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Verfestigte Vorbehalte

Umfrage in Frankreich und Deutschland zur Integration von Muslimen

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Zwei Drittel der Franzosen und drei Viertel der Deutschen sind überzeugt, dass die Integration der Muslime in die Gesellschaft ihrer neuen Heimat gescheitert ist. Das ergab eine Umfrage, die das französische Institut IFOP im Auftrag der Zeitung »Le Monde« parallel in beiden Ländern durchgeführt hat.

Insgesamt 42 Prozent der Franzosen und 40 Prozent der Deutschen empfinden die Existenz einer muslimischen Gemeinschaft als »Bedrohung« der Identität ihres Landes. Von den Franzosen sind 68 Prozent und von den Deutschen sogar 75 Prozent der Meinung, dass die Muslime gar nicht oder schlecht integriert sind. Doch unter diesen Befragten gehen die Meinungen über die Ursachen dafür teilweise stark auseinander. So glauben 61 Prozent der Franzosen und 67 Prozent der Deutschen, dass Muslime eine Integration »ablehnen«. Für 40 Prozent der Franzosen und 34 Prozent der Deutschen sind »die kulturellen Unterschiede zu groß«. Die Konzentration in »gettoähnlichen« Wohnvierteln ist für 37 Prozent der Franzosen und 32 Prozent der Deutschen schuld an der mangelnden Integration. Dagegen liegt die Hauptursache nur für 20 Prozent der Franzosen und 10 Prozent der Deutschen in den »wirtschaftlichen Problemen« der Muslime.

In Frankreich lehnen 59 Prozent der Befragten das Tragen von Kopftüchern durch muslimische Frauen ab, während es in Deutschland nur 45 Prozent sind. Die Deutschen sind auch toleranter gegenüber Parteien, Organisationen oder Gewerkschaften, die sich auf den Islam beziehen. Gegen solche Vereinigungen hätten 44 Prozent der Befragten nichts einzuwenden, während es in Frankreich nur 14 Prozent sind.

Das Umfrageinstitut IFOP hat festgestellt, dass sich die Vorbehalte gegenüber Muslimen mit den Jahren verhärtet haben. So sind heute 31 Prozent der Franzosen überzeugt, dass die Moslems »die westlichen Werte zurückweisen«, während es 1994 12 Prozent und 2001 17 Prozent waren. Andererseits könnten sich die Ansichten wieder ändern: Während heute Franzosen, die 50 Jahre und älter sind, zu 75 Prozent einschätzen, dass die Muslime schlecht oder gar nicht integriert sind, ist dies bei 55 Prozent der 18- bis 24-Jährigen der Fall.

Hoffen will auch Mohammed Moussaoui, Vorsitzender des Rates der Muslime Frankreichs. Die Einschätzung seiner Glaubensgemeinschaft durch die Mehrheit der Franzosen hält er für »umkehrbar« und meint: »Wir leben in einer schwierigen Zeit, in der das Bild des Islam vor allem durch Konflikte im Ausland negativ geprägt ist. Diese Verhärtungen gehen auf extreme Gruppierungen zurück, die bei weitem nicht die Mehrheit unserer Gläubigen repräsentieren, aber Angst erzeugen.« Seine Gemeinschaft in Frankreich ruft er auf, »alles zu unterlassen, was diese Spannungen noch verstärken kann«. Das reiche von der Forderung nach Halal-Speisen beim Schuloder Betriebsessen bis zu Gebetsräumen im Betrieb oder auffälligen Moschee-Neubauten. »Es geht nicht darum, dass wir uns verleugnen, sondern dass wir dem Umfeld Rechnung tragen, in dem wir leben«, mahnt der Ratsvorsitzende.

Doch sein Wort hat nur begrenzte Wirkung. So hatte er kürzlich angeregt, in den Moscheen und Gebetshallen mehrere Freitagsgebete über den Tag verteilt abzuhalten. So ließe sich vermeiden, dass diejenigen, die im Innern keinen Platz mehr finden, oft zu Hunderten auf der Straße beten. Darüber hatte sich die designierte neue Führerin der rechtsextremen Partei Front National, Marine Le Pen, öffentlich empört und in diesem Zusammenhang von einer »Besetzung wie zur Zeit des Zweiten Weltkriegs« gesprochen. Doch die Mahnung von Mohammed Moussaoui verhallte ungehört.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Januar 2011


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