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Tritt Chinchilla in Arias' Fußstapfen?

Costa Rica wählt neues Staatsoberhaupt

Von Torge Löding, San José *

In Costa Rica könnte erstmals eine Frau in das Amt des Staatsoberhauptes gewählt werden. Die frühere Vizepräsidentin Laura Chinchilla (50) hat laut Umfragen die besten Chancen, bei der Präsidentenwahl am Sonntag die meisten Stimmen zu erhalten.

Kurz vor den Wahlen am Sonntag zeichnete sich im mittelamerikanischen Costa Rica offenbar eine Trendwende ab. In den letzten Umfragen, die vor der Wahl zu Präsidentschaft und Parlament veröffentlicht werden durften, gelang es dem Mitte-Links-Kandidaten Ottón Solís von der Partei der Bürgeraktion (PAC), sich knapp vor den Kandidaten der Ultrarechten auf den zweiten Platz zu schieben. Favoritin bleibt zwar die ehemalige Vizepräsidentin Laura Chinchilla von den rechtssozialdemokratischen Partei der Nationalen Befreiung (PLN), doch ungewiss ist, ob sie die für den Sieg im ersten Wahlgang entscheidende 40-Prozenthürde überspringt. Kommt es also zu einer Stichwahl zwischen Chinchilla und Solís im März? Das werden die Wähler am 7. Februar entscheiden.

Nach zahlreichen Korruptionsskandalen ist unterdessen nicht nur das Vertrauen in die Traditionsparteien geschwunden, viele Costaricaner misstrauen dem politischen System grundsätzlich. »Bei den Wahlen 2006 und dem Referendum 2007 gab es frappierende Unregelmäßigkeiten«, konstatierte Mario Cespedes vom Studien- und Publikationszentrum Alforja gegenüber ND. Er gehört zu den Initiatoren der »Staatsbürgerlichen Wahlprüfung«, die den Wahlprozess genau unter die Lupe nehmen will. Seit Oktober 2009 wurden von der Nichtregierungsorganisation dafür mehr als 200 »Wahlprüfer« ausgebildet.

Sie sollen den Wahlberechtigten zur Seite stehen, damit die ihrem Recht auf Stimmabgabe auch folgen können und es keine Manipulation der Stimmzettel gibt. Am Wahltag sollen Verstöße über eine eigens geschaltete Hotline gesammelt werden. »Die Demokratie in Costa Rica ist in Gefahr«, mahnt Cespedes. Er kritisiert auch den Beschluss des Oberste Wahlgerichts, die sonst übliche manuelle Nachzählung aller Stimmen dieses Mal nicht vorzunehmen.

Politisch steht die Favoritin Laura Chinchilla für Kontinuität der neoliberalen Politik des scheidenden Präsidenten Óscar Arias (PLN). Wie ihr Mentor ist sie eiserne Verfechterin des CAFTA-Freihandelsabkommens zwischen den USA und Zentralamerika. Die 50-Jährige entstammt einfachen Verhältnissen, lebte als alleinerziehende Mutter und trat politisch in den 90er Jahren an die Öffentlichkeit. Die Politologin arbeitete als Beraterin für »Innere Sicherheit« im Auftrag diverser internationaler Organisationen, darunter die Interamerikanische Entwicklungsbank und die Vereinten Nationen. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre war sie Sicherheitsministerin und in der gegenwärtigen Regierung zunächst Justizministerin und Vizepräsidentin. »Innere Sicherheit« hat sie auch zu ihrem Wahlkampfthema erklärt, Aussagen zu anderen Themen muss man mit der Lupe suchen. Chinchilla verspricht nicht nur Bekämpfung der Korruption bei der Polizei, höhere Löhne und bessere Ausbildung für Polizisten. Sie will auch eine flächendeckende Videoüberwachung des öffentlichen Raums, Eingangskontrollen an Schulen sowie höhere und konsequentere Gefängnisstrafen für Kleinkriminelle durchsetzen. An Erfolge ihrer früheren Arbeit könnte die Politikerin anknüpfen, verliert sich aber völlig in ihrer Law-and-Order-Rhetorik. Ihr stramm rechter Kontrahent Otto Guevara von der Libertären Bewegung (ML) übertrifft diese Vorschläge deutlich mit einem Horrorkatalog von Abschreckung und Repression. Mitte-Links-Kandidat Ottón Solis setzt dagegen auf Prävention und Sozialpolitik.

Im Parlament hofft unterdessen die Linkspartei Frente Amplio (Breite Front), eine starke Fraktion bilden zu können. Bisher stellen die Linken einen einzigen der insgesamt 57 Parlamentarier. Wie viel Spielraum die linke Opposition bekommt, ist wichtig, denn in diesem Jahr sollen die Verhandlungen zum Assoziierungsabkommen mit der EU beendet werden. Dabei geht es auch darum, ob Costa Ricas Wohlfahrtsstaat endgültig dem neoliberalen Modell weichen muss.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Februar 2010


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