China sieht sich von der Zeit begünstigt
Auch der künftige Herr im Weißen Haus wird "vorsichtig" mit der Wachstumsmacht umgehen müssen
Von Anna Guhl, Peking *
China war begünstigt durch den Zeitvorteil: Das Land erwachte bereits, als in den USA der klare
Wahlsieg Barack Obamas verkündet wurde. Die Medien machten vor allem innenpolitische Gründe
für den deutlichen Vorsprung des Kandidaten eines »Wandels« aus. Anzeichen für Veränderungen
im Verhältnis zu China sehen einheimische Experten zunächst nicht: Auch Obama werde
»vorsichtig« mit der Wachstumsmacht China umgehen müssen.
Einer Umfrage von »China Daily« zufolge sollen 75 Prozent der Chinesen mit Obama
sympathisieren. Offenbar verbinden gerade junge Leute mit seiner Biografie den Traum von den
vermeintlich unbegrenzten Möglichkeiten in den USA.
Chinas Staatspräsident Hu Jintao verwies in seinem Gratulationsschreiben auf die zahlreichen
Probleme in der Welt, die beide Staaten zum Wohle der Menschheit nur gemeinsam bewältigen
könnten. In einer »neuen historischen Ära« sei China durchaus zu noch »engeren« Beziehungen mit
den USA bereit. Voraussetzung dafür, bekräftige Hu in einem ersten Telefonat mit Obama am
Sonntag, sei gegenseitiger Respekt und die »angemessene Behandlung sensibler Fragen«, vor
allem der Taiwan-Frage.
Seit jeher besteht zwischen China und den USA eine Art Hassliebe: So überaus empfindlich
hierzulande immer noch auf jede politische Zurechtweisung aus Washington reagiert wird, so
überschwänglich nimmt die chinesische Gesellschaft im Alltag alles US-Amerikanische auf.
Amerikanischer Lifestyle gilt als modern und angesagt unter jungen Chinesen. Davon zeugen der
große Zuspruch für Fastfood-Ketten, die Begeisterung für Design, Mode, Musik aus den USA und
den lockeren Umgangston im Alltag schlechthin.
In der offiziellen Politik wird das Verhältnis zwischen beiden Großmächten freilich immer wieder von
der Notwendigkeit bestimmt, das Machbare auszuloten. Das Handelsvolumen ist enorm gestiegen:
2007 betrug es rund 300 Milliarden US-Dollar, chinesische Produkte sind aus dem Alltag der USA
kaum noch wegzudenken. Im September erreichte der chinesische Exportüberschuss mit fast 30
Milliarden Dollar einen neuen Rekordwert. Das erklärt wesentlich, warum China über die größten
Devisenreserven weltweit verfügt, sorgt aber auch immer wieder für Unstimmigkeiten. Zwar hat
Chinas Führung vor gut zwei Jahren mit einer schrittweisen Aufwertung der eigenen Währung
gegenüber dem US-Dollar begonnen, doch der Wirtschaft jenseits des Pazifiks reicht das nicht aus.
Als ähnlich unzureichend wird in den USA der chinesische Kampf gegen Produktpiraterie und
Technologiediebstahl beurteilt. Sicher, Pekings Bemühungen zur Lösung des Konflikts um
Nordkoreas Atomprogramm werden in Washington gewürdigt, doch die USA-Regierung wollte, dass
China sich nicht nur vor der eigenen Haustür engagiert.
Im Zuge der wachsenden Probleme in Wirtschaft und Politik der USA sowie des Erstarkens der
Position Chinas fanden sich beide Regierungen dennoch immer öfter zu konstruktiver Kooperation
bereit. Aus dem einstigen Feind und Konkurrenten China wurde für die USA ein globaler Partner.
Auch das politische Peking lernte, mit der Bush-Regierung umzugehen. Das konservative Amerika
erwies sich aus chinesischer Sicht als pragmatisch und berechenbar. In den ersten Reaktionen auf
die Wahl Obamas demonstrierte die chinesische Führung zwar Gelassenheit, doch weiß sie, dass
ein demokratischer Präsident auch sehr unbequem werden kann: Mit stärkeren Kontrollen der
chinesischen Importe sei zu rechnen. Auch Ängste vor einem US-amerikanischen Protektionismus
werden bereits laut. Der Druck auf eine weitere Aufwertung des Renminbi werde zunehmen,
glauben chinesische Experten, und es könne zu härteren Forderungen in den Bereichen
Arbeitnehmerinteressen, Menschenrechte, Demokratieausbau kommen.
Dennoch, China ist sich seiner politischen und wirtschaftlichen Macht in der Welt durchaus bewusst.
Man erwarte, so Außenministeriumssprecher Qin Gang, dass künftig Vernunft und Kooperation
überwiegen und dass beide Seiten konstruktiv und pragmatisch an die Herausforderungen dieser
Zeit herangehen. An erster Stelle nannte Qin die weltweite Finanz- und Getreidekrise sowie die
Sicherung der Energieressourcen. Schon in dieser Woche wird Chinas erster Mann in Washington
mit am Tisch der Großen und Mächtigen sitzen, wenn es um die Neuordnung der globalen Finanzund
Wirtschafts-strukturen geht.
* Aus: Neues Deutschland, 11. November 2008
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