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"Wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich"

Armutsbericht zeigt ungleiche Vermögensverteilung

Von Grit Gernhardt *

In Deutschland haben weiter wenige Menschen viel Geld und viele andere dafür wenig. Die zunehmende Ungleichheit der Vermögen führt auch weltweit zu immer größeren ökonomischen und sozialen Spannungen. Sozialverbände fordern deshalb eine Umverteilung von oben nach unten - zum Wohl der gesamten Gesellschaft.

Dass Vermögen ungleich verteilt ist, ist keine neue Nachricht, dennoch eine mit hohem Aktualitätsgehalt, wie der Entwurf des 4. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung zeigt, der »nd« vorliegt. Demnach wächst das Privatvermögen in Deutschland stark, allerdings ziehen daraus nur wenige einen Vorteil: Das reichste Zehntel der Deutschen besitzt über die Hälfte des Nettovermögens aller Haushalte, das aktuell rund zehn Billionen Euro beträgt. Dagegen verfügen 50 Prozent der Deutschen zusammen nur über ein Prozent der Geldmittel.

Selbst die Krise macht den Reichen keinen Strich durch die Rechnung: Von 2007 bis 2012 erhöhte sich das Privatvermögen insgesamt um 1,4 Billionen Euro, seit 1992 hat es sich mehr als verdoppelt. Auch weltweit steigen die privaten Geldmittel weiter an: Laut dem »Global Wealth Report«, den der Allianz-Konzern am Dienstag vorstellte, beläuft sich das Gesamtvermögen abzüglich Schulden in den 52 untersuchten Ländern auf 71,5 Billionen Euro; seit 2010 erhöhte es sich um 1,4 Prozent. Auch hier zeigt sich, wie weit die Schere zwischen Arm und Reich auseinanderklafft: Die reichsten Länder besitzen zusammengenommen 85 Prozent des globalen Vermögens, in ihnen leben aber nur 20 Prozent aller Menschen.

Aber auch in den reichen Ländern nimmt die Armutsgefahr zu: Wie das Statistische Bundesamt kürzlich mitteilte, stieg 2011 in allen deutschen Bundesländern die Zahl derjenigen, die weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung hatten.

Und die große Ungleichheit ist kein bloßes Gerechtigkeitsproblem, sondern ein Hauptgrund für die Krise, wie das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in seiner aktuellen Publikation »Böckler Impuls« feststellt. Seit der Jahrtausendwende seien die Löhne gesunken. So verringerte sich die Lohnquote gemessen am Bruttoinlandsprodukt zwischen 2001 und 2007 um fünf Prozent. Die dadurch schlechtere Binnennachfrage führte - wie das Beispiel Deutschland zeige - zu Leistungsbilanzüberschüssen zuungunsten der Nachbarländer, in denen die soziale Situation verschärft wurde, so das IMK.

Das Arbeitsministerium gibt im Armuts- und Reichtumsbericht zu, dass 40 Prozent der Vollzeitbeschäftigten - die mit den niedrigsten Einkommen - in den vergangenen Jahren Lohnverluste hinnehmen mussten, während die Entwicklung »im oberen Bereich positiv steigend« gewesen sei. Ein Hinweis zur existenziellen Bedeutung dieses Problems findet sich im Bericht nicht. Stattdessen bemerkt das Ministerium lapidar, dass dadurch das »Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung« verletzt werde. Letzteres wird auf jeden Fall durch den steigenden Reichtum verletzt, wie der Bericht zeigt: 77,7 Prozent der Deutschen stimmten demnach der Aussage »Zu großer Reichtum führt zu Spannungen in der Gesellschaft« zu. Dass Reiche ungerechtfertigte Vorteile genössen, sagten 68,3 Prozent. Nur knapp ein Fünftel der Befragten meinte dagegen, dass Vermögende ihr Geld zum Wohle der Bevölkerung einsetzten - da tut sich ein großer Spielraum für die von Opposition und Sozialverbänden geforderte Vermögensabgabe auf.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 19. September 2012

Zum Zitat im Titel

"Wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich"
Aus dem Gedicht "Alphabet" von Bertolt Brecht; die ganze Strophe:

„Reicher Mann und armer Mann,
standen da und sah’n sich an
und der Arme sagte bleich:
wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich."





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