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Pekings Gratwanderung

Wirtschaftswachstum – ja, Ökologie – unbedingt. Führung der Volksrepublik China will Herausforderung annehmen. Erste Erfolg sichtbar

Von Wolfgang Pomrehn *

An Problembewußtsein mangelt es nicht: Chinas scheidender Premierminister Wen Jiabao hat Anfang dieser Woche erneut hervorgehoben, daß das Land dringend einen schonenderen Umgang mit seinen Ressourcen braucht. Es gehe nicht um Wachstum um jeden Preis, meinte Wen im Rechenschaftsbericht seiner Regierung vor dem Nationalen Volkskongreß in Peking. Wie bereits in den Jahren zuvor verlangte er ein Umsteuern in der Wirtschaftspolitik. Privater Konsum und soziale Sicherungssysteme müßten gestärkt und es müßte mehr Rücksicht auf die Umwelt genommen werden. Vor dem Hintergrund extremer Luft- und Wasserverschmutzung in vielen der großen Städte in der besonders prosperierenden Küstenregion forderte der Ministerpräsident der Nachrichtenagentur Xinhua zufolge, daß die Regierung sich mehr um die Gesundheit der Menschen und deren »vitale Interessen« kümmern müsse. Wen tritt nach zehn Jahren im Amt ab. In den nächsten Tagen werden die knapp 3000 Delegierten des einmal jährlich tagenden Kongresses aller Voraussicht nach Li Keqiang zu seinem Nachfolger wählen.

Der Regierungschef mahnte die Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft an. Das Land müsse einen grünen, mit möglichst wenig Treibhausgasemissionen verbundenen Entwicklungspfad einschlagen. Das sind alles keine neuen Forderungen mehr, und manches wurde in dieser Hinsicht auch bereits erreicht. Aber der Smog in Städten wie Peking ist inzwischen so schlimm, daß ein Aufenthalt dort dem Rauchen einer Schachtel Zigaretten pro Tag gleichkomme, wie ein chinesisches Magazin kürzlich schrieb.

Die Umweltverschmutzung hat mancherorts derartige Ausmaße angenommen, daß sie zu politischen Spannungen und zum Teil gewalttätigen Protesten führt. Mitte Oktober 2012 gab es zum Beispiel auf der südchinesische Insel Hainan Demonstrationen gegen ein geplantes Kohlekraftwerk. Im Juli desselben Jahres hatten Proteste in der Provinz Sichuan den Bau einer Kupferhütte verhindert. In der Nähe von Schanghai lieferten sich im gleichen Monat Demonstranten wegen der geplanten Abwasserpipeline einer Papierfabrik Straßenschlachten mit der Polizei. Das Projekt wurde schließlich gestoppt. Ein Jahr zuvor, im August 2011, hatten in der am Gelben Meer gelegenen Hafenstadt Dalian Massenproteste von Anwohnern die Stillegung einer Chemiefabrik durchgesetzt. Und in mindestens einem Fall, in der Inlandprovinz Anhui am Yangtse-Strom, richtet sich der Unmut auch gegen den Bau eines Atomkraftwerks.

Chinas Führung befindet sich also in einer schwierigen Lage. Einerseits muß das kräftige Wirtschaftswachstum aufrechterhalten bleiben, um Arbeitsplätze und Einkommen zu schaffen und soziale Unruhen zu verhindern. Andererseits verschlimmert manches Projekt die Umweltverschmutzung weiter und kann ebenfalls politische Instabilität verursachen. Letzteres dürfte so ziemlich die größte Sorge sein, die die politischen Eliten des Landes umtreibt.

In den vergangenen Jahren hat sich in Sachen Umweltschutz einiges getan. Besonders bei der effizienten Ener¬gienutzung wurden erhebliche Fortschritte erzielt, ohne die der Ausstoß von Treibhausgasen, Ruß und anderen Schadstoffen noch viel größer wäre. Trotz eines Wirtschaftswachstums von knapp acht Prozent nahm der Energieverbrauch 2012 nur um 3,9 Prozent zu. Der spezifische Verbrauch, das heißt die für eine Einheit der Wirtschaftsleistung verbrauchte Energiemenge, nahm also ab. Offizielles Ziel ist es, im laufenden Fünfjahresplan die Energieintensität der chinesischen Wirtschaft um 16 Prozent zu verringern.

Für Luftqualität und Klimaschutz ist es erfreulich, daß vor allem das Wachstum des Kohleverbrauchs abgebremst werden konnte. 2012 stieg dieser nur noch um 2,5 Prozent, und einige Beobachter gehen davon aus, daß der Energieeinsatz trotz wachsender Wirtschaft in den nächsten Jahren sogar zurückgehen wird. Das ist für das Land auch dringend geboten. Die heimischen Vorräte wären schon in wenigen Jahrzehnten erschöpft, sollten die Ressourcen weiter so rasant verheizt werden wie im letzten Jahrzehnt.

Noch deckt Kohle rund zwei Drittel des gesamten Energiebedarfs im Reich der Mitte. Bei der Stromproduktion wird ihr Anteil indes allmählich zurückgedrängt – 19,4 Prozent werden inzwischen mit erneuerbaren Energieträgern gewonnent, nach 15,7 Prozent im Jahre 2011. Den größeren Teil davon liefert die in mancher Hinsicht umstrittene Wasserkraft. Aber auch die Windenergienutzung ist in den letzten Jahren erheblich ausgebaut worden. In keinem anderen Land drehen sich derzeit so viele Windräder wie in der Volksrepublik. Entsprechend konnte auch der Anstieg der Treibhausgas¬emissionen begrenzt werden. 2012 wurden sie nur um 3,2 Prozent erhöht. Die CO2-Intensität der chinesischen Wirtschaft nahm damit um 4,3 Prozent ab, was ein erfreulicher Rückgang ist. Allerdings muß in den kommenden Jahren noch mehr getan werden, damit das Planziel bis 2015 erreicht werden kann. Dann sollen pro Einheit Wirtschaftsleistung 17 Prozent weniger Treibhausgas in die Luft geblasen werden als 2010.

* Aus: junge Welt, Freitag, 8. März 2013


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