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Gereizte Stimmung

Washingtons Politik gegenüber China wird mit drohendem Verlust der hegemonialen Rolle aggressiver. Peking gab bisher der Supermacht nach und verhinderte größere Konflikte

Von Knut Mellenthin *

In diesen Tagen kann man viele Prognosen über einen nahe bevorstehenden Handelskrieg zwischen den USA und China lesen. Erstere sind immer noch die größte Wirtschaftsmacht der Welt, das andere Land ist die drittgrößte, die bald an Japan vorbeiziehen und sich an die zweite Stelle schieben wird. China hat zudem im vergangenen Jahr erstmals Deutschland als »Exportweltmeister« abgelöst. Ein Handelskrieg zwischen den USA und China würde voraussehbar die Weltwirtschaft erheblich in Mitleidenschaft ziehen und vielleicht zum Auslöser der nächsten schweren Finanzkrise werden.

Im Hintergrund steht aber eine schwerwiegendere strategische Frage: Wie werden sich auf längere Sicht, im Zeitraum von vielleicht zwei, drei oder vier Jahrzehnten, die Beziehungen zwischen den beiden Staaten gestalten? Werden die USA bereit sein, in einer sich herausbildenden multipolaren Welt eine bescheidenere Rolle als bisher zu spielen? Oder werden sie ihren arroganten imperialistischen Anspruch auf weltweite Leadership auch gegen den neuen Herausforderer militärisch durchzusetzen versuchen, wenn sie ihn mit wirtschaftlichen Mitteln allein nicht mehr bremsen können?

Am 15. April ist der nächste Bericht des US-Finanzministeriums über Staaten fällig, die angeblich den Wechselkurs ihrer Währung manipulieren, um sich »unfaire« Handelsvorteile zu verschaffen. China tauchte zuletzt 1994 auf dieser Liste auf. 1995 koppelte Peking den internationalen Kurs des Renminbi an den Dollar. Diese Bindung wurde 2005 nicht zuletzt aufgrund des amerikanischen Drucks aufgehoben. In der Folgezeit stieg der Wert der chinesischen Währung um über 20 Prozent. Während der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 kehrte China zur Koppelung zurück.

Diese Maßnahme wurde aber von chinesischen Finanzpolitikern, insbesondere auch von der Leitung der Bank of China, als vorübergehende Flankierung des gigantischen Konjunkturpakets von rund 400 Milliarden Euro bezeichnet, mit dem das Land aus der damaligen Krise erfolgreich durchstartete. Zwar bestreitet Peking die amerikanischen Vorwürfe, daß der Renminbi um mindestens 40 Prozent unterbewertet sei. Andererseits deuten Äußerungen chinesischer Finanzexperten schon seit einiger Zeit auf zunehmende Bereitschaft hin, den Wechselkurs in einem bestimmten Rahmen wieder freizugeben.

Sicher würde Peking in einem solchen Fall Vorkehrungen treffen, um die Währung nicht zum Objekt von globalen Spekulanten werden zu lassen. Und wahrscheinlich ist außerdem, daß die Chancen für einen solchen Schritt durch amerikanischen Propagandalärm nicht gefördert, sondern erheblich beeinträchtigt werden. Denn der populistische Opportunismus, der US-Politiker dazu treibt, China als Sündenbock zu brandmarken und mit lautstarken Forderungen zu konfrontieren, ist andererseits für die chinesische Führung Grund genug, dem Druck nicht nachzugeben.

Verschärfung durch Kongreßwahlen

Indessen ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß das US-Finanzministerium in seinem demnächst vorzulegenden Bericht China vorwerfen wird, aus der Falschbewertung seiner Währung »unfaire« Vorteile insbesondere im Handel mit den USA zu ziehen. 130 Kongreßabgeordnete aus beiden Parteien haben eine entsprechende Forderung in einem offenen Brief an Minister Timothy Geithner erhoben. Sie verlangten darüber hinaus, China »durch eine kombinierte Strategie legaler Aktionen und internationalen Drucks« zur Aufwertung zu zwingen. »Falls diese Bemühungen nicht zum Erfolg führen, fordern wir die Regierung auf, alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente in Betracht zu ziehen, einschließlich der Erhebung von Zöllen auf chinesische Importe«, hieß es weiter in dem Brief der Abgeordneten. Einer der Initiatoren, der Demokrat Michael Michaud, drohte bei der Vorstellung des Briefes vor der Presse: »Wenn die Regierung es unterläßt, zu diesem Thema aktiv zu werden, wird sie die Erholung unserer Wirtschaft aufhalten und die Fähigkeit der kleinen amerikanischen Geschäftsleute und Fabrikanten beschädigen, ihre Produktion zu steigern, ihre Unternehmen offen zu halten und neue Arbeitsplätze zu schaffen.«

Zahlreiche Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände, die sich zur Fair Currency Coali­tion (Koalition für faire Währung) zusammengeschlossen haben, wettern schon seit Jahren, daß Amerikas Wohlstand und Arbeitsplätze »nach China transferiert« oder gar »von den Chinesen gestohlen« würden. Dieser Vorwurf hat mittlerweile in einer rein fiktiven Zahl Gestalt angenommen: Durch das Ungleichgewicht im Handel mit der Volksrepublik seien den USA in den letzten Jahren 2,4 Millionen Arbeitsplätze verlorengegangen. In Wirklichkeit sind die Ursachen für den schon seit Jahrzehnten anhaltenden Niedergang der US-amerikanischen Industrie vielfältig und nicht einmal annähernd auseinanderzurechnen.

Besondere Aktualität und Schärfe bekommt das Thema jetzt dadurch, daß am 2. November Kongreßwahlen stattfinden. Alle 435 Abgeordneten und 36 der 100 Senatoren sind neu zu wählen. Die Anprangerung Chinas als Sündenbock für die hausgemachte Finanz- und Wirtschaftskrise der Vereinigten Staaten wird dabei eine wesentliche Rolle spielen. Kaum ein Parlamentarier, der um seine Wiederwahl kämpfen muß, wird sich dieser Stimmungsmache entziehen oder ihr gar öffentlich widersprechen. Umfragen zeigen, daß 70 Prozent der US-Amerikaner China für eine wirtschaftliche Bedrohung halten und immerhin jeder zweite das ostasiatische Land auch als militärische Gefähr ansieht.

Wie geschlossen die Kongreßmitglieder am populistischen China-Bashing teilnehmen oder sich ihm unterordnen, bewies eine Abstimmung im Abgeordnetenhaus am 16. März: Mit nur einer einzigen Gegenstimme – der des konservativen Isolationisten Ronald Paul – wurde eine Solidaritätsresolution für Falun Gong verabschiedet. Die Gruppe, die ein seitenverkehrtes Hakenkreuz als Symbol benutzt, tarnt sich in China als meditative Sekte, ist aber vor allem eine im Ausland agierende antikommunistische Propagandazentrale. Unter anderem warnt sie mit gefälschtem Material im Stil der »Protokolle der Weisen von Zion« davor, daß China auf dem Weg zur Weltherrschaft die Bevölkerung der USA und Kanadas mit biologischen Waffen ausrotten wolle, um anschließend Nordamerika mit Chinesen zu besiedeln. In der bewußt provokatorisch formulierten Resolution werden Präsident Barack Obama und alle Kongreßmitglieder aufgefordert, den elften Jahrestag des Verbots von Falun Gong am 20. Juli zum Anlaß offizieller Solidaritätserklärungen zu nehmen. Außerdem sollen sie Treffen mit Falun-Gong-Vertretern arrangieren, »wann immer und wo immer das möglich ist«.

Beiderseitige Abhängigkeiten

Die zu erwartende Auflistung Chinas als »Währungsmanipulator« im Bericht des Finanzministeriums wird trotzdem voraussichtlich keinen Handelskrieg zur Folge haben. Sie könnte in vorsichtigen, mehrdeutigen Formulierungen erfolgen, und sie würde jedenfalls keinen sofortigen Automatismus von protektionistischen Maßnahmen auslösen. Zunächst einmal wird das Thema in jetzt schon angekündigten Diskussionen zwischen Finanz- und Wirtschaftsvertretern beider Seiten behandelt werden, die im Mai stattfinden sollen. Pekings Politiker haben zwar öffentlich mit Reaktionen gedroht, falls die US-Regierung chinesische Importe durch Strafzölle verteuern und einschränken will. Andererseits hat die Volksrepublik bisher hingenommen, daß die USA seit September 2009 solche Zölle in teilweise beträchtlicher Höhe bereits für eine ganze Reihe ihrer Produkte eingeführt haben. Darunter sind Autoreifen, Stahlrohre, beschichtetes Papier und Chemikalien, die für die Herstellung von Reinigungsmitteln benutzt werden. Chinas bisherige Zurückhaltung deutet auf die Absicht hin, den Streit nicht eskalieren zu lassen, sondern einzudämmen.

Viele internationale Finanzexperten, darunter auch US-Amerikaner, bestreiten, daß die geforderte Aufwertung des Renminbi zur Verwirklichung der von Obama verkündeten hochgesteckten Ziele beitragen könnte. So sollen die gesamten Exporte der USA in den nächsten fünf Jahren verdoppelt, zwei Millionen neue Jobs geschaffen und das Defizit im Handel mit China entscheidend verringert werden. Dieses Defizit lag 1985 lediglich bei sechs Millionen Dollar, 1989 bereits bei 6,2 Milliarden, überstieg 2002 erstmals die 100-Milliarden-Grenze, verdoppelte sich bis 2005 auf 202 Milliarden und betrug im vergangenen Jahr 226,8 Milliarden Dollar. Der Anstieg des Handelsdefizits hat sich in den letzten Jahren deutlich verlangsamt. Von 2008 auf 2009 verringerte sich das Defizit sogar um über 40 Milliarden Dollar. China hat 2009 wertmäßig dreimal so viel Importgüter aus den USA aufgenommen wie 2002. Allerdings weisen nicht nur chinesische Experten darauf hin, daß das zentrale Moment zur Steigerung der amerikanischen Importe in der Freigabe vieler sehr willkommener Hochtechnologieprodukte läge, deren Ausfuhr nach China die US-Regierung immer noch verbietet.

Im Interesse größerer Unabhängigkeit von der wirtschaftlichen und politischen Konjunktur der USA ist Peking schon seit Jahren bemüht, den Anteil der Ausfuhren in die Vereinigten Staaten am Gesamtexport der Volksrepublik zu verringern. Lag dieser im Jahr 2000 noch bei 40 Prozent, so sank er bis 2005 auf 32 Prozent und betrug im vergangenen Jahr 24,7 Prozent oder nach dem World Factbook der CIA sogar nur 17 Prozent. Die Vereinigten Staaten sind damit immer noch Chinas größter Absatzmarkt, vor Japan und Südkorea. Ein erheblicher Anteil der chinesischen Exporte in die USA – nach manchen Berechnungen etwa die Hälfte – geht allerdings auf das Konto amerikanischer Unternehmen, die große Teile ihrer Produktion aus Kostengründen nach Ostasien verlagert haben. Diese Firmen würden durch einen Handelskrieg schwer getroffen, wie überhaupt die US-amerikanische Wirtschaft dabei vermutlich mehr verlieren als gewinnen würde.

Dämpfend auf eine reale Eskalation des bisher hauptsächlich verbal ausgetragenen Konflikts wirkt sich auch die Tatsache aus, daß Peking seit einigen Jahren vor Japan und den arabischen Ölstaaten Hauptgläubiger der gigantischen Auslandsschulden der USA von 13 bis 14 Billionen US-Dollar ist. Chinas Devisenreserven in Höhe von über zwei Billionen bestehen etwa zur Hälfte aus Dollar. Aber die Möglichkeiten, diese Dollar im Fall eines Handelskrieges auf den Markt zu werfen, sind sehr beschränkt, da China dabei hohe Verluste in Kauf nehmen müßte. Die USA sind jedoch daran interessiert, daß die Volksrepublik auch künftig durch weitere Käufe von Schatzbriefen und Dollar einen erheblichen Teil der amerikanischen Schuldenlast trägt. Indessen scheint die Bereitschaft dazu seit dem großen Finanzkrach etwas abgenommen zu haben.

Peking beschwichtigt

Bei der Einschätzung der kurz- und mittelfristigen Entwicklung der amerikanisch-chinesischen Beziehungen muß auch berücksichtigt werden, daß diese seit ihrer Anbahnung unter Präsident Richard Nixon vor gut 30 Jahren etliche Rückschläge verkraftet haben und insgesamt trotzdem einigermaßen kontinuierlich verbessert und ausgeweitet wurden. Ein zunächst schwerwiegend erscheinender Einbruch war mit der Niederschlagung der Studentenproteste in Peking im Juni 1989 verbunden. Auf den beiderseitigen Handel wirkte sich das zwar überhaupt nicht aus, wohl aber vorübergehend auf die Bereitschaft amerikanischer Unternehmen, in China zu investieren. Bis heute ist das totale Waffenembargo der USA und der EU in Kraft geblieben. Letztlich hat es der Volksrepublik hauptsächlich genutzt, weil es sie zwang, sich auf den Aufbau einer eigenen Rüstungsindustrie zu konzentrieren und insoweit zu Mao Tse-tungs altem Prinzip des »Vertrauens auf die eigene Kraft« zurückzukehren.

Zu den Rückschlägen gehörte auch die Taiwan-Krise von 1996. Damals schickten die USA als Drohgeste zwei Flugzeugträger vor die chinesische Küste, nachdem die Marine der Volksrepublik Gefechtsübungen in der etwa 180 Kilometer breiten Meeresstraße zwischen dem Festland und der Insel durchgeführt hatte. Weitere schwere Zwischenfälle waren die angeblich irrtümliche Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad im Mai 1999 während des Kosovo-Krieges und der Zusammenstoß eines US-amerikanischen Spionageflugzeugs mit einem chinesischen Aufklärungsflieger über der Insel Hainan im April 2001.

Daß trotz dieser amerikanischen Provokationen jedes Mal sehr schnell wieder Business as usual herrschte, ist in erster Linie der Strategie der chinesischen Führung zuzuschreiben, beim derzeitigen Kräfteverhältnis keine nachhaltigen Konflikte mit den USA zu riskieren, sondern die politischen und damit verbunden auch die wirtschaftlichen Beziehungen stabil zu halten. Das wird als »friedlicher Aufstieg« bezeichnet. Zu dieser Strategie gehört auch, daß die Volksrepublik das weltweite aggressive und hegemoniale Treiben der USA kaum oder nur äußerst zurückhaltend kritisiert. Widerspruch wird hauptsächlich geäußert, wenn die Politik der Vereinigten Staaten chinesisches Territorium betrifft, sowie abgeschwächt auch hinsichtlich des amerikanischen Vorgehens in Nachbarstaaten wie Korea, Afghanistan, Pakistan und Indien.

In diesem Jahr schien es an den Themen Taiwan und Tibet politische Verstimmungen zu geben, die in vielen Medien als Anzeichen für eine Verschlechterung der chinesisch-amerikanischen Beziehungen interpretiert wurden. Erster Auslöser war Ende Januar die Ankündigung der Obama-Regierung, an Taiwan Waffen im Gesamtwert von 6,4 Milliarden Dollar zu liefern. Hauptsächlich geht es dabei um Black-Hawk-Kampfhubschrauber und das Luftabwehrsystem »Patriot«. Der zweite Anlaß war Obamas Empfang des Dalai Lama am 18. Februar. Seit der Präsident im vorigen Jahr diese Absicht angekündigt hatte, waren aus Peking Warnungen vor einer damit verbundenen Beschädigung des Verhältnisses zwischen beiden Staaten zu hören gewesen.

Indessen ist nicht anzunehmen, daß China daraus tatsächlich praktische Konsequenzen ziehen wird. Denn in beiden Punkten folgt Washington lediglich der Politik, die die USA schon seit der Anbahnung der Beziehungen in den 70er Jahren betreiben. Den tibetanischen Exilführer zu empfangen ist übliche Praxis der amerikanischen Präsidenten – ebenso wie die gleichzeitige Behauptung, man sehe in ihm nur ein religiöses Oberhaupt und stelle die Zugehörigkeit Tibets zur Volksrepublik nicht in Frage. Diese Begegnungen sind ein permanentes Ärgernis, aber wirklicher Schaden für China entsteht dabei nicht.

Auch die Aufrüstung Taiwans stellt keine Überraschung dar. Erstens sind die jetzt angekündigten Lieferungen lediglich Teil eines Elf-Milliarden-Dollar-Pakets, das schon im Jahr 2001 unter dem damaligen Präsidenten George W. Bush vereinbart wurde. Darüber hinaus ist die ständige Versorgung der Insel mit »Defensivwaffen« im Taiwan Relations Act festgeschrieben. Dieses Gesetz wurde im April 1979 vom Kongreß verabschiedet, nachdem die USA ein Vierteljahr zuvor die diplomatischen Beziehungen zur Volksrepublik aufgenommen und zu der separatistischen Inselregierung abgebrochen hatten. 1982 wurde der Taiwan Relations Act durch die sogenannten sechs Zusicherungen bekräftigt. Peking weiß seit langem, daß die USA »jede Maßnahme, die Zukunft Taiwans anders als durch friedliche Methoden zu bestimmen«, als »Bedrohung für Frieden und Sicherheit des westpazifischen Raums« und als Anlaß für »schwere Besorgnis« ansehen würden. Das verpflichtet Washington im Konfliktfall nicht unbedingt, zugunsten Taiwans militärisch einzugreifen, hält diese Option aber offen.

Nach Bekanntwerden der geplanten Waffenlieferungen im Januar drohte China, die ohnehin nur symbolische, »vertrauensbildende« Zusammenarbeit zwischen den Streitkräften beider Länder einzustellen. Außerdem sollten Sanktionen gegen die beteiligten US-Unternehmen, darunter Lockheed Martin, verhängt werden. Bis Ende März waren allerdings noch keine Strafmaßnahmen ausgesprochen worden. Was die militärische Kooperation angeht, die unter anderem im Austausch von Delegationen besteht, so ist festzustellen, daß diese in den vergangenen Jahren schon mehrfach wegen Taiwan unterbrochen und bald darauf wieder aufgenommen wurde. daß China im Februar das Andocken des Flugzeugträgers »Nimitz« in Hongkong gestattete, wurde in den USA als Zeichen interpretiert, daß die bisherige Zusammenarbeit weitergeht. Vielleicht würde Peking etwas schärfer reagieren, wenn Washington dem seit 2006 in der Schwebe gehaltenen Wunsch Taiwans nachgäbe, 66 Kampfflugzeuge vom Typ F-16 zu kaufen.

Geringer Verteidigungshaushalt

Auf kurze Sicht ist jedoch keine nachhaltige Verschlechterung der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und China zu erwarten, weder in wirtschaftlicher noch in politischer Hinsicht. Die tatsächlichen Probleme sind langfristiger Art. Nach dem bisherigen Verhalten der USA ist nicht damit zu rechnen, daß sie bereit wären, ihre hegemoniale, weltweit intervenierende Rolle als einzige Supermacht mit einem immer stärker werdenden China zu teilen. Noch weniger würden sie voraussichtlich akzeptieren, irgendwann nur noch die Nummer zwei zu sein. Beispielsweise könnte die Volksrepublik, das in hohem Maß auf den Import von Energieträgern und anderen Rohstoffen angewiesen ist, die größtenteils über See führenden Transportwege nicht gegen amerikanische Erpressungsversuche sichern. Besondere Schwachstellen sind dabei die Meerengen von Hormuz und Malakka. Pipelines und Landtransportwege durch von den USA abhängige Staaten wie Afghanistan und Pakistan oder durch das von autoritären und käuflichen Regimes beherrschte Zentralasien stellen keine zuverlässige Alternative dar.

Chinas Verteidigungshaushalt macht nach offiziellen Angaben nur etwa ein Siebtel des US-amerikanischen aus. Selbst nach den politisch motivierten »Schätzungen« des Pentagon zur Höhe der Rüstungsausgaben Pekings bleibt ein Verhältnis von vier zu eins. Schon das bezeichnen die maßgeblichen Politiker und Medien der USA als »besorgniserregend«. Schließlich habe China doch, wie schon der frühere Kriegsminister Donald Rumsfeld erklärte, gar keine realen Feinde. Chinas vermutete Absicht, einen alten sowjetischen Flugzeugträger zu modernisieren und in ein paar Jahren in Dienst zu stellen, wird in der amerikanischen Propaganda zur Absicht hochgespielt, den USA die Herrschaft über die Weltmeere streitig zu machen.

In Wirklichkeit kann China, dessen Streitkräfte großenteils noch mit weiterentwickelten Waffentypen der 1950er Jahre ausgerüstet sind, mit den bisherigen Ausgaben selbstverständlich keine Aufholjagd gegen den riesigen Vorsprung der USA finanzieren. Hier liegt ein wesentlicher Grund für die chinesische Strategie des »friedlichen Aufstiegs« und für das insgesamt sehr niedrige Profil auf außenpolitischem Gebiet. China versucht, Konflikte mit der Hegemonialmacht USA möglichst zu vermeiden oder klein zu halten. Die Frage ist, wie lange sich diese damit zufrieden gibt. China könnte, wenn der Iran erst einmal militärisch »abgehakt« ist, zum nächsten Feind Nummer eins Washingtons aufgebaut werden.

* Aus: junge Welt, 6. April 2010


Washington läßt Dampf ab

Im Währungsstreit mit China setzen die USA auf Verhandlungen

Von Knut Mellenthin **


Die US-Regierung hat etwas heiße Luft aus dem Streit um den Wechselkurs der chinesischen Währung gelassen. Finanzminister Timothy Geithner gab am Sonnabend bekannt, daß er seinen Bericht über Staaten, die sich »unfaire« Handelsvorteile durch Unterbewertung ihrer Währung verschaffen, nicht wie vorgesehen am 15. April veröffentlichen wird. Zuvor hatten 130 demokratische und republikanische Kongreßabgeordnete am 15. März in einem offenen Brief an Geithner gefordert, China als »Währungsmanipulator« anzuklagen. Das hätte zur Verhängung hoher Strafzölle auf chinesische Importgüter führen können.

Einen neuen Termin für die Vorlage seines Berichts teilte der Finanzminister nicht mit. Er verwies jedoch auf »eine Reihe sehr wichtiger, hochrangiger Treffen im Verlauf der nächsten drei Monate«. Diese seien die richtige Ebene, um die Streitfragen zwischen beiden Staaten zu diskutieren und »die Interessen der USA zu fördern«. Ausdrücklich nannte er in diesem Zusammenhang den seit langem geplanten chinesisch-amerikanischen Wirtschaftsgipfel, der Ende Mai in Peking stattfinden wird, und das G-20-Treffen im kanadischen Toronto am 26. und 27. Juni.

Wegen der Osterfeiertage gab es zunächst nur wenige Reaktionen aus beiden Häusern des Kongresses auf die Verschiebung des Geithner-Berichts. Am schärfsten äußerte sich der demokratische Senator Arlen Specter, der am Sonntag im weit rechts stehenden Fernsehsender Fox News gegen China wetterte: »Sie sind sehr gerissen und tricksen uns immer wieder aus. Sie stehlen unsere Jobs. Sie stehlen unser Geld, leihen es uns dann zurück und besitzen einen großen Teil Amerikas.« Über Geithners Entscheidung sagte Specter indessen nur, er sei darüber »nicht allzu glücklich«. Auch andere Parlamentarier beließen es bei der Aussage, sie seien über die Verschiebung »enttäuscht«. Aus China, wo der Montag gesetzlicher Feiertag war, gab es zunächst keine offiziellen Kommentare.

Die Entscheidung zur vorläufigen Entschärfung des Streits war in Washington vermutlich schon vor dem einstündigen Telefongespräch gefallen, das Barack Obama am Donnerstag mit seinem Amtskollegen Hu Jintao geführt hatte. Der chinesische Präsident sagte dabei seine Teilnahme an dem Gipfeltreffen zur »nuklearen Sicherheit« zu, das auf Einladung Obamas am 12. und 13. April in Washington stattfinden soll. China hatte bisher offen gehalten, auf welcher Ebene es sich an diesem Treffen beteiligen wird.

Nach chinesischen Angaben betonte Hu in dem Telefongespräch das Interesse seines Landes an stabilen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen sowie einer Fortsetzung und Verbesserung der Zusammenarbeit. Auf Streitigkeiten mit den USA in den letzten Monaten eingehend sagte Hu: »Die Themen Taiwan und Tibet sind von entscheidender Bedeutung für Chinas Souveränität und territoriale Integrität. Sie berühren Chinas zentrale Interessen. Eine richtige Behandlung dieser Themen ist entscheidend für die Sicherstellung der gesunden und stabilen Entwicklung der Beziehungen zwischen den USA und China.«

Die offizielle Mitteilung der US-Regierung über das Präsidenten-Gespräch stellt hingegen Obamas Versuch in den Vordergrund, Peking für ein gemeinsames Vorgehen gegen Iran zu gewinnen. Anders als in vielen Pressemeldungen dargestellt, hat China jedoch bisher keine Zustimmung zu Sanktionen signalisiert, sondern nur seine Bereitschaft bestätigt, sich an Diskussionen über die nächsten Schritte zu beteiligen.

** Aus: junge Welt, 7. April 2010


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