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China: Grün-Rot statt Ferrari-Rot?

Über die Chancen einer nachhaltigen Umweltpolitik im Reich der Mitte

Von Lutz Pohle, Peking *

In Peking diskutierten Wissenschaftler und Vertreter von Umweltverbänden kürzlich über die »gemeinsame, zugleich differenzierte Verantwortung « von entwickelten und Entwicklungsländern für Umwelt und Nachhaltigkeit. Und das kurz nach dem Kongress der KP Chinas, der Umweltschutz ins Parteistatut aufnahm. Wird die chinesische KP nun »grün-rot«?

Ohne »Dao«, den (himmlischen) Weg, gibt es kein »De«, die (himmlische) Tugend und umgekehrt. Das erklärt mir ein chinesischer Umweltaktivist in Peking. »Dao« und »De« sind zentrale Begriffe chinesischen Denkens. Für Meister Laozi, Begründer der chinesischen Schule des Daoismus, ergänzen sie sich, sind miteinander in Harmonie zu bringen. Und wenn der Einklang des Menschen mit der Natur gestört ist, gibt es keine harmonische Gesellschaft. Herrscher, die diesen Grundsatz nicht berücksichtigen, sind es nicht wert, das Volk zu regieren – darüber waren sich die alten chinesischen Philosophen einig, auch wenn sie in vielen anderen Fragen Unterschiedliches lehrten.

Chinesen und also auch jede Führung des Landes sind in den Denktraditionen der alten Meister aufgewachsen und eingebunden. Die Frage drängt sich auf, ob das wohl die Partei bewogen hat, den Umweltschutz und die Ökologie auf in ihr Parteistatut aufzunehmen.

Immer mehr Bürger in China erkennen, dass das ungezügelte Streben nach Wachstum immer weniger nachhaltig ist. Die Erkenntnis wächst, dass die jahrzehntelange, atemberaubende Entwicklung auf Kosten von Natur und Umwelt ging. »Es darf nicht länger hingenommen werden, dass China als Werkbank der Welt seine eigene Umwelt ruiniert«, fasst Prof. Huang Haifeng vom Umweltverband »Ecological Development Union International« (EDUI) die Stimmung zusammen.

Professor Yu Xiaogang aus Kunming in der Provinz Yunnan gehört zu den Pionieren der Umweltbewegung in China. Er hat es beispielsweise geschafft, inmitten der wachsenden Welle von Touristen aus ganz China, die Yunnan zu überrollen droht, den Fischern mehrerer Dörfer in der Nähe der Touristen-Hochburg Lijiang das Überleben zu sichern. Beinahe wäre denen im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser abgegraben worden. Die Stadt Lijiang wollte wegen des wachsenden Trinkwasserbedarfs von Besuchern, Hotels und Restaurants das Wasser eines nahe gelegenen Bergsees anzapfen. Dank Umweltbildung für Behörden und Fischer einerseits und Aktionen für eine gerechte Verteilung der Ressourcen andererseits konnte ein Ausgleich erreicht werden, mit dem (bisher) alle leben können.

Der Wissenschaftler hatte in den 90er Jahren die Regierung bei großen Wasserbauprojekten in Südwestchina beraten und sich in seinen Gutachten bereits mit lokalen Behörden angelegt. Als Anfang des Jahrtausends sein Förderer und Beschützer in der Zentralregierung sein Amt an einen Nachfolger abgegeben hatte, musste Prof. Yu seine Stelle an der Akademie aufgeben. Er gründete eine eigene Umweltorganisation und tritt mit viel Einsatz für eine ausgewogene Entwicklung von Ökonomie und Ökologie ein. Wasserbauprojekte in China, speziell die im laufenden 5-Jahr-Plan vorgesehenen großen Staudämme in seiner Heimatregion dürften nicht allein nach Wirtschaftlichkeit und Gewinn beurteilt werden, sagt Prof. Yu. »Wir müssen sowohl die Umweltfolgen als auch alle sozialen Risiken, die mit solchen Projekten verbunden sind, in die Beurteilung einbeziehen.«

Vieles davon fand sich auch in den Reden und Dokumenten des Parteitags. Noch-Präsident Hu Jintao forderte ein »neues Entwicklungsmodell « für China. Kernpunkt dessen müsse eine »nachhaltige und ökologische Entwicklung« sein. Yu und viele seiner Kollegen sehen das skeptisch. China muss in den nächsten Jahren mit deutlich weniger Wachstum zurechtkommen und zugleich ökologischer und sozialer wirtschaften. Die bisherige Entwicklung Chinas hat gigantische Umweltschäden verursacht, sie wurde mit einem ständig steigenden Verbrauch an Ressourcen erreicht. Gleichzeitig hat sich die Schere zwischen Arm und Reich enorm geöffnet, die sozialen Gegensätze drohen das Land zu zerreißen. Es wird an der neuen Führung von KP und Regierung sein, diese Probleme anzupacken und zu lösen.

Einstweilen sieht es aber kaum danach aus. Der Parteitag blieb weitgehend im Ungefähren, was konkrete politische und wirtschaftliche Maßnahmen betrifft. Und schon wabern wieder Gerüchte über die wirtschaftlichen Verbindungen des neuen Parteichefs Xi Jinping und seiner Familie durchs Internet.

Der »Spiegel« nannte die Kaste der neuen Reichen und Superreichen in China »ferrarirote« Kommunisten. Nirgends auf der Welt sind mittlerweile auf den Straßen so viele Luxusautos zu besichtigen wie in manchen Gegenden Chinas. Politik und Geschäft sind auch hier eng miteinander verquickt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass an lukrative Aufträge nur kommt, wer mit bestimmten Offiziellen oder deren Verwandten und Freunden gute Beziehungen pflegt. »Guan Xi« heißt der chinesische Ausdruck dafür. Es ist diese Verbindung von politischen und wirtschaftlichen Interessen, die es so schwer macht, die Korruption wie auch die Zerstörung der Umwelt effektiv zu bekämpfen. »Grün-Rot« statt »Ferrari-Rot« – oder ein neues Entwicklungsmodell, wie von Hu Jintao gefordert – müsste dort ansetzen.

* Aus: neues deutschland, Montag, 03. Dezember 2012


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