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Xi und Li übernehmen

Chinas Nationaler Volkskongreß nahm Generationenwechsel in der Führung des bevölkerungsreichsten Landes der Erde vor

Von Sebastian Carlens *

Peking ist eine Stadt, die Erfahrungen mit Massenveranstaltungen jeglichen Charakters hat: Militärparaden, Parteitage der regierenden Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) oder, wie vor fünf Jahren, die Olympischen Spiele fordern regelmäßig das verkehrsplanerische Know-how der Verantwortlichen heraus. Auch wenn der Nationale Volkskongreß (NVK), das chinesische Parlament, zu seinen Tagungen zusammentritt, bedeutet dies immer wieder eine außerordentliche Belastung der Infrastruktur: Knapp 3000 Delegierte reisen aus allen Teilen des Landes an. Der Tian’anmen-Platz, zentraler Verkehrsknotenpunkt der Hauptstadt, wird während der gesamten Tagung gesperrt. Seit Montag können die geplagten Autofahrer Pekings jedoch wieder aufatmen: Die erste Plenartagung des zwölften NVK ist beendet.

In den zwei vorangegangenen Wochen besetzte der NVK die entscheidenden Posten des Landes neu: Xi Jinping, der Generalsekretär der KPCh, ist zum Staatspräsidenten der Volksrepublik gewählt worden. Bereits im November hatte ein Parteitag der regierenden Kommunisten den Funktionär zum Nachfolger von Hu Jintao ernannt. Auf den bisherigen Premier Wen Jiabao folgt Li Keqiang. Das neue Führungsduo soll, ebenso wie seine Vorgänger, für zehn Jahre amtieren. Neben den beiden höchsten Posten, deren Inhaber spätestens seit dem Parteitag als ausgemacht galten, hatte der Kongreß etliche weitere Stellen zu vergeben. International mit Interesse beobachtet wurde dabei vor allem die Wahl des neuen Außenministers: Wang Yi ist, anders als die meisten seiner Vorgänger, kein ausgemachter Fachmann für Amerika und die USA, sondern Japanspezialist. Nach seiner Zeit als Botschafter in Tokio vertrat er China bei den Sechs-Parteien-Gesprächen mit Nordkorea, danach leitete er das Büro für Taiwan-Fragen. Beobachter werten das als strategische Entscheidung Pekings, nach dem Streit mit Japan um die Diaoyu-Inselgruppe die Beziehungen zu den asiatischen Nachbarländern höher zu gewichten. Zu viel sollte in diese Entscheidung allerdings nicht hineininterpretiert werden: Wangs Vorgänger als Außenminister, der früher Botschafter in Washington war, ist zum Staatsrat aufgestiegen und damit einflußreicher als zuvor.

Die Zahl der Ministerien soll von 27 auf 25 reduziert werden, teilte Staatsrat Ma Kai mit. Neben den vier Vizepremiers wurden mehr als die Hälfte der 25 Minister neu ernannt. Das schlechteste Wahlergebnis erzielte mit 171 Nein-Stimmen der neue Umweltminister Zhou Shengxian – eine Reaktion der Abgeordneten auf diverse Umweltskandale. Auch die Umweltkommission war abgestraft worden: Ihr Rechenschaftsbericht erhielt 850 Nein-Stimmen und 125 Enthaltungen. Das von Korruptionsaffären erschütterte Eisenbahnministerium wurde neu geordnet; seine Verwaltung wird in Zukunft vom Transportministerium übernommen. Eine weitere Änderung ist kaum wahrgenommen worden: Die seit Ende der 70er Jahre geltende »Ein-Kind-Politik« könnte demnächst ihr Ende finden. Am Sonntag wurde verkündet, daß die Nationale Bevölkerungs- und Familienplanungskommission, die bislang die Modalitäten der chinesischen Geburtenkontrolle regelte, ins Gesundheitsministerium integriert werden soll. Die China Development Research Foundation (CDRF), eine regierungsnahe Forschungseinrichtung, hatte im vergangenen Jahr auf drohende wirtschaftliche und soziale Folgen hingewiesen, die eine Fortführung dieser Politik mit sich bringen könnte: Ab dem Jahr 2030 drohe dem Land eine massive Überalterung.

Der neue Premier zeigte sich zuversichtlich, daß China »ein anhaltendes und gesundes Wachstum beibehalten und sozialen Fortschritt verfolgen« könne. Als wichtigste Ziele seiner Regierung nannte er die wirtschaftliche Entwicklung, eine höhere Lebensqualität der Bevölkerung und die Förderung von mehr Gleichberechtigung in der Gesellschaft. Die auf dem vergangenen Parteitag der KPCh angekündigte Verdoppelung der Wirtschaftsleistung und der privaten Einkommen bis 2020 sei machbar, sagte er. Dazu müsse die chinesische Wirtschaft ein jährliches Wachstum von 7,5 Prozent erreichen – 2012 lag der Wert mit 7,8 Prozent knapp darüber, 2013 soll er sich auf dem avisierten Betrag einpendeln. Den Militärhaushalt will die Regierung um 10,7 Prozent erhöhen; außerdem konnte die Volksrepublik ihre Rüstungsexporte in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppeln – das Land rangiert nun auf Platz fünf der Waffenverkäufer. Verglichen mit den USA und Rußland, die zusammen 56 Prozent aller Waffenausfuhren stellen, nimmt sich der chinesische Anteil allerdings immer noch bescheiden aus. Auch Deutschland liegt mit sieben Prozent Marktanteil deutlich vor China, international auf Platz drei.

Der neue Staatschef Xi kündigte an, die Arbeit seiner Vorgänger fortsetzen zu wollen. Es müsse gelingen, dem Volk »Vertrauen in die sozialistische Theorie, in den sozialistischen Weg und das sozialistische System« zu vermitteln, um den »chinesischen Traum zu verwirklichen«, sagte Xi.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 21. März 2013


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