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Pekings neue Taiwan-Politik

KP Chinas setzt auf Kontakt zur Kuomintang

Von Anna Guhl, Peking*

Wenn Politiker aus Taiwan offiziell in die USA reisten, folgte in der Vergangenheit augenblicklich der Protest aus Peking. Gerade tourte der Chef der größten taiwanischen Oppositionspartei Kuomintang (KMT), Ma Ying -jeou, zehn Tage lang durch die USA und traf sich mit Vertretern der dortigen Regierung. Doch die chinesische Führung blieb gelassen.

Seit sich Mas Vorgänger Lien Chan im April letzten Jahres während seiner ersten Festlandreise für einen Neubeginn der Zusammenarbeit zwischen der Kuomintang und der KP Chinas eingesetzt hat, bemüht sich die Führung in Peking intensiv um den Ausbau der Kontakte. Denn auch Ma Ying-jeou fühlt sich der chinesischen Nation verpflichtet und wendet sich gegen den Kurs der »Unabhängigkeit« Taiwans vom Festland, den Präsident Chen Shui-bian und dessen Demokratische Fortschrittspartei (DPP) eingeschlagen haben. Dass Ma sich in den USA nun auch für die Wiederaufnahme offizieller Gespräche mit Peking im Falle eines Wahlsieges 2008 und für mehr direkte wirtschaftliche und Handelsbeziehungen ausgesprochen hat, ist von der chinesischen Führung wohl verstanden worden.

Entscheidend für die relativ zügige Annäherung zwischen den beiden einst so verfeindeten Parteien ist eine deutliche Änderung der Pekinger Taiwan-Politik in den letzten beiden Jahren: Stand bis dahin die schnelle Wiedervereinigung oben auf der Tagesordnung, geht es jetzt darum, die Abspaltung der Insel vom Festland verhindern.

Jahrzehntelang wurde Taiwan als »abtrünnige Provinz« betrachtet. Jetzt spricht die Führung in Peking »von einem China, dem sowohl das Festland als auch Taiwan angehören«. Auch wenn Souveränitäts- und Regierungsansprüche über Taiwan nicht vom Tisch sind, so werden sie vorerst nicht gestellt. Peking signalisiert Taipeh, man könne sich mit dem Status quo für eine gewisse Zeit abfinden, sofern die »Unabhängigkeit« nicht zu befürchten ist.

Ohnehin treibt Präsident Chen mit seinen antichinesischen Positionen sowohl die politische Opposition als auch die Mehrheit der taiwanischen Bevölkerung zunehmend in die »Arme Pekings«. Er trennt die taiwanische Geschichte von der chinesischen, wollte sogar von Sun Yat-sen, der Symbolfigur der Republik China, abrücken, als deren rechtmäßige Vertretung sich die Regierung in Taiwan stets verstand. Dass Chen darüber hinaus immer wieder das Festland »reizt«, wie kürzlich erst mit der Auflösung der so genannten Wiedervereinigungsbehörde, empfinden viele Taiwaner als politisch unklug.

Auch die gerade erst eingeführten verschärften Kontrollen für Investitionen taiwanischer Geschäftsleute auf dem Festland stoßen auf wenig Gegenliebe. Die große Mehrheit der Taiwaner will Stabilität und entspannte Beziehungen zum Festland. Die schnelle Entwicklung wirtschaftlicher Kontakte wird allgemein begrüßt und als förderlich für die Lösung der eigenen wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten gesehen. Mehr als eine Million taiwanischer Geschäftsleute sind bereits auf dem Festland tätig. Auf 100 Milliarden US-Dollar belaufen sich derzeit ihre Investitionen.

Peking hat derweil alle Restriktionen Unternehmer aus Taiwan aufgehoben. Da die Insel-Banken keine Kredite für Investitionen auf dem Festland vergeben dürfen, hat die chinesische Entwicklungsbank eigens einen Sonderkredit in Höhe von umgerechnet rund 3 Milliarden Euro für taiwanische Unternehmer bereit gestellt. Der Shanghaier Aktienmarkt wurde für taiwanische Geschäftsleute geöffnet, zudem werden ihnen erhebliche Reiseerleichterungen gewährt. Sogar für taiwanische Bauern wurde der Markt geöffnet: Sie können 18 pflanzliche Produkte zollfrei verkaufen. Ein kluger Schachzug der Pekinger Führung, denn unter den Bauern fand Präsident Chen bisher seine traditionelle Anhängerschaft.

In der Volksrepublik China weiß man sehr genau, dass eine weitere Entspannung der Beziehungen vor allem der Wirtschaft Taiwans zugute kommen wird. Sollte die KMT die Wahl 2008 gewinnen, kann man mit einer vollständigen Aufhebung aller bisher noch bestehenden Beschränkungen rechnen. Zurzeit gibt es weder Direktflüge, noch dürfen chinesische Unternehmen auf der Insel investieren. Taiwanischen Firmen ist erlaubt, 40 Prozent ihres Kapitals auf dem Festland einzubringen. Für über 2400 Produkte besteht Exportverbot aufs Festland. Zum Vergleich: Als sich China und Großbritannien Mitte der 80er Jahre über die Zukunft Hongkongs geeinigt hatten, stieg der Hang Seng Index binnen weniger Wochen um über 3000 Punkte. Ein ähnlicher Schub wird erwartet, wenn die Beschränkungen für Börsenhandel und Banksektor auf Taiwan fallen würden.

* Aus: Neues Deutschland, 1. April 2006


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