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China baut sich um

Heute endet das 3. Plenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei. Vom Gremium werden weitreichende Reformen der Wirtschaft erwartet

Von Wolfgang Pomrehn *

China wird reformiert. Auf seiner am heutigen Dienstag (12. Nov.) zu Ende gehenden Tagung wird das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei weitreichende Veränderungen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik beschließen. Diese werden aller Voraussicht nach in den nächsten Monaten vom Parlament umgesetzt. Insbesondere auf der jährlichen Tagung des Volkskongresses im Frühjahr ist mit den entsprechenden Gesetzespaketen zu rechnen.

Laut einem Bericht der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua sind Beschlüsse zum Aufgabenbereich der Behörden und Regierungen auf den unterschiedlichen Ebenen sowie eine Öffnung des Finanzsektors zu erwarten. Außerdem wird mit Änderungen des Steuersystems, einer weitgehenden Umstrukturierung der staatlichen Konzerne und Entscheidungen zur Reform der Landwirtschaft gerechnet.

Eine wichtige Frage betrifft die künftige Regelung des Landbesitzes. Bisher gehört das Land formell dem Staat. Bauern verfügen lediglich über das Recht, es zu bebauen. Verpachten können sie es nur in beschränktem Umfang, und ein Verkauf ist gar nicht möglich. Wenn Land für den Bau von Büros, Wohnungen oder Infrastruktur­einrichtungen benötigt wird, haben meist die lokalen Behörden die Verfügungsgewalt. Die Bauern erhalten in solchen Fällen Entschädigungen, deren Höhe oft Grund für heftige Auseinandersetzungen ist. Besonders wenn Büros und Wohnungen gebaut werden, machen Behörden und private Immobilienunternehmen nicht selten enorme Gewinne, während den Bauern nur geringe Summen ausgezahlt werden.

In der zentralchinesischen Millionenstadt Chengdu und der am Ende des Drei-Schluchten-Stausees gelegenen Metropole Chongqing wird seit fünf Jahren bereits mit einem neuen System experimentiert, das den Bauern mehr Rechte gibt. Vor allem mit Verpachtungen hat man dort, wie der chinesische Staatssender CCTV auf seiner Webseite berichtet, gute Erfahrungen gemacht. Einige Bauern konnten ihre bebauten Flächen dadurch erheblich ausweiten und mehr Geld verdienen.

Das dürfte auch eines der Ziele der Reformen sein. Die chinesische Landwirtschaft ist seit der Auflösung der meisten Agrarkommunen Anfang der 1980er Jahre sehr kleinteilig. Gemessen am wachsenden Bedarf und den Verhältnissen in Industriestaaten gilt sie als vergleichsweise unproduktiv. Immerhin gibt es aber inzwischen eine gegenläufige Tendenz. Zur Zeit existieren rund 680s000 landwirtschaftliche Kooperativen im Land, ein 30prozentiger Anstieg gegenüber 2011, wie das chinesische Ministerium für Landwirtschaft berichtet. Die Reformen zielen auch darauf ab, deren Bedingungen zu verbessern.

Ein weiteres Problem der Landwirtschaft besteht in der Abwanderung. Viele jüngere Landbewohner zieht es auf der Suche nach besseren Einkommen und Wohlstand in die Städte. Zurückbleiben oft nur die Alten, die das Land bestellen. Oder die Äcker liegen gänzlich brach, weil es keine Möglichkeiten gibt, sie zu verkaufen oder zu verpachten. Zudem könnten die Wanderarbeiter Einkommen aus Verkauf oder Verpachtung gut gebrauchen, um in den Städten ein Niederlassungsrecht zu erwerben. Ohne dieses haben sie dort nämlich keinen Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen und dürfen ihre Kinder nicht einmal auf die öffentlichen Schulen schicken.

Ein anderer Reformkomplex sind die 112 großen Staatskonzerne, die direkt der Zentralregierung unterstehen. Xinhua zitiert den stellvertretenden Chef der für deren Verwaltung und Überwachung zuständigen Kommission, Huang Shuhe, wonach diese Unternehmen für private Anteilseigner geöffnet werden sollen. Ihre Umstrukturierung habe hohe Priorität. Auch der Bankensektor solle stärker für privates Kapital geöffnet werden. Diskutiert wird offensichtlich auch, ab 2015 eine Steuer auf private Vermögen einzuführen.

Unterdessen scheint Chinas Wirtschaft ihre »Wachstumsschwäche« überwunden zu haben. Die Finanznachrichtenagentur Bloomberg zitiert chinesische Statistiker, die von einem Anstieg der Industrieproduktion im Oktober von 10,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr berichten. Für das laufende Jahr wird ein Wirtschaftswachstum von 7,6 Prozent erwartet. Die Inflation lag im Oktober unter 3,2 Prozent, und der Umsatz im Großhandel stieg um 13,3 Prozent.

Noch stärker erhöhten sich allerdings die Anlageninvestitionen, also die Ausgaben für neue Fabriken, Wohnungen, Infrastruktur und ähnliches. Sie legten in den ersten zehn Monaten des Jahres um 20,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu. Das ist insofern beachtlich, als ihr Anteil an der Gesamtwirtschaftsleistung bereits außergewöhnlich hoch ist. Das weist auf eine starke Tendenz hin, Überkapazitäten aufzubauen. In der Solarindustrie mußten deshalb in den vergangenen Jahren bereits eine ganze Reihe Hersteller Konkurs anmelden. Entsprechend hat die Regierung bereits Maßnahmen angekündigt, die die Kreditvergabe einschränken sollen. In der Stahl- und Solarindustrie sind zudem direkte administrative Maßnahmen geplant, die Überkapazitäten abbauen sollen. Dazu gehören, die der Stillegung veralteter Betriebe und der Zusammenschluß kleinerer Unternehmen.

* Aus: junge welt, Dienstag, 12. November 2013


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