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Grönländische Spurensuche in Kopenhagen

Von Andreas Knudsen, Kopenhagen *

Seit fast 300 Jahren ist Grönland ein Teil Dänemarks -- zunächst als Kolonie, ab 1953 als Landesteil und seit 21. Juni 2009 als autonomer Teil des Königreiches. Handel und Wandel, wissenschaftliche Forschung und nicht zuletzt daraus hervorgegangene familiäre Bande sind intensiv gewesen. Über die weite Teile der dänischen Hauptstadt verteilt gibt es Spuren, die daran erinnern.

Das kulturelle und politische Zentrum grönländischen Lebens ist die Nordatlantische Brügge. Früher wurden hier Waren von und nach Grönland und den Nordatlantik umgeschlagen und gelagert. Heute hat die Grönländische Vertretung in Dänemark, die vielleicht einmal eine richtige Botschaft wird, hier ihren Sitz. Hier gibt es Ausstellungen, Filmvorführungen und Diskussionsabende. Daneben liegt das Dänische Polarinstitut, dessen Arbeit weltweite Anerkennung genießt. Auch das Institut für Eskimologie, eine restaurierte Trankocherei und der Spiegeliglu des färöischen Künstlers Tróndur Patursson befinden sich hier.

Setzt man über mit dem Bootsbus auf die andere Seite des Hafens und setzt seine Wanderung fort bis zum Königlichen Yachthafen hinter der Kleinen Meerjungfrau, stößt man auf einen Granitblock, in dem in Bildern und Schrift ein dramatisches Kapitel der Erforschung Grönlands eingemeißelt ist. Der Stein wurde 1912 zu Ehren dreier Forscher errichtet, die 1907 auf der »Danmarksexpedition« umkamen. In Stein gehauen sind die letzten Zeilen im Tagebuch des grönländischen Jägers Jørgen Brønlund, der über den Tod des Expeditionsleiters Ludvig Mylius-Erichsen und seines Begleiters N.P. Høeg Hagen berichtet, bevor Hunger und Kälte auch ihn überwanden. Am Todestag wird den Opfern, die die raue arktische Natur forderte, gedacht.

Lenkt man die Schritte Richtung Zentrum, kommt man an einer Warde vorbei, die nach grönländischem Vorbild errichtet wurde. Warden sind kleine Steinsetzungen, mit denen die Lage von Lebensmittellagern und hinterlegten Nachrichten im wegelosen Schnee markiert werden. Im Zentrum Kopenhagens gibt es zwei wichtige Zentren grönländischen Lebens. Eines ist das dänische Nationalmuseum, das über Europas umfangreichste Sammlung grönländischer Gegenstände verfügt. Sie befasst sich mit Leben und Hinterlassenschaften aller Grönländer -- sowohl der verschiedenen eskimoischen Gruppen als auch den Wikingern, die dort Jahrhunderte lang lebten. Vor einigen Jahren unterzeichneten die Kulturministerien Dänemarks und Grönlands eine Vereinbarung, die die Rückführung von rund 10 000 grönländischen Gegenständen in Museen der Eisinsel vorsieht. Die Sammlung des Museums ist aber so groß, dass noch zahlreiche attraktive Gegenstände zu bewundern sind.

Unweit der Købmagergade, einem Einkaufsboulevard in der Altstadt Kopenhagens, liegt das Grönländische Haus. Seit 1974 haben Grönländer, die in Kopenhagen leben, hier ihren kulturellen Mittelpunkt. Zwölf Vereine nutzen die Räume, die Ausstellungen beherbergen und zu grönländischem Essen, Musik und »Kaffeemik« einladen. Kaffeemik ist eine grönländische Tradition, die mehr als nur Kaffeeklatsch, sondern auch sozialer Mittelpunkt eines Ortes ist, wenn man von Haus zu Haus geht, um sich zu treffen. Im Haus kann man auch Kunstgegenstände aus Grönland und Bücher erwerben.

Fährt man den Strandvej am Öresund entlang nach Norden, kommt man an der Statue des Polarforschers Knud Rasmussen vorbei. Der große Sohn Grönlands, halb Däne, halb Grönländer, stand sein Leben lang mit je einem Bein in jeder Kultur. Sehnsuchtsvoll steht er und späht nach einem Schiff, das ihn Grönland bringen könnte. Geschätzt wird noch heute sein Vermögen, Brücken zwischen beiden Welten zu bauen.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Februar 2010


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