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Brüllendes Schweigen

Über die aktuelle Entrüstung, daß es im Auswärtigen Amt nach 1945 Faschisten gab

Von Matthias Oehme *

Man soll sich als Verleger zu Büchern besser nicht äußern, zu den eigenen nicht (klebrige Werbung), zu fremden nicht (möglicher Konkurrenzneid, säuerliche Beckmesserei). Sei’s drum, ich empfehle dennoch ein Buch aus unserem Hause, mit gutem Grund und durchaus entschuldigt; es ist ja gar nicht mehr lieferbar. Doch man findet den kompletten Text leicht im Netz. In diesem Fall: Dank an die Piraten!

Der Mensch, wenn er handelt, etwa als Friseur, trägt seit neuestem den Titel »Täter«, der Mensch, wenn er stillehält, etwa beim Friseur, heißt »Opfer«. Wozu das ausgeheckt wurde? Jeder weiß es, und diese Art Brachialstrukturalismus bedarf kaum einer Erklärung. Der Himmler und der Honecker, die sollen ein und dasselbe sein. So finden sich denn Maurer, Metzger und Massenmörder scham- und hirnlos eingesoßt in den diffusen Täterbegriff einer bürgerlich-ideologisch korrumpierten Historikerzunft. Dies nur am Rande, bevor wir diesen blödsinnigen Begriff auf die verdiente Reise ins Nichts schicken wollen, in sein eigentliches Biotop – nichtssagend, nichtswürdig, nichtig, wie er nun einmal ist.

Ein neues Buch wird gefeiert: »Das Amt und die Vergangenheit« von Eckart Conze und anderen. Basierend auf einer Studie, die Joseph Fischer noch als Außenminister in Auftrag gegeben hat. Eine Kritik ist überschrieben »Die Täter vom Amt«, das hört sich schmissig und eingängig an wie »Die drei von der Tankstelle«. Wie ekelhaft klingt hingegen »Das faschistische Auswärtige Amt – Instrument der imperialistischen Eroberungspolitik«, finden Sie nicht? Irgendwie bolschewistisch-jüdisch und zersetzend. Natürlich, so steht’s ja auch im »Braunbuch Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Westberlin«, das wir 2002 und 2005 neu aufgelegt haben. Zuerst erschien es 1965 in der DDR, in der BRD war man der Meinung, das Buch gehöre verboten, und es wurde also auch verboten. Zum Braunbuch fiel dem braungeränderten westdeutschen Feuilleton allerhand Abschätziges ein, und sein schaumgebremster Nachkriegsantisemitismus fand schnell auf den ideologischen Hauptweg zurück, der nun anders hieß, aber in die gleiche Richtung führte. Wozu denn einen Juden noch Juden schimpfen, wenn mit der Bezeichnung Kommunist prima die gleiche Wirkung erzielt werden konnte? Bei dem Rabbinersohn Albert Norden, Herausgeber dieses Braunbuchs, funktionierte das so hervorragend, daß er’s bis an sein selig Ende spürte. Und die Haupt- und Staats-, die westdeutsche Lebenslüge, daß sein Buch Lügen enthalte, reüssierte zu dem bis heute unhinterfragten Konsens der verkommenen deutschen Meinungselite.

Die ist andererseits sittlich entrüstet, wenn nach siebzig Jahren einer das Rad neu erfinden will und herausposaunt, daß es in deutschen Ämtern tatsächlich auch Faschisten gab. Die Aufregung ist so irrwitzig komisch wie die Titanic-Frage: War Hitler Antisemit? Die wortreiche Überraschtheit ergreift genau jenes Bürgertum, das uns immer weismachen will, der Faschismus sei eine lumpenproletarische Eiterbeule, fettgeworden von linkem und rechtem Totalitarismusdenken und mißleitetem Ehrgeiz psychopathischer Postkartenmaler – jenes Bürgertum eben, das mit Kapitalinteressen, Profitgier, Rassenideologie das Gesamtgebäude des deutschen Faschismus geschaffen und noch seine Trümmer treu bewacht hat.

Wir haben bei edition ost vom Braunbuch jeweils eine Auflage gedruckt, und ich entsinne mich ganz gut an das brüllende Schweigen, mit dem in der Öffentlichkeit darauf reagiert wurde, aber auch an die fassungslosen Rückfragen gelegentlich, ob das denn alles wahr sei. Aber nicht nur ganz junge oder sechzig Jahre in Blödheit gehaltene Leser meldeten sich. Den Leuten hier im Verlag klingen noch die Ohren vom Telefonterror der Kinder- und Enkelgeneration jener Nazis und Kriegsverbrecher, die sich, durch den Hingang der DDR von den letzten oktroyierten Scham- und Schuldgefühlen völlig befreit, über die Neuauflage des inkriminierten Buchs empörten, zumeist mit dem höchst einleuchtenden Argument: Wie kann man so etwas schreiben und veröffentlichen über meinen Papa; er ist nie vor Gericht gestellt oder gar verurteilt worden. – Na, wie denn auch?

Das war eine unzulässig lange Einleitung. Ich komme zu meiner Empfehlung. Wer sich »Das Amt« sparen will – die Geldausgabe und die verlogene Entrüstung –, der schlage doch einfach mal im Braunbuch auf den Seiten 233–277 im Kapitel »Diplomaten Ribbentrops im Auswärtigen Dienst Bonns« nach, dort findet sich das ganze braune Pack, von dem unser wißbegierig-naiver Joseph Fischer soeben erfahren mußte, daß es es gab. Eine Schmierenkomödie? Nun ja, 1968, als die letzte DDR-Ausgabe des Braunbuchs erschien, war der Mann erst 20 Jahre alt und lebte, wo antifaschistische Bücher verboten waren. Er ist – räusper-räusper ... – unschuldig wie ein Grüner.

* Matthias Oehme ist Berliner Verleger. Er führt die Eulenspiegelverlagsgruppe.

Aus: junge Welt, 27. Oktober 2010


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