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HiROS-Projekt: BND will in die Umlaufbahn

"Kein Kommentar" zu einem deutsch-amerikanischen Raumfahrtprojekt, das angeblich nichts mit Spionage zu tun hat

»BND-Pläne für Spionagesatelliten aufgeflogen«, titelte ND gestern und berichtete auf Grundlage von Wikileaks-Veröffentlichungen darüber, wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Bundesnachrichtendienst (BND) gemeinsam mit den USA ein in vieler Hinsicht bemerkenswertes Projekt einfädeln wollen. Die geheimen Berichte darüber aus der Berliner US-Botschaft an das US-Außenamt stammen aus der Zeit zwischen Februar 2009 und Februar 2010.
Anmerkungen von René Heilig.


Spätestens seitdem 1957 der erste Sputnik piepste, hieß es beim BND: Raumfahrt? Nur mit uns! Doch viel mehr als Lauschen war nicht drin. Erst Anfang der 70er Jahre tauchten in BND-Konzepten Ideen für einen eigenen Nachrichtensatelliten auf. 1976 schien sich für den BND ein Art Startfenster zu öffnen. Im September legte Geheimdienstgeneral Großler die erste umfassende Studie zur Raumfahrt- und Satellitenaufklärung vor.

Austausch mit Frankreich

Zu dieser Zeit besaß der BND bereits einige Bodenstationen, es gab eine Außenstelle der »Bundesstelle für Fernmeldestatistik«, in einem Steinbruch bei Schöningen befand sich eine »Versuchsstation der Bundesstelle für Fernmeldestatistik«, in Rheinhausen betrieb man mit Mitteln aus dem damaligen Bundespostministerium das »Ionosphären-Institut«. Von Anfang an arbeitete man mit dem größten US-Geheimdienst NSA zusammen.

Im August 1976 hatte der stellvertretende Bundeswehr-Generalinspekteur gegenüber einem BNDVizepräsidenten die Frage aufgeworfen, ob die Bundesrepublik auf Dauer auf eigene Satelliten als Aufklärungsplattformen verzichten könne. Beide waren sich einig: Nein! Aber: Wer führt das Kommando? Als SPD-Verteidigungsminister Hans Apel im Juni 1978 das Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr gründete, gab es Störfeuer von der BND-Lobby aus Bayern. Der CSULandesgruppenvorsitzende Friedrich Zimmermann warnte vor einer »heillosen Zersplitterung der Kräfte«.

An der Konkurrenz zwischen BND und Bundeswehr hat sich nicht viel geändert. Geändert hat sich das Niveau deutscher Weltraumrüstung. Das Militär hat 2001 ein »Kommando Strategische Aufklärung« gegründet und betreibt inzwischen – neben kosmisch gestützten Nachrichten- und Navigationsnetzen – seit Dezember 2006 ein international sehr beachtetes Satellitenaufklärungsprogramm, genannt SAR-Lupe. »Wir steuern die Systeme, wohin wir wollen, Nacht oder Wolken behindern uns im Gegensatz zu herkömmlichen Foto-Satelliten nicht«, betont Oberst Reinhard Pfaff, Abteilungsleiter für satellitengestützte Aufklärung des Kommandos.

Auch wenn sich so Gegenstände »deutlich unter einem Meter Größe« und bis zu einem Meter unter der Erdoberfläche abbilden lassen – ohne Foto-Satelliten ist das System nur die Hälfte wert. Also tat man sich bereits 2002 mit den französischen Militärs zusammen und kann deren optisches Helios- Satellitensystem nutzen. Die »Überkreuzbeschaffung« ist strategisch angelegt. Sie soll Grundlage für die Einbeziehung weiterer europäischer NATO-Staaten in die Weltraumrüstung sein.

Deutschland ist Vorreiter. Auch durch den Aufbau eines Bundeswehr-Weltraumlagezentrums, der seit 2008 betrieben wird. Erste – nichttechnische – Studien gab es bei der Luftwaffe ab 2005. Offiziell will man das »Weltraumwetter« beobachten, vor Sonnenwind, Weltraumschrott und herabstürzenden Satelliten warnen. Im Vordergrund steht anderes. Man will durch ein klares Lagebild des erdnahen Raumes rechtzeitig möglichen Anti-Satelliten-Attacken nicht freundlich gesinnter Nationen ausweichen und zugleich erdgebundene Operationen abdecken. Vorbild ist das US-Joint Space Operations Center, das beispielsweise im Jahr 2009 über 10 000 sogenannte Überflugwarnungen an die eigenen Einsatzkontingente herausgegeben hat. Etwa so: Achtung, der Russe kommt um X Uhr vorbeigeflogen, lasst euch nicht bei einer Sauerei erwischen! Ähnlich clever will die Bundeswehr bis zum Jahr 2019 auch sein.

Damit das funktioniert, gibt es einen regen Austausch mit dem zivilen Raumfahrtzentrum, das dauerhaft Personal zum Weltraumlagezentrum der Bundeswehr in Uedem abstellt. Sogar der Posten des Vizechefs ist der DLR vorbehalten. Gefördert wird das alles aus zivilen Fördertöpfen, siehe Forschungsbericht 2010 der Bundesregierung.

Ausgerechnet in diese Zeit platzen die von Wikileaks veröffentlichten geheimen Nachrichten aus der Berliner US-Botschaft zum Projekt HiROS (High Resolution Optical System). Sie zeigen, dass der BND weiter auf Kooperation mit den USA setzt und so europäische Autonomie-Bemühungen schwächt. Was den USA entgegenkommt, denn sie wollen die relativ gute Kontrolle über Europas Militär- und Spionageapparat nicht missen.

HiROS sieht den Bau von bis zu sechs Satelliten vor, die ab 2014 hoch auflösende Bilder zur Verfügung stellen könnten. Dank Infrarot-Technik auch nachts. Die Fotos sollen aus 500 bis 700 Kilometer Höhe noch Objekte von 50 Zentimeter Größe (ggf. 0,41 Meter oder besser) erkennbar machen. DLR-Manager Dr. Andreas Eckardt skizzierte vor zwei Jahren vor Kollegen das Dual-Use- Wunder. Für einen kompletten 3-D-Scan Deutschlands bräuchten drei Satelliten drei Tage. Doch es geht um andere Ansichten. Deutschland glaube, dass HiROS ein »logischer, mit niedrigem Risiko behafteter nächster Schritt ist, seine nationale Weltraum-Aufklärungsarchitektur auszubauen«, heißt es in einer US-Depesche vom 12. Februar 2009. Bei der Erweiterung seiner Fähigkeiten wolle sich Berlin »nicht mehr auf andere EU-Mitglieder wie etwa Frankreich verlassen«.

300 Millionen von Merkel

Anreger dieses Projekts ist der BND. Wie groß das Interesse der Geheimdienstler an eigenen Satelliten ist, zeigt sich – laut US-Bericht – daran, dass der BND am 9. oder 10. Februar 2009 bei Kanzlerin Merkel um Unterstützung und Geld bat (oder bitten wollte). »Es wird (von EADS) geschätzt, dass der BND 300 Millionen Euro fordert und zwischen 100 und 200 Millionen von der Kanzlerin bekommt.« Wichtig für das Projekt war ein Datum. Der 27. September 2009. Da wurde der Bundestag neu gewählt. Mit einer Union-FDP-Mehrheit sei alles kein Problem, sagte der BND, war sich aber auch sonst sicher, dass das Projekt auf jeden Fall gestartet wird. Um sich bei Washington auch wegen der Bitte um hochsensible Technologien einzuschmeicheln, stellte der deutsche Auslandsnachrichtendienst wohl in Aussicht, man werde US-Partnern Bilder zu Iran, Nordkorea, China, der Region Afghanistan/Pakistan und Afrika zur Verfügung stellen.

Wenn die US-Diplomaten nicht Halluzinationen unterliegen, dann kümmern sich alle wichtigen BND-Leute – gemeinsam mit der DLR-Spitze – um die Gunst von US-Partnern. In den US-Berichten findet sich so ganz nebenbei eine Art »Who is Who« der kosmischen Aufklärung im BND. Allen voran involviert ist Generalmajor Armin Hassenpusch, BND-Vize für militärische Angelegenheiten. Bis 2004 war er Kommandeur des Zentrums für Nachrichtenwesen der Bundeswehr, dann Stabsabteilungsleiter Militärisches Nachrichten- und Geoinformationswesen im Verteidigungsministerium.

BND-Vize Freiherr Arndt Freytag von Loringhoven – inzwischen Vize-Chef der Europa-Abteilung im Auswärtigen Amt –, traf sich mit Experten der US National Geospital Intelligence Agency (NGA), das ist eine Art Weltraumgeheimdienst, zum Essen. Auf Expertenebene verhandelten Oberst Joachim Karl Trenker, den die Luftwaffe zum BND abgestellt hat gemeinsam mit einem Oberst Gross, einem Oberstleutnant Frank Richter, einem Kapitän zur See Hoffheinz und dem Vizechef des BNDVerbindungsbüros Oberstleutnant Sven Fleissig. Von Seiten der DLR sind Manager und Experten aus Köln, Friedrichshafen, von Jenoptronik und aus Berlin-Adlershof benannt.

»Zumindest auf dem Papier soll eine rein deutsche Firma die Projektentwicklung führen.« Zwar sollten zunächst nur EADS-Astrium und das DLR für die Entwicklung verantwortlich sein, dann aber sei deutlich geworden, dass Frankreich über seine EADS-Beteiligung das Projekt torpedieren will, um das Geschäft mit eigenen kommerziellen Satelliten zu unterstützen. Deshalb sei die Entscheidung gefallen, das einschlägig erfahrene Unternehmen Orbitale Hochtechnologie Bremen (OHB) anzuheuern. Dessen Sprecher Steffen Leuthold erklärte am Dienstag, dass bislang keine Entscheidung zugunsten von OHB gefallen sei. »Das HiROS-Projekt befinde sich derzeit in der Angebotsphase.«

Angeblich nichts geheim

Da weiß er mehr, als DLR-Sprecher Andreas Schütz zugestehen will. Er will nur bestätigen, dass seit zwei Jahren ein »Projektvorschlag« für einen hochauflösenden, optischen Satelliten für staatliche Nutzungsbereiche, etwa das Krisenmanagement bei Naturkatastrophen oder wissenschaftliche Anwendungen diskutiert werde. Schütz ist sicher, dass HiROS »kein Spionagesatellit« ist und auch »kein geheimes Projekt«. Wohl bestätigt er, dass öffentlich so gut wie nie über HiROS geredet wurde.

Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmanns erklärte, man gebe grundsätzlich keine Stellungnahme zu Wikileaks-Veröffentlichungen ab. Der BND zog sich auf seine Standardauskunft zurück: »Kein Kommentar«.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Januar 2011


Erbitterter Konkurrenzkampf

Bei der Entwicklung eines Aufklärungssatelliten will Deutschland die französische Konkurrenz ausschalten

Von Knut Mellenthin **


Der deutsche Auslandsgeheimdienst BND arbeitet mit US-amerikanischen Partnern an der Entwicklung eines neuen Spionagesatelliten. Das System soll Fotos liefern, auf denen Gegenstände bis zu einer Größe von 50 Zentimetern in hoher Auflösung zu erkennen sind. Außerdem soll das Senden der Bilder deutlich schneller erfolgen als mit der bisherigen Technik. Mit dem Projekt HiROS verfolgt Deutschland nicht nur militärische Ziele, sondern strebt außerdem eine führende Stellung auf dem Weltmarkt für diese Art elektronischer Optik an. Dabei geht es vor allem darum, Frankreich als schärfsten Konkurrenten aus dem Rennen zu werfen. Deshalb soll HiROS ohne Beteiligung anderer europäischer Staaten ausschließlich in Partnerschaft mit den USA entwickelt werden. Die Abkürzung steht für High Resolution Optical System.

Das alles geht aus vier geheimen Depeschen hervor, die die konservative norwegische Tageszeitung Aftenposten am Montag ins Netz stellte. Sie stammen aus dem Wikileaks-Material und waren bisher unveröffentlicht. Aftenposten gehört nicht zu den fünf Zeitungen, die einen Deal mit Wiki­leaks-Chef Julian Assange abgeschlossen haben, sondern hat sämtliche gut 250000 Dokumente erst später auf einem bisher nicht erläuterten Umweg erhalten. Im Gegensatz zu den fünf Medien, zu denen das deutsche Nachrichtenmagazin Spiegel gehört, hat das norwegische Blatt zumindest im Fall der vier HiROS-Depeschen darauf verzichtet, die Namen von Beteiligten unkenntlich zu machen.

Auffällig ist, daß die Spiegel-Redaktion, die vor dem Beginn der Veröffentlichungen Ende November mehrere Wochen Zeit hatte, sich mit dem Wikileaks-Material vertraut zu machen, diese Depeschen der Berliner US-Botschaft anscheinend nicht bemerkt hat oder sie nicht für erwähnenswert hielt. Möglicherweise hat das etwas mit der Brisanz des Themas zu tun.

Bundesregierung und BND lehnten es ab, sich zum Bericht der Aftenposten zu äußern. Als einziger meldete sich der Sprecher des staatlichen Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), das maßgeblich an dem Projekt beteiligt ist: HiROS sei »kein Spionagesatellit« und »ebenso kein geheimes Projekt«. Es solle beispielsweise dem »Krisenmanagement bei Naturkatastrophen oder wissenschaftlichen Anwendungen« dienen.

Daß dieses Dementi unwahr ist, geht eindeutig aus einer am 14. Mai 2009 als »geheim« klassifizierten Depesche hervor. Darin wird das Treffen einer hochkarätigen BND-Delegation mit ihren Kollegen von der US National Geospatial Intelligence Agency (NGA) beschrieben, das am 8. April 2009 stattgefunden hatte. Die deutsche Gruppe wurde von BND-Vizepräsident Arndt Freytag Freiherr von Loringhoven geleitet. Auch die Namen aller anderen BND-Vertreter – durchweg Bundeswehroffiziere – stehen in dem von Aftenposten veröffentlichten Dokument. Zu der geplanten Tarnung des militärischen Projekts erklärten die Deutschen dem Bericht zufolge: »Um die politischen Reaktionen auf die Entwicklung von HiROS als nachrichtendienstlicher Satellit so gering wie möglich zu halten, wird das Programm von einer zivilen Stelle, vielleicht dem Ministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWI), verwaltet. Aus Gründen der politischen Optik werden die Satelliten von einem speziell für diesen Zweck geschaffenen ›kommerziellen Unternehmen‹ betrieben werden...«

Aus den veröffentlichten Depeschen, die allerdings nur bis zum September 2009 reichen, geht ferner hervor, daß sich HiROS zumindest damals noch im Projektstadium befand und noch nicht einmal die Finanzierung gesichert war.

** Aus: junge Welt, 5. Januar 2011


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