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Streik und Harmonie

Internationale Konferenz an der Pekinger Volksuniversität debattierte über Arbeitskämpfe in China. Neoliberale Ideologie im "Reich der Mitte" weiter auf dem Vormarsch

Von Rolf Geffken *

Was bei vielen deutschen Gewerkschaftern und Betriebsräten noch nicht angekommen ist, hat in den Konzernzentralen längst eine Art Umdenken ausgelöst: China ist nicht länger der Standort bloß billiger Beschäftigter, sondern einer immer selbstbewußter auftretenden Arbeiterklasse. Das führt zu der ziemlich kuriosen Tatsache, daß junge deutsche Manager in China das Phänomen »spontaner Streik« studieren und begreifen müssen, weil sie in Deutschland damit nie oder kaum konfrontiert worden sind.

Mit durchaus unterschiedlichen Intentionen hatte deshalb für den 17. und 18. Dezember 2011 die »School for Labour Relations« an der Renmin Universität zu einer internationalen Konferenz eingeladen, auf der es um das Thema »Konflikt oder Kooperation« gehen sollte. Zu den Initiatoren gehörte unter anderem jener Professor, der beim Honda-Streik als Vertreter der Streikenden auftrat und der als Mitglied der Staatsratskommission für das neue chinesische Arbeitsvertragsgesetz in ganz China hohes Ansehen genießt: Chang Kai.

Chang Kai, der sich in den Debatten als Gastgeber merklich zurückhielt, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, in welchem Verhältnis er Konflikt und Kooperation sieht. Kooperationen können nie selbst Zweck sein. Umgekehrt sei eine Kooperation zwischen Kapital und Arbeit nur denkbar, wenn dem Konflikt Raum gegeben werde. Es seien schließlich die Arbeiter, die strukturell in einer Marktwirtschaft in einer unterlegenen Position seien und sich erst Gehör verschaffen müßten, und zwar kollektiv. Diese Sichtweise wurde aber keineswegs von allen Experten auf der Konferenz geteilt. Qiao Jian, Assistenzprofessor für Arbeitsbeziehungen an der Renmin Universität, hielt ein Plädoyer für »autonome Arbeitsbeziehungen ohne staatliche Intervention«. Das klingt zunächst nach »Tarifautonomie« und erscheint manchen Betrachtern durchaus positiv. Doch es sind gerade die Unternehmer in China – allen voran die ausländischen Konzerne – die für eine Reduzierung der Rolle des Staates eintreten. Und zwar in etwa mit den gleichen Argumenten, mit denen in Deutschland der gesetzliche Mindestlohn und das Antidiskriminierungsgesetz abgelehnt werden: Als »zuviel Bürokratie« wird denunziert, was der Einhaltung von Mindeststandards dient. Den chinesischen Behörden kommen hier Befugnisse zu, die weit über die Befugnisse deutscher Arbeitsschutzämter hinausgehen. Es war deshalb auch der Verfasser, der als einziger anwesender deutscher Experte und Anwalt auf den Mangel an staatlicher Kontrolle von Arbeitsstandards in Deutschland einging und zur Verwunderung der meisten Teilnehmer das neue chinesische Arbeitsvertragsgesetz in diesem Punkt als durchaus vorbildlich bezeichnete. Ganz anders auch hier Qiao Jian, der dem chinesischen Gesetzgeber sogar das als Wegbereiter des Prekariats bekannte Flexicurity-Konzept empfahl. Ähnlich sein Vortrag zu den »harmonischen Arbeitsbeziehungen«, in dem er die verschiedenen westlichen Modelle der »dezentralen Tarifverträge« vorstellte, ohne auf die tatsächlichen Auswirkungen solcher Instrumente einzugehen.

Über allem schwebte für die meisten Teilnehmer aus China die Fragestellung: »Wie kann man Arbeitskonflikte verhindern?« So lautete dann auch das Thema von Feng Xi Liang von der Pekinger Normal University: »Mechanismen zur Verhinderung konfrontativer Arbeitskonflikte«. Tatsächlich priesen einige der anwesenden westlichen Experten ihre jeweiligen Modelle nahezu uneingeschränkt an. Besonders auffällig war dies in den Beiträgen des Altmeisters der »Industrial Relations Association«, des US-Amerikaner Thomas Kochan vom berühmten Massachusetts Institute of Technology (MIT). Er pries die in den USA bewährten Methoden der Mediation als Heilmittel gegen ausufernde Konflikte. Der weiterhin nachhaltige nord­amerikanische Einfluß auf die akademische Welt Chinas wurde auch in den Beiträgen von Arnold Zack und Anil Verma überdeutlich. Trotz aller makroökonomischen Steuerinstrumente der chinesischen Regierung: Neoliberales Gedankengut ist weiter an Chinas Universitäten auf dem Vormarsch. Anders als die meisten anderen Referenten richtete Thomas Kochan auch seine Worte direkt an die Studenten. Ihnen gab er mit auf den Weg, als künftige Mediatoren »nicht die Perspektive der Arbeiter oder der Unternehmer oder des Staates einzunehmen, sondern nur daran zu denken, alle drei Kräfte zusammenzuführen«. Leider versäumte es Kochan dabei, auf die ganz und gar nicht friedliche Arbeitswelt der USA einzugehen, in der der Kampf der Unternehmer und einiger Bundesstaaten gegen die Gewerkschaften mehr denn je ganz oben auf der Agenda steht.

Dagegen wies der Verfasser darauf hin, daß China und auch sein akademischer Nachwuchs stolz sein könnten auf das Erwachen einer neuen Generation von Arbeitern. Von dem Erfindungsreichtum dieser Arbeitergeneration könnten alle lernen, auch die anwesenden westlichen Experten. Unterstützt wurde er dabei von dem einzigen weiteren anwesenden Anwalt aus dem westlichen Ausland, dem Hochschullehrer Keith Ewing, vom Londoner King´s College. Anders als Kochan stellte er klar, daß man nicht auf drei Pferden zur gleichen Zeit reiten könne, sondern sich entscheiden müsse. Er, Ewing, habe sich für die Arbeiter entschieden. Die Entscheidung müsse jeder selbst treffen, sagte er den Studenten. Entziehen könne man sich ihr nicht.

* Aus: junge Welt, 10. Januar 2012


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