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Mehr als ein Händedruck in Nanjing

Erstmals seit 65 Jahren trafen offizielle Regierungsvertreter der Volksrepublik Chinas und Taiwans zusammen

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

Beide nennen sich China und haben diese Woche in Nanjing erstmals seit 65 Jahren offizielle Gespräche auf Regierungsebene geführt.

Das historische Treffen zwischen Regierungsvertretern der Volksrepublik China und Taiwans, das sich offiziell Republik China nennt, markiert den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung, die noch vor wenigen Jahren undenkbar schien. Auch wenn heiße politische Themen gemieden wurden, das Zustandekommen des ersten formellen Gesprächs seit Ende des chinesischen Bürgerkrieges im Jahr 1949 gilt als Meilenstein. Bisher hatten sämtliche Kontakte auf inoffizieller Ebene stattgefunden. Peking war stets sorgsam bemüht, Taiwans Souveränität mit keiner noch so unbedeutenden Geste zu legitimieren. Jetzt beginnt eine von China im Jahr 2008 eingeleitete versöhnlichere Politik Früchte zu tragen: Im Gefolge eines 2010 unterzeichneten Handelsabkommens und des schrittweisen Ausbaus der wirtschaftlichen Zusammenarbeit sind die Beziehungen genügend gereift, um auch politische Themen anzugehen.

Chen Shui-bian, Taiwans Präsident zwischen 2000 und 2008, hatte mit seinen Unabhängigkeitsbemühungen eine Verschärfung der Spannungen riskiert. Sein Nachfolger, der amtierende Präsident Ma Ying-jeou, lehnt eine formelle Unabhängigkeitserklärung ab. Zwar sprach er sich auch gegen eine Vereinigung mit der Volksrepublik aus, doch kehrte im innerchinesischen Austausch Besonnenheit ein. Beide Seiten halten sich an den sogenannten »Taiwan-Konsens«, der von einem einheitlichen China ausgeht und offen lässt, was genau damit gemeint ist.

Wang Yu-chi, Chef des Komitees für Festland-Angelegenheiten in Taipeh, eilte am Dienstag jedenfalls förmlich dem ersten Händedruck mit seinem Gastgeber Zhang Zhijun vom Pekinger Büro für Taiwan-Angelegenheiten entgegen. Die verbesserten Beziehungen seien »gewaltigen Anstrengungen vieler Menschen auf beiden Seiten« zu danken, sagte Zhang. Man müsse »selbst auferlegte Rückschläge« vermeiden.

Dass auf die wirtschaftliche Annäherung nun die politische folgen soll, das hatte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping schon im vergangenen Herbst anklingen lassen. Das politische Patt zwischen der Volksrepublik und Taiwan könne nicht endlos bestehen bleiben, erklärte er und signalisierte damit, dass er eine aktivere Linie als seine Vorgänger zu verfolgen beabsichtigt.

Um nicht die jeweilige Hauptstadt des Gegenübers mit einem Besuch zu legitimieren, fand das Treffen in Chinas vorrevolutionärer zeitweiliger Hauptstadt Nanjing statt. Einen Nachmittag lang wurde über verbesserte Kommunikation, Handel und Taiwans Rolle in regionalen Wirtschaftsverbänden diskutiert. Wang machte auch auf das Schicksal taiwanesischer Gefangener in der Volksrepublik aufmerksam und verlangte die faire Behandlung taiwanesischer Journalisten, die von den Pekinger Behörden gegängelt würden.

Das Treffen in Nanjing markiert den Beginn eines Prozesses, der nach Wangs Worten »neue Methoden und Ideen« verlangt. Tatsächlich war es in der Vergangenheit so, dass der Wunsch nach formeller Unabhängigkeit auf Taiwan stärker wurde, je mehr Druck Peking in Richtung Vereinigung ausübte. Taiwan unterhält mit den meisten Staaten nur informelle Beziehungen, ist in den Augen der Mehrheit seiner Bevölkerung jedoch ein souveräner Staat, dem lediglich die formelle Unabhängigkeit fehlt. Für die Volksrepublik dagegen ist die Insel eine abtrünnige Provinz. Am Ziel der Wiedervereinigung lässt Peking keinen Zweifel, ist jedoch zu einer Lösung nach dem Modell »Ein Land – zwei Systeme« bereit.

Noch aber wird Basisdialog betrieben: Es laufen Bemühungen zur Eröffnung eines Taiwan-Büros in Peking und einer Niederlassung Chinas in Taipeh. Eine Einladung Wangs zum Besuch Taiwans akzeptierte Zhang, ein Termin wurde jedoch noch nicht vereinbart. In Taipeh dürfte ein solches Treffen allerdings Proteste von Nationalisten auslösen. Die Emotionen kochen auf beiden Seiten der Straße von Taiwan hoch. Peking hat es mit seiner pragmatischeren Art immerhin geschafft, bei der Inselbevölkerung gewisses Vertrauen aufzubauen. Kritische Beobachter sehen das unausgesprochene Ziel der Mission Zhangs jedoch darin, Chinas Präsenz auf Taiwan zu formalisieren, damit die Volksrepublik mehr Einfluss auf Taiwans künftige politische Führer nehmen kann.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 13. Februar 2014


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