ein halbes Jahr später stand er selbst an der Spitze von Putschisten, nachdem sie sich von diesem Fiasko erholt und neu zu organisieren verstanden hatten. Zu ihrem politischen Anführer schwang sich Wolfgang Kapp auf, jener Gutsbesitzer und ostpreußische Generallandschaftsdirektor, der sich 1917/18 als Mitbegründer der rechtskonservativen und eine Million Mitglieder erfassenden Deutschen Vaterlandspartei hervorgetan hatte. Seine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der Deutschen Bank und im Vorstand der DNVP sicherte ihm weitreichende Verbindungen.

Bereits im August 1919 schufen diese Kreise mit der »Nationale Vereinigung« eine Dachorganisation, die alle Aktionen der »vaterländischen« und paramilitärischen Verbände koordinierte. Ausgestattet war sie mit erheblichen Mitteln, die auch aus den Schatullen einiger Großindustrieller, u. a. Hugo Stinnes und Fritz Thyssen, stammten. Direkt unter den Augen des sich unbesorgt gebenden Reichswehrministers Gustav Noske bereitete sie sich sowohl militärisch als auch politisch auf neue antirepublikanische Aktionen vor.

Das ihr zur Verfügung stehende militärische Potential erreichte einen beträchtlichen Umfang. Es umfaßte neben der Garde-Kavallerie-Schützen-Division etwa 13000 ehemalige »Baltikumer«, die vor allem auf ostelbischen Gütern Unterkunft gefunden hatten und – getarnt als Arbeitskommandos – vom »Marsch auf Berlin« träumten. Den »Einwohnerwehren« gehörten im September 1919 in Preußen 526164 und in Bayern etwa 200000 Mitglieder an. Zahllose Freikorps, soweit sie noch nicht in die Reichswehr überführt oder unter dem Druck der Alliierten aufgelöst worden waren, standen den Putschisten fast bedingungslos zur Verfügung. Auch die anfänglich ebenfalls bewaffnete »Technische Nothilfe« stärkte die rechten Bürgerkriegstruppen.

Das militärische Potential der Konterrevolution fand reichlich Nahrung: sozial entwurzelte oder gefährdete Offiziere, von Demobilisierung bzw. Arbeitslosigkeit bedrohte Soldaten, Teile der Studentenschaft, deklassierte Abenteurer und arbeitsscheue Landsknechte. Sie waren nur allzu bereit, ihren eigenen Unterhalt und Lebenssinn auf Gedeih und Verderb mit dem der Putschisten zu verknüpfen. Erzogen zu erbittertem Haß gegen die Revolution, aufgeputscht gegen alles, was die »nationale Ehre und Größe« zu beeinträchtigen schien, verblendet von verklärender Darstellung der Verhältnisse im Vorkriegsdeutschland – so folgten sie schon 1920 skrupellos den Befehlen wider den Weimarer Staat.

Der KPD-Vorsitzende Paul Levi war es, der damals bereits die Verteidiger der Republik davor warnte, allein auf die Offiziere und deren Verhalten zu schauen. Er sprach von einer neuen Rolle der Mannschaften und von einer »Saat aus Drachenzähnen«. Gerade sein Blick auf dieses neue Phänomen lieferten ihm den lebendigen Beweis für die Richtigkeit der Marxschen Prognose, daß zwar ein großer Teil der Massen durch eine proletarische Revolution stellenweise in die Bewegung hineingerissen wird, seiner ganzen Lebenslage nach aber bereitwilliger ist, sich für reaktionäre Umtriebe korrumpieren zu lassen. Er schrieb: »Dieser Schicht sieht das Proletariat sich jetzt gegenüber. Und damit ist zugleich entschieden: Mit der Frage der Neubesetzung und Reinigung des Offizierskorps ist nur der eine Teil und nur der unwichtigere der Gesamtfrage entschieden. Der Kern der militärischen Frage in Deutschland liegt nicht im Offizierskorps, sondern in den Mannschaften. Bleiben die Waffen in der Hand der Schicht, die sie jetzt haben, so werden sie jederzeit jedem reaktionären Streich zur Verfügung stehen, wenn die Staatsstreicher nur Geld haben. Denn die Schichten, die jetzt die Waffen in der Hand haben, sind sozial wurzellos.« Das politische Lumpenproletariat nehme »von jedem, der gibt, und ist jedem zu willen, der zahlt«. Antirevolutionäres habe sich artikuliert, das aus einer tiefen sozialen Bewegung heraus gewachsen sei.

»Es muß gehandelt werden …«

Was wollten die Putschisten im März 1920? Ihnen reichte nicht aus und paßte nicht in den eigenen Kram, was die regierende Weimarer Koalition tat, um die in der Revolution erkämpften Freiheiten und sozialen Rechte der Arbeiter einzuschränken. Sie wollten gewaltsam eine Militärdiktatur errichten, nach Möglichkeit auch die Monarchie wiederherstellen. Sie dachten insbesondere an die Schaffung günstigerer innerer Bedingungen für ihren außenpolitischen Kurs, der de facto auf eine relativ rasche Revision der Ergebnisse des Ersten Weltkrieges und des Friedensvertrages von Versailles zielte.

Ihre Überlegungen kreisten dabei immer wieder um die Beseitigung des Streikrechts und des Achtstundenarbeitstages sowie um die Einführung des Arbeitszwanges. Wesentliche politische Rechte sollten beseitigt werden, die sich die Massen in der Novemberrevolution erkämpft hatten. Kapp entwarf eine »Notverfassung«, die schlicht von der Reichsverfassung des Jahres 1871 ausging und alle staatsrechtlichen Veränderungen von 1918/19 annullierte. »Kampf bis aufs Messer« gegenüber allen revolutionären Organisationen und Persönlichkeiten – dies forderte Lüttwitz Anfang März 1919 kategorisch und ultimativ von Noske. Der einflußreiche Großindustrielle Hugo Stinnes hatte bereits am 23. Januar 1919 der Regierung empfohlen, es als »Zeichen einer wahren Demokratie« zu betrachten, in Zeiten der Todesgefahr ihren Diktator zu finden. Drastisch hieß es: »Wenn Deutschland anders handelt in der heutigen Lebensgefahr, wird es kaum wieder hochkommen. Es muß gehandelt, nicht verhandelt werden.«

Obgleich man sich nicht einig wußte in der Frage, was an die Stelle der Weimarer Republik gesetzt werden sollte, glaubten die Putschvorbereiter Aufwind verspüren und erwarten zu können, als die sozialdemokratisch geführte deutsche Regierung am 13. Januar 1920 demonstrierende Arbeiter vor dem Reichstagsgebäude zusammenschießen ließ und so zu erkennen gab, daß sie sich sozialpolitischem Druck von unten nicht beugen wolle. Ihre Haltung schien die Umsturzvorbereitungen wesentlich zu erleichtern, denn mehr und mehr konnten die Putschisten auch mit einer gegen die SPD gerichteten Stimmung in der Arbeiterklasse spekulieren. Daher forderten Kapp, Lüttwitz und andere Protagonisten des nationalistischen und völkisch-radikalen Lagers lautstark Neuwahlen. Zugleich klopften sie markige Sprüche gegen den am 10. Januar 1920 in Kraft getretenen Versailler Vertrag. Die Regierung wurde beschuldigt, grundlos nationale Interessen preisgegeben zu haben und als »Fronvogt der Alliierten«, als deren »Statthalter« und als »Seelenverkäufer« zu fungieren.

Der führende Mann der Deutschnationalen Volkspartei, Karl Helfferich, zwang Reichsfinanzminister Matthias Erzberger einen Beleidigungsprozeß auf, der vom 19. Januar bis 12. März 1920 stattfand und von schamlosen Morddrohungen sowie von einem Attentat auf ihn begleitet wurde. Leider habe es sich bei dem Attentat nur um einen »Fettschuß« gehandelt, höhnte die Rheinisch-Westfälische Zeitung, ein Blatt der Schwerindustrie. Ein Jahr nach der Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs richtete sich der weiße Terror nunmehr auch gegen solche bürgerlichen Politiker, deren Haltung den Zielen der extrem reaktionären Kreise widersprach. Schlaglichtartig erhellte diese Entwicklung alle möglichen Folgen einer Politik, die der parlamentarischen Demokratie zu wenig Spielraum und deren Gegnern zu viel davon bot.

Delegitimierung der Revolution

Unter den ökonomisch Mächtigen dominierte indessen doch ein einigermaßen realistisches Gespür für die Situation. Zwar hatte sich das politische Kräfteverhältnis nach rechts verschoben, aber keinesfalls so weit, daß ein offener Angriff auf die Republik den Erfolg zu garantieren vermochte. In der Beurteilung des Kräfteverhältnisses in Deutschland sowie der Perspektiven in den internationalen Auseinandersetzungen offenbarten sich Differenzen von erheblichem Ausmaß. Die meisten Unternehmer und bürgerlichen Politiker sahen nach wie vor in der Beibehaltung jener Zugeständnisse, die sich die Massen im November 1918 erkämpft hatten, einen die kapitalistischen Gesellschafts- und Eigentumsverhältnisse stabilisierenden Faktor.

Selbst Anhänger des Putschgedankens bemühten sich vor allem – in modischer Formulierung – um eine schrittweise und demokratisch erscheinende Delegitimierung der Revolution. Ihre Forderungen nach einer Neuwahl des Reichstages und des Reichspräsidenten stützten sie mit dem Argument, man wolle nur die Verfassung erfüllen und schützen. Diese »verkappten Kappisten«, so wären sie vielleicht zu charakterisieren, schlugen Hindenburg als gemeinsamen Kandidaten aller Rechten für das Amt des Reichspräsidenten vor, wozu er am 19. November 1919 seine Zustimmung gegeben und diese am 5. März 1920 bekräftigt hatte. Selbst Kapp und Lüttwitz vertraten unterschiedliche Standpunkte. Letzterer ging von der Auffassung aus, das Zustandekommen größerer Massenaktionen gegen den beabsichtigten Putsch würde erschwert, wenn – in welcher Form auch immer – eine sozialdemokratische Mitwirkung erreicht werden könne. Daher suchte er unmittelbar vor dem Putsch ein Gespräch mit Reichskanzler Friedrich Ebert und Reichswehrminister Gustav Noske, das am 10. März stattfand, aber ohne Ergebnis endete.

Anfang März 1920 glaubten die Putschisten handeln zu müssen, selbst wenn die Situation nicht in jeder Hinsicht als »reif« betrachtet werden konnte. Sie rechneten sich größere Chancen aus, solange Truppen in beträchtlicher Zahl noch unter Waffen standen und die von den Alliierten auf Grund des Versailler Vertrages geforderte Reduzierung der Reichswehr nicht erfolgt war. Bis zum 1. April sollte das Heer endgültig auf 100000 Mann verringert werden, sollten die umfangreichen Verbände der zeitfreiwilligen und Einwohnerwehren aufgelöst sein. Als dementsprechend am 29. Februar Noske anwies, die in Döberitz bei Berlin stationierte und unter dem Kommando von Ehrhardt stehende 2. Marinebrigade aufzulösen, brüskierte Lüttwitz seinen Vorgesetzen mit einer glatten Weigerung und schließlich sogar mit einem Ultimatum. Der General forderte am 10. März die sofortige Beendigung der Truppenreduzierung, Neuwahl des Reichstages und des Reichspräsidenten sowie die Entlassung einiger Kabinettsmitglieder. Auch der Chef der Heeresleitung, General Walther Reinhardt, dem die Verschwörer mißtrauten, sollte gehen.

Die Regierung lehnte diese Forderungen ab; ihr blieb angesichts der innen- und außenpolitischen Bedingungen nichts anderes übrig. Aber es wurde nichts unternommen, um den Putsch bereits im Ansatz zu zerschlagen. Lüttwitz erhielt am folgenden Tag lediglich seine »Beurlaubung«. Gegen einige der Verschwörer ergingen völlig unwirksame Haftbefehle. Noske ließ in Döberitz sogar weiterverhandeln. Erst als in der Nacht vom 12. zum 13. März die schlagkräftigste militärische Einheit, die Ehrhardt-Brigade, mit schwarz-weiß-roten Fahnen und teilweise mit dem faschistischen Symbol des Hakenkreuzes am Stahlhelm auf Berlin zu marschieren begann, berief Noske für ein Uhr eine Sitzung mit seinen nächsten Mitarbeitern sowie mit den wichtigsten Generälen und Generalstabsoffizieren ein. Seine Erwartungen richteten sich einzig und allein auf die Reichswehr. Deren Antwort fiel eindeutig antirepublikanisch aus. Der Chef des Truppenamtes, General Hans von Seeckt, erklärte: »Haben Sie, Herr Minister, etwa die Absicht, eine Schlacht vor dem Brandenburger Tor zu dulden zwischen Truppen, die eben erst Seite an Seite gegen den Feind gekämpft haben?« Wenn Reichswehr Reichswehr niederschlage, dann wäre »die wahre Katastrophe, die mit so unendlicher Mühe am 9. November 1918 vermieden worden ist, erst richtig da«.

Die Mitteilung Noskes über das niederschmetternde Ergebnis seiner Bemühungen löste im Kabinett Bauer betroffene Hektik sowie den Beschluß aus, sofort kampflos Berlin zu verlassen. Ulrich Rauscher, Pressereferent der Reichsregierung, verfaßte in aller Eile einen Aufruf »Arbeiter! Parteigenossen!«, in dem entschiedener Widerstand gegen die Militärdiktatur gefordert und von einem »Generalstreik auf der ganzen Linie« gesprochen wurde. Auf der Flucht formulierte die sozialdemokratische Parteiführung jedoch einen weitaus schwächeren Aufruf, in dem es lediglich hieß, das deutsche Volk solle sich um die verfassungsmäßige Regierung scharen und den Putschisten keine Gefolgschaft leisten.

Indessen zogen am frühen Morgen Ehrhardt und seine Truppen mit klingendem Spiel durch das Brandenburger Tor. Kapp und einige Mitglieder der inzwischen selbsternannten neuen »Regierung« – zu diesen gehörten Traugott von Jagow, ehemals kaiserlicher Berliner Polizeipräsident, als »Innenminister«, der deutschnationale Pfarrer Gottfried Traub als »Kultusminister« und Friedrich Freiherr von Falkenhausen als neuer »Chef der Reichskanzlei« – dekretierten im Verlauf des ereignisreichen 13. März die Auflösung der Nationalversammlung sowie der Preußischen Verfassunggebenden Versammlung. Die Befehlshaber wurden angewiesen, jene Landesregierungen sofort abzusetzen, die sich nicht zu den Putschisten bekennen wollten. Lüttwitz verhängte den Ausnahmezustand über das Reich. Alle Streiks sollten verboten sein. Wer zuwiderhandelte, wurde mit der Todesstrafe bedroht. Um seine Landsknechte bei guter Stimmung zu halten, erhöhte Lüttwitz ihren Sold. Universitäten und Hochschulen wurden bis auf weiteres geschlossen; Studenten sollten als Zeitfreiwillige dem neuen Regime zur Verfügung stehen.

Am gleichen Tag begann im Präsidium des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI) die Verständigung führender Vertreter des Großkapitals über die neue Situation. Sie schwankten zwischen Furcht vor einem Generalstreik und Sympathie für den Putsch. Zurückhaltende und widersprüchliche Aussagen dominierten. Vereinzelt gab es Überlegungen, sogar Wohlwollen mit den vom Putsch bedrohten Arbeitern zu demonstrieren, doch sie wurden mehrheitlich überstimmt. Mit Kapp sollte »laufend Fühlung« gehalten werden. Als Gewerkschaftsführer zur Voraussetzung der weiteren Arbeitsgemeinschaftspolitik machten, daß der RDI ganz offiziell von der neuen Regierung abrücken und den Generalstreik unterstützen solle, weigerte sich die Mehrheit der Industriellen. Die reservierte Haltung gegenüber den Putschisten wuchs dann allerdings in dem Maße, wie deren Erfolgsaussichten schrumpften.

Das Gebot der Stunde

Generalstreik war das entscheidende Gebot der Stunde, für Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter in gleicher Weise, unabhängig von ihren jeweiligen unterschiedlichen Zielen. Bereits am Vormittag des 13. März – unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorgänge in Berlin – legten viele die Arbeit nieder. Demonstrationen und Kundgebungen wurden organisiert sowie Vorbereitungen zur Entwaffnung putschistischer Truppen sowie zur Bildung bewaffneter Arbeiterformationen getroffen. Die Führung der Aktionen übernahmen Ausschüsse, Vollzugsräte und Streikleitungen, denen häufig Vertreter aller Arbeiterparteien und der Gewerkschaften angehörten. Geleitet von der Überzeugung, daß ein Sieg der Militaristen blutigen Terror gegen alle revolutionären und demokratischen Kräfte sowie die Beseitigung der Republik mit sich bringen würde, handelten die streikenden Arbeiter weitgehend einheitlich. Dem schlossen sich auch Angestellte, Teile der werktätigen Landbevölkerung sowie Beamte, Gewerbetreibende, Schriftsteller, Künstler, Wissenschaftler, christliche, liberale und andere demokratische Kräfte an. Eine breite Abwehrfront zu Verteidigung der Republik entstand.

Am Montag, dem 15. März, war das ganze Land vom Generalstreik erfaßt. Fast überall lag die Produktion still und ruhte der Verkehr; nur lebenswichtige Betriebe und Einrichtungen arbeiteten. Rund zwölf Millionen Arbeiter und Angestellte bildeten eine Streikfront, die es in diesem Ausmaß in Deutschland noch nie gegeben hatte – und nie wieder geben sollte. Auch die Mehrheit der deutschen Beamten verweigerte sich der Putschistenclique. Sie setzte sich ebenso wie die Deutsche Demokratische Partei (DDP) für die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Zustände ein. Vergeblich versuchten die neuen Herren mit Demagogie, Lügenmeldungen und vor allem durch die Anwendung brutaler militärischer Gewalt, die Hunderte Tote und Verletzte forderte, ihre Position zu festigen. Selbst mit der von Kapp am 15. März erlassenen Verordnung, die über »Rädelsführer« und Streikposten die Todesstrafe verhängte, war die Kampffront der werktätigen Massen nicht aufzubrechen.

Am 17. März mußten Kapp und Lüttwitz abtreten – sie konnten einige Wochen später unbehelligt von den Organen der alten Regierung ins Ausland fliehen. Der in Berlin verbliebene und der DDP angehörende Vizekanzler Eugen Schiffer betraute am gleichen Tag im Auftrage Friedrich Eberts Generalmajor Seeckt mit dem Oberbefehl über die Truppen im Bereich des Berliner Reichswehrgruppenkommandos. Noch am Abend dieses Tages riefen Reichsregierung und SPD-Fraktion der Nationalversammlung zum Abbruch des Generalstreiks auf. Die, die ihre weitere Existenz dem Generalstreik verdankten, setzten Reichswehr, Freikorps und Zeitfreiwillige – darunter sogar Truppen der Putschisten wie die Marinebrigade Ehrhardt – gegen die Arbeiter ein. Deren neue Feldzüge richteten sich gegen die Linken – kaum anders als zuvor unter Kapp und Lüttwitz ...

Es waren die Aktionen der Massen, die die Errichtung einer offenen Militärdiktatur verhindert hatten. In der Niederschlagung des Kapp-Putsches vollzog sich die wirksamste und bedeutendste Einheitsaktion der deutschen Arbeiterklasse. Ihnen war die Verteidigung der demokratischen und sozialen Errungenschaften der Novemberrevolution zu verdanken. Diese zu erweitern, auszubauen und somit auch vor künftigen Angriffen zu sichern, gelang jedoch nicht. Die Chance eines weiterreichenden Sieges über die Reaktion konnte nicht verwirklicht werden. Es gelang den Herrschenden sogar, nach dem Kapp-Putsch einen Zuwachs an Macht zu erreichen, als bei den Reichstagswahlen vom 6. Juni 1920 die SPD und DDP 16,2 bzw. 10,2 Prozentpunkte an Stimmen einbüßten und ein rein bürgerliches Kabinett die Regierung übernahm.

Von Manfred Weißbecker erschien zuletzt (zusammen mit Kurt Pätzold):
Geschichte der NSDAP 1920–1945, überarbeitete und erweiterte Neuausgabe, PapyRossa Verlag.

* Aus: junge Welt, 13. März 2010

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Ein Angriff der deutschen Militärs auf die junge Weimarer Republik. Von Prof. Dr. Erwin Könnemann




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