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Nicht ohne China

Pekings Primat bleibt jedoch die Innenpolitik

Von Holger Politt *

Geballte China-Kompetenz hatte die Brandenburger Rosa-Luxemburg-Stiftung in der vergangenen Woche in Potsdam zusammengeführt. Gerade erst hat Chinas neuer Botschafter in Berlin, Shi Mingde, sein Amt angetreten. Deutschland und China hätten in den zurückliegenden drei Jahrzehnten dramatische Wandlungsprozesse hinter sich, konstatierte er beim außenpolitischen Kolloquium der Brandenburger Rosa-Luxemburg-Stiftung, das sich mit den deutsch-chinesischen Beziehungen in Geschichte und Gegenwart befasste. Nun sitze man in einem Boot, denn in vielen grundlegenden Fragen seien beide Staaten trotz unterschiedlicher Gesellschaftssysteme voneinander abhängig. Auf Aspekte dieser Abhängigkeit machte Brandenburgs Wirtschaftsminister Ralf Christoffers aufmerksam, indem er auf die Schwerpunkte Energietechnik und Ernährungswirtschaft verwies.

Helmut Scholz, Abgeordneter der LINKEN im Europäischen Parlament, sieht Deutschland indes gefordert, im Verhältnis zu China den Blick der übrigen EU-Staaten einzubeziehen. Seit Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO im Jahre 2001 sei Globalisierung noch fassbarer, da sie sich auf das Leben in allen Ländern auswirke. Die beschleunigte Entwicklung der Produktivkräfte fordere die politische Welt in jeder Hinsicht heraus. Deshalb fänden in Brüssel regelmäßig fraktionsübergreifende Beratungen mit hochrangigen Vertretern der KP Chinas statt, bei denen Konservative und Linke, Grüne, Liberale und Sozialdemokraten zusammenarbeiten.

Gudrun Wacker von der Stiftung Wissenschaft und Politik setzte sich damit auseinander, dass China nach wie vor der Innenpolitik Vorrang einräumt. Daraus ergebe sich eine außenpolitische Zurückhaltung, die mittlerweile auch in China selbst auf Kritik stoße. Die Welt brauche ein China, das außenpolitisch stärker Verantwortung übernehme. Dazu bemerkte Frau Sun Jin Song von der Pekinger Parteihochschule jedoch, dass Chinas Primat angesichts der innenpolitischen Herausforderungen auf absehbare Zeit bestehen bleibe, auch wenn das außenpolitische Engagement künftig spürbarer akzentuiert werde.

Über Aspekte des Chinabildes in Deutschland sprach Frau Lian Yu-ru von der Universität Peking. Chinas Entwicklung, betonte sie, stelle keine Gefahr und keine Bedrohung für die übrige Welt dar. Das Land werde nicht zusammenbrechen, weil man sich rechtzeitig und entschieden vom sowjetischen System abgewendet habe. Man wolle selbstbewusst, aber ohne erhobenen moralischen Zeigefinger durch die Welt gehen.

Jan Rudolph vom Auswärtigen Amt hob zunächst die konstruktive Rolle hervor, die China in der Eurokrise spiele. Die Potenziale der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China seien längst nicht ausgeschöpft. Lutz Kleinwächter, Chefredakteur der Zeitschrift »Welttrends«, machte deutlich, wie stark wirtschaftliche Interessen das politische Tagesgeschäft beeinflussen. Und er merkte an, dass Deutschland alleine kaum noch ein attraktiver Partner für China sei. Dort suche man vielmehr einen Partner, der seine zentrale Rolle für die EU verantwortlich wahrnehme. In diesen Zusammenhang müsse auch Russland hinzugedacht werden.

Auf geschichtliche Voraussetzungen heutiger deutsch-chinesischer Beziehungen machte Wolfram Adolphi aufmerksam, der auch über die wechselvolle Geschichte der Beziehungen zwischen der DDR und der VR China sprach. 1972, als die Bundesrepublik die Volksrepublik diplomatisch anerkannte, sei die DDR ins Hintertreffen geraten, meinte Adolphi, weil sie sich strikter als andere Verbündete an die sowjetische Chinapolitik gehalten habe.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 02. Oktober 2012


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