Untersucht: Die Außenpolitik und der Auslandsnachrichtendienst der DDR
Buchbesprechungen von Franz-Karl Hitze und Erich Schmidt-Eenboom
Im Folgenden dokumentieren wir zwei Rezensionen zu jüngst erschienenen Büchern, die sich beide mit der Außenpolitik der ehemaligen DDR befassen - einmal mit der offiziellen Außenpolitik der Regierung, das andere Mal mit den Aktivitäten der "Hauptverwaltung Aufklärung" (HVA), dem Auslandsnachrichtendienst der DDR.
Handbuch der DDR-Außenpolitik: Sehnsucht Frieden
Von Franz-Karl Hitze *
Den drei Herausgebern sei gedankt. Es ist ihnen ein großer Wurf
gelungen. Mit dem nunmehr
vorliegenden dritten Band zur Außenpolitik der DDR ist eine einmalige
Dokumentation auf dem
Buchmarkt, die international keine vergleichbare Publikation kennt. 18
Akteure aus dem
diplomatischen Dienst des ostdeutschen Staates wagten einen Rückblick
auf die Außenpolitik der
DDR von Anbeginn bis zu deren Ende.
Hatte sich der erste Band (2004) vorrangig mit Grundfragen auswärtiger
Politik befasst, so
konzentrierte sich der zweite Band (2006) auf die Beziehungen der DDR zu
den Ländern Ost- und
Südosteuropas, zu afrikanischen Staaten und nationalen
Befreiungsbewegungen sowie auf die
Mitarbeit in der UNO. Das Hauptaugenmerk des dritten Bandes gilt nun dem
letzten Jahr der DDR.
Dementsprechend unternimmt Siegfried Bock eingangs den Versuch einer
Bilanz, »wie die DDR
ihrem Gründungsanspruch, ein würdiges und nützliches Mitglied der
internationalen
Staatengemeinschaft zu sein, gerecht wurde«.
DDR-Außenpolitik 1989/90 beschreibt Ingrid Muth. Hermann Schwiesau
untersucht die Haltung der
sozialistischen Nachbarn zur DDR in der Wendezeit. Hans Voß
rekonstruiert die Zwei-plus-Vier-
Gespräche, Werner Fleck weiß um Sorgen im Westen um die Sicherheit in
Europa angesichts eines
vereinten, größeren Deutschlands, Karl Seidel rekonstruiert die
damaligen Beziehungen zwischen
der DDR und der BRD und Ernst Krabatsch befasst sich mit der
»Achillesferse Nationale Frage«.
Zum Band gehört eine umfangreiche Zeittafel staatlicher Aktivitäten der
DDR im Ausland, auch auf
dem Gebiet der Außenwirtschaft, der Kultur und Wissenschaft sowie des
Sports. Eine tabellarische
Übersicht über die Auslandsvertretungen der DDR sowie 338 Kurzbiografien
von Ministern,
Staatssekretären und Botschaftern komplettieren den Band. Die
biografischen Skizzen
verdeutlichen, dass sich viele DDR-Diplomaten der ersten Stunde aus dem
antifaschistischen
Widerstand 1933 bis 1945 rekrutierten, KZ oder Exil hinter sich hatten -
ganz im Gegensatz zu ihren
Kollegen vom Bonner Auswärtigen Amt (AA).
Es ist nicht nur den Herausgebern hoch anzurechnen, dass eine solch
akribische und solide Arbeit
vorliegt, trotz der Sperrfrist für Personalakten im AA. Ohne die
Mithilfe zahlreicher ehemaliger
Kolleginnen und Kollegen aus dem MfAA und dem Verband für Internationale
Politik und Völkerrecht
wäre diese Zusammenstellung wohl kaum möglich gewesen. Erwähnt sei hier
noch das den
Buchtitel schmückende Gemälde von Bert Heller (1912-1970). Inspiriert
von den Zeilen der DDR-Nationalhymne
»Alle Welt sehnt sich nach Frieden, reicht den Völkern Eure Hand« hatte
er ein
Wandbild für den Weißen Salon, den Empfangsraum in der Ministeretage des
Ministeriums für
Auswärtige Angelegenheiten der DDR (MfAA), geschaffen. 1995 hatten es
die neuen Machthaber in
Berlin mit dem Abriss des Gebäudes an exklusivem Ort Unter den Linden
rücksichtslos zerstören
lassen.
Siegfried Bock/Ingrid Muth/Hermann Schwiesau (Hg.): DDR-Außenpolitik -
ein Überblick. LITVerlag, Berlin. 368 S., br., 24,90.
* Aus: Neues Deutschland, 29. Juli 2010
Auch Konkurrenzkampf
Die Aktivitäten der HVA in der Dritten Welt
Von Erich Schmidt-Eenboom **
Oberst a. D. Bernd Fischer, Mitarbeiter der HV A ab 1965, saß bereits
zehn Jahre später in der Leitung der Abteilung III der HV A, die auch
für die Dritte Welt zuständig war. Im Oktober 1989 übernahm er die
Leitung des neu geschaffenen Bereiches II (Ausland ohne Bundesrepublik).
Er kann sich in seiner Darstellung des Auslandsengagements des MfS auf
eigene Erinnerungen und die ehemaliger Kollegen stützen.
Fischer beschreibt den nachrichtendienstlichen Beitrag zur Außenpolitik
der DDR. Ab Mitte der 1950er Jahre bis zur ersten Hälfte der 1960er
Jahre arbeitete die HV A nur über legal abgedeckte Residenturen, mit
»Diplomaten mit zwei Berufen«. Die in der Westarbeit vorherrschende
»illegale Linie« wurde nur ausnahmsweise praktiziert. Unter den
Bedingungen der Hallstein-Doktrin, mit der Bonn die diplomatische
Anerkennung der DDR blockierte, war die operative Basis in den
Auslandsvertretungen der DDR relativ klein. Zu Beginn der 1970er Jahre,
nach der umfassenden völkerrechtlichen Anerkennung der DDR, erfolgte ein
massiver Ausbau der Zahl und der Größe der legal abgedeckten Stationen
mit Offizieren im besonderen Einsatz und zahlreichen IM. Zugleich deckte
die HVA damit nahezu den gesamten Globus ab, mit bewusster Ausnahme von
Israel.
Im Februar 1990 agierten noch 62 Mitarbeiter der HV A in 28 Staaten. Im
Laufe der Jahre hat der DDR-Geheimdienst Beziehungen zu 17
Partnerdiensten unterhalten, davon sechs in Nah-/Mittelost und sieben in
Schwarzafrika, sowie zu 19 Befreiungsorganisationen, davon acht im Nahen
und Mittleren Osten. Nicht zufällig gab es für Palästinensische
Widerstandsbewegungen ein eigenes Referat.
Fischer selbst hatte mit 29 Jahren 1969 die MfS-Residentur in Kairo
übernommen und in seinen fünf Jahren am Nil enge persönliche Beziehungen
zu Yassir Arafat und dessen Geheimdienstchef Abu Jihad gepflegt. Eine
»operative, auf nachrichtendienstliche Operationen oder Aktionen
orientierte Zusammenarbeit« mit den Palästinensern habe es trotz Hilfen
bei der Ausbildung nicht gegeben, so der ehemalige Statthalter von
Markus Wolf in Ägypten, wohl aber die Gewinnung von Erkenntnissen über
die Arbeit des BND und der CIA aus palästinensischen Quellen.
Die geweckte Neugier wird nicht überall im Buch befriedigt. Die
Geschichte der rund 2000 inoffiziellen Mitarbeiter, ihre Identitäten und
Operationen bleiben im Dunkeln. Gern hätte der Leser auch Genaueres
darüber erfahen, wie es der kleinen HV A in Indien und Indonesien
gelang, erfolgreiche Gegenspionageoperationen zur großen CIA
aufzuziehen. Aus dem überfrachteten Anhang sticht als auch
mentalitätsgeschichtlich interessante Anlage der Bericht von Herbert
Graf über Aktivitäten in Mosambik hervor.
Vehement weist Fischer alle Vorwürfe zurück, die DDR sei in den
internationalen Terrorismus verstrickt gewesen. Sie habe ihn zwar
aufgeklärt, bemerkt er. Und letztlich habe man auf die PLO sogar
mäßigend eingewirkt. Der Autor bestreitet auch, dass die DDR sich über
ihren Nachrichtendienst »an militärischen oder inneren
Auseinandersetzungen in Drittstaaten aktiv beteiligt« habe. Er
verschweigt andererseits nicht, dass Erich Honecker 1980 die Lieferung
von Panzern nach Äthiopien auf den Weg brachte - gegen den Rat der HV A,
so Fischer. Der Staats- und Parteichef sei beratungsresistent gewesen
und habe gern den Gönner gegeben.
Fischer versichert, der DDR-Dienst habe sich »nirgendwo in nationale
oder bilaterale Konflikte eingemischt«. Die auswärtigen Angelegenheiten
ihrer Gastländer hat das MfS dennoch zu beeinflussen versucht, vor allem
deren Beziehungen zur Bonner Republik. Zwei Beispiele sollen diesen
deutsch-deutschen Konkurrenzkampf um Einflusszonen erhellen: Als Erfolg
der HV A verbucht Fischer, dass 1964 mit Sansibar ein Durchbruch gegen
den Alleinvertretungsanspruch der BRD erzielt worden war. Im Juni 1968
erläuterte BND-Präsident Gerhard Wessel dem Vertrauensmännergremium des
Bundestags, wie man sich um die Gunst Tansanias bemühte, um
kommunistische, vor allem »sowjetzonale« Aktivitäten auf Sansibar
einzudämmen, das 1964 mit Tansania vereinigt worden war. Er verwies auf
langjährige Verbindungen zum Sicherheitsdienst des Landes sowie auf
Ausbildung, Beratung und Gerätehilfen über einen konspirativen
BND-Residenten. Gekrönt wurde diese Unterstützung 1968 durch eine
mehrwöchige Ausbildung des persönlichen Referenten und des Pressechefs
von Staatspräsident Julius Kambaraga Nyerere beim BND.
Fischer berichtet, dass die HV A in Indien mit Bombay, Kalkutta, Madras
und Neu-Delhi (ab 1972 nur noch in der Hauptstadt) gleich vier
Residenturen unterhielt. Die HV A hatte Anteil am Friedensschluss nach
dem indisch-pakistanischen Grenzkrieg 1965 in Kaschmir, half den
Folgekrieg 1971 zu beenden und begleitete 1972 die Herauslösung von
Bangladesch aus dem indischen Staatsverband. Im Wettlauf um die Gunst
des größten blockfreien Staats trug sie damit mehr als nur ein
Scherflein zugunsten der Warschauer Vertragsstaaten bei. Insbesondere
solche globalen Ambitionen Ost-Berlins waren Bonn ein Dorn im Auge. Als
der BND im Vorfeld des Staatsbesuchs von Kurt-Georg Kiesinger in Indien
im November 1967 erfuhr, dass die DDR mit Entsendung der früheren
stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats Margarete Wittkowski
»Störaktionen« vorbereitete, wurde die Operation »Igel« gestartet, die
dank der guten Beziehungen zum Partnerdienst Research and Analysis Wing
(RAW) von Erfolg gekrönt war.
Während der BND durchaus kein Geheimnis um sein Wissen über das
Engagement der DDR-Nachrichtendienste in Afrika und Nahost macht,
verschweigt er weiterhin sein eigenes in diesen Regionen, wie etwa die
Anwerbung des abgelösten ghanaischen Geheimdienstchefs Nunoo Mensah als
BND-Agent 1983. Rot hat vorgelegt, Blau müsste nachlegen. Denn erst
durch Kenntnis beider Blickwinkel wird ein endgültiges Urteil über die
Dienste der beiden deutscher Staaten möglich sein - und auch darüber,
inwieweit die westlichen Demokratien ihr freiheitliches
Gesellschaftsmodell exportierten oder Diktaturen installierten, um aus
ökonomischen Interessen den Schulterschluss zwischen Volksdemokratien in
Osteuropa und in der Dritten Welt zu verhindern.
Bernd Fischer: Als Diplomat mit zwei Berufen. Die DDR-Aufklärung in
der Dritten Welt.. Vorwort von Werner Großmann. Edition Ost, Berlin. 224
S., br., 14,90 €.
** Aus: Neues Deutschland, 29. Juli 2010
Lesen Sie auch:
Im Herzen des Gegners
Konterspionage. Die DDR-Aufklärung in den Geheimdienstzentren des Westens (Vorabdruck eines Buches über die Hauptverwaltung Aufklärung [HVA]) (14. August 2010)
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