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Regierung verliert Parlament

Costa Ricas Opposition übernimmt die Kontrolle der Legislative

Von Laura Zierke, San José *

Ein Bündnis von Oppositionsparteien, das von der Linken bis zur extremen Rechten reicht, hat am Montag abend (2. Mai) die Kontrolle über Costa Ricas Legislative übernommen. Es gewann die Wahl eines neuen Parlamentspräsidenten, nachdem die rechtsliberale Regierungspartei Nationale Befreiung (PLN) nach zunehmenden Spannungen ihren eigenen Kandidaten zurückgezogen hatte. Damit endete eine Verfassungskrise, die durch das Scheitern eines ersten Wahlversuchs am vergangenen Wochenende ausgelöst worden war.

Bereits am letzten Samstag (30. April) war deutlich geworden, daß die Opposition mit 31 der insgesamt 57 bei der Wahl möglichen Stimmen rechnen konnte und somit deren gemeinsamer Kandidat Juan Carlos Mendoza von der gemäßigt linken Partei der Bürgeraktion (PAC) den Sieg sicher hatte. Daraufhin versuchte die bis dato führende PLN kurzerhand, die Wahlregelungen zu ändern, indem die Abstimmung nicht mehr wie bislang offen, sondern geheim erfolgen sollte. Costaricanische Zeitungen berichteten zudem, mehreren Oppositionsabgeordneten seien im Vorfeld der Wahl von der Regierungspartei Privilegien zugesichert worden. Diese muß sich nun dem Vorwurf des Stimmenkaufs stellen.

Die Abgeordneten der Opposition boykottierten daraufhin den ersten Wahlversuch, so daß anstatt der notwendigen 36 nur 26 Parlamentarier zur Stimmabgabe anwesend waren. Daraufhin erklärte die PLN die Stimmen der Oppositionsabgeordneten für ungültig und erklärte ihren Kandidaten, den bisherigen Parlamentsvorsitzenden Luis Gerardo Villanueva, als im Amt bestätigt. Die Opposition warf der Regierung daraufhin einen »Staatsstreich« und »Verfassungsbetrug« vor. Als Reaktion darauf nahm Villanueva seine »Wahl« nicht an, während Manrique Oviedo von der PAC ankündigte: »Wir werden so lange nicht an den Sitzungen und Gesetzesausschüssen teilnehmen, bis sich der Parlamentsvorsitz geklärt hat.«

Aufgrund der Krise war das Parlament am 1. Mai führungslos. Dadurch konnte Staatspräsidentin Laura Chinchilla nicht ihren von der Verfassung für dieses Datum vorgeschriebenen Rechenschaftsbericht den Parlamentariern vorlegen. Der Druck der Gegenparteien und Demonstrationen in den Straßen der Hauptstadt San José zwangen schließlich die PLN dazu, vollständig auf einen eigenen Kandidaten zu verzichten und zum ersten Mal seit 44 Jahren eine oppositionelle Führung des Parlaments zu akzeptieren.

Die Regierung Chinchilla verliert damit zu einem Zeitpunkt die Macht über das Parlament, an dem sie wichtige Schritte zur Umsetzung ihres Regierungsprogramms gehen müßte. Der neue Parlamentspräsident Mendoza kündigte bereits an, der seit Monaten von der Opposition kritisierte Vorschlag einer Steuerreform habe unter seiner Leitung keine Zukunft. Laura Chinchilla versicherte hingegen, mit dem neuen Direktorium zusammenarbeiten zu wollen. Politologen sehen nun jedoch große Schwierigkeiten auf die Staatschefin zukommen.

* Die Autorin arbeitet für das unabhängige Kommunikationszentrum Voces Nuestras in Costa Rica.

Aus: junge Welt, 5. Mai 2011



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