Medwedjew erneuert in China Blutsbande
Doch wichtiger sind Wirtschaftsinteressen
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Mit einer Kranzniederlegung in Lu-shun - ehemals Port Arthur, heute ein Stadtbezirk von Dalian -
begann Dmitri Medwedjew am Sonntag seinen dreitägigen China-Besuch. In Lushun sind Gefallene
des Russisch-Japanischen Krieges 1904/1905 und Sowjetsoldaten begraben, die im Zweiten
Weltkrieg bei der Befreiung Nordostchinas von japanischer Besatzung ums Leben kamen.
Bei einem Treffen mit Kriegsveteranen sprach Russlands Präsident davon, dass die chinesischrussischen
Beziehungen »mit Blut besiegelt« seien, das im Kampf gegen einen gemeinsamen Feind
vergossen wurde. Er wandte sich erneut gegen Geschichtsklitterung und die Heroisierung der
Faschisten und ihrer Helfer. Dazu wollen Medwedjew und sein chinesischer Amtskollege Hu Jintao
am heutigen Montag (27. Sep.), wenn in Peking die eigentlichen Verhandlungen beginnen, eine gemeinsame
Erklärung unterzeichnen. Vor allem aber wird es in ihren Gesprächen um die Festigung der
strategischen Partnerschaft gehen, die beide Seiten bereits 2001 in einem Vertrag über
gutnachbarliche Beziehungen vereinbart haben.
Vorrang hat die Zusammenarbeit im Energiebereich. Kürzlich erst wurde der nach China führende
Abzweig einer Pipeline von Ostsibirien zum Pazifik fertiggestellt. Deren Hauptstrang soll vor allem
Japan versorgen. Offiziell wird die China-Stichleitung heute in Anwesenheit beider Präsidenten in
Betrieb genommen. Großen Raum werden auch Umweltschutz und Projekte der Zusammenarbeit
zwischen Regionen im Nordosten Chinas und Gebieten in Ostsibirien und in Russisch-Fernost
einnehmen. Geplant ist überdies die Eröffnung eines russischen Kulturzentrums in Peking.
Auf der Tagesordnung des Gipfels - bereits das vierte Treffen beider Staatsoberhäupter in diesem
Jahr - steht auch ein ausführlicher Meinungsaustausch zu internationalen Problemen. Die
Positionen beider Seiten sind über weite Strecken identisch oder ähnlich. Russland wie China
setzen sich für eine Welt mit mehreren Schwerkraftzentren und für die strikte Achtung des
Völkerrechts, die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen, für Rüstungskontrolle und eine neue
Sicherheitsarchitektur in der Pazifik-Region ein. Ebenso für die gemeinsame Bekämpfung von
Terrorismus und Drogen. Außerdem wollen Medwedjew und Hu über Möglichkeiten beraten, wie
interessierte Staaten enger in die von Moskau und Peking dominierte Shanghai-Organisation, die
sich für regionale Zusammenarbeit in Zentralasien einsetzt, einbezogen werden können. Das betrifft
vor allem Afghanistan, das derzeit Gaststatus hat, und Iran, dessen Führung sich seit längerem
bemüht, seinen Beobachterstatus in eine Vollmitgliedschaft umzuwandeln. Teheran scheiterte damit
bisher jedoch am Aufnahmestopp, den Russland und China durchgesetzt haben - wegen Irans
umstrittenem Kernforschungsprogramm und dem Konflikt des Mullah-Regimes mit Israel und den
USA.
Das Thema Iran steht auch bei den Gesprächen Medwedjews mit Hu weit oben auf der
Tagesordnung. Teheran, heißt es dazu in einer Presseerklärung des russischen Präsidentenamtes,
müsse zu konstruktiver Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft und der
Internationalen Atomenergiebehörde zurückkehren.
Der Atomstreit mit der KDVR, deren Staatschef Kim Jong Il angeblich gerade mit einer
Nachfolgeregelung befasst ist, dürfte beiden Staaten gleichfalls einen Meinungsaustausch wert sein.
Am Dienstag (28. Sep.) will Medwedjew jedenfalls die Weltausstellung Expo 2010 in Shanghai besuchen. Dort
findet am »Tag Russlands« ein russisch-chinesisches Wirtschaftsform statt. Lange war Deutschland
Russlands wichtigster Handelspartner, inzwischen hat Peking die Nase vorn. Das Volumen des
Handelsaustausches stieg im ersten Halbjahr um 56 Prozent im Vergleich zu 2009 und liegt damit
sogar leicht über dem Vorkrisenniveau.
* Aus: Neues Deutschland, 27. September 2010
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