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Schluß mit billig

Chinas Arbeiter werden zunehmend selbstbewußter. Dank Streiks und großer Nachfrage steigen Löhne deutlich. Peking ist das recht

Von Wolfgang Pomrehn *

Chinas Vuvuzela-Hersteller haben ein Problem: 50 Millionen dieser nervenden Plastiktröten haben sie in den letzten Monaten exportiert. Aber die Konkurrenz sitzt ihnen im Nacken. Um überhaupt noch jemanden zu finden, der die schweißtreibende Arbeit der Fertigung dieses Exportschlagers auf sich nehmen will, müssen sie die Löhen erhöhen, klagen sie der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua.

Die Plastikhörner sind ein Beispiel dafür, daß massenhafter Export von Billigwaren nicht immer von Vorteil für das Ausfuhrland sein muß. Sieht man von den Umwelt- und Energieproblemen ab, die sich das Herstellerland aufhalst, bleibt auch relativ wenig Gewinn in der Kasse: Wu Yijun von der Wu Jiying Plastic Product Corporation aus Ninghai südlich von Schanghai klagt gegenüber Xinhua, daß er von den Händlern nur 24 Euro-Cent für eine Vuvuzela bekommt. Sein Gewinn liege bei 0,1 Yuan also 1,2 Cent. In Südafrika würden die Lärminstrumente hingegen für 60 Rand (6,43 Euro) verkauft.

Den größten Profit, so Wu, hätten die Zwischenhändler und der Einzelhandel. Mit der Arbeit eines halben Jahres – inklusive vieler Überstunden – habe sein Unternehmen lediglich einen Gewinn von 12000 Euro verbucht. Trotz eines Steuernachlasses von elf Prozent auf Plastikexportwaren hätten chinesische Hersteller eine Gewinn­marge von lediglich fünf Prozent, so die Nachrichtenagentur. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß in China derzeit intensiv über die Streichung der Steuernachlässe in energieintensiven Bereichen der Exportindustrie gestritten wird. Für den Weltmarkt könnte das bedeuten, daß die Zeiten chinesischer Billigwaren zu Ende gehen.

Verstärkt wird dieser Trend durch die wieder einsetzende Aufwertung der Währung und durch eine rasante Entwicklung auf dem chinesischen Arbeitsmarkt. Eine Sebstmordserie beim i-Pad-Hersteller Foxconn sowie Streiks in chinesischen Honda- und Toyota-Werken haben in den zurückliegenden Wochen die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit auf sich gezogen. Alle Arbeitsniederlegungen, stets spontan organisiert und von den Gewerkschaften bestenfalls geduldet, endeten mit beachtenswerten Erfolgen. Honda zahlt nun 24 bis 35 Prozent mehr. Toyota erhöhte die Löhne an einigen Standorten um mehr als die Hälfte, und Foxconn hob die untersten Lohngruppen um bis zu 66 Prozent an.

Diese Streiks sind nur die Spitze eines gigantischen Eisbergs. Chinas Arbeiter geben sich nicht mehr mit Almosen zufrieden. Begünstigt von einer Politik der Partei- und Staatsführung, die bereits seit Jahren auf Stärkung des Binnenmarkts und Einkommensverbesserungen setzt, und durch niedrige Arbeitslosigkeit, sind sie wählerisch und kämpferisch geworden. Die Zahl der Arbeitskonflikte ist deutlich gestiegen. Auch wer nicht gleich streikt, hat immer noch die Möglichkeit, sich einen besser bezahlten Job zu suchen.

Das bekam auch Wu zu spüren. Nachdem er eine erste Welle von Vuvuzela-Bestellungen abgearbeitet hatte, entließ er im April 80 Arbeiter. Überrascht von dem reißenden Absatz, nicht nur beim WM-Gastgeber, sondern auch in Europa, stellte er wieder neue Arbeiter ein, mußte jedoch die Löhne um 20 Prozent erhöhen. Das Niveau ist für europäische Verhältnisse indes noch immer mies: Für eine Zwölfstundenschicht in einer heißen Halle (die Temperaturen in Schanghai sind im Sommer subtropisch, die Maschinen und das flüssige Plastik strahlen viel Wärme ab) zahlt Wu nun rund 100 Yuan. Das sind rund Zwölf Euro nach offiziellem Kurs, oder 27 Euro wenn die unterschiedliche Kaufkraft der Währungen berücksichtigt wird.

Bisher sind es vor allem ganz junge Arbeiterinnen und Arbeiter gewesen, die bereit waren, unter derartigen Bedingungen zu arbeiten. Über 150 Millionen sogenannter Wanderarbeiter suchen ihr Einkommen fernab ihrer ländlichen Heimatprovinzen in den boomenden Städten an der Küste. Doch dieses Reservoir beginnt auszutrocknen. Die Bevölkerungsgruppe der 15- bis 24jährigen hat inzwischen ihr Maximum überschritten und wird selbst dann weiter schrumpfen, wenn China irgendwann in den nächsten Jahren die Ein-Kind-Politik aufgibt. Außerdem hat die rapide Verbesserung der Verkehrswege und staatliche Ansiedlungspolitik dazu geführt, daß die Industrialisierung inzwischen auch das Landesinnere erreicht. In vielen ländlichen Provinzen wachsen die Durchschnittslöhne sogar mit 30 Prozent in diesem Jahr noch rascher als in den Wirtschaftswunderzonen an der Küste. Dennoch sind die Lohnkosten im Hinterland noch deutlich niedriger, weshalb schon mancher Billigproduzent seine Fabrik dorthin verlagert hat.

Die große Zahl der spontanen Arbeitskämpfe bereitet der stets um die politische Stabilität besorgten Parteiführung sicherlich Sorgen. Andererseits sind die erkämpften Lohnsteigerungen durchaus in ihrem Sinne. Über 20 Provinzen haben in diesem Jahr bereits die Mindestlöhne erhöht. Das Ziel: Den Binnenmarkt ankurbeln, die Exportabhängigkeit abbauen und die industrielle Entwicklung auf eine höhere Entwicklungsstufe mit größerer Wertschöpfung zu heben.

Ganz nebenbei wird es auch zu erheblichen sozialen Verschiebungen kommen. Noch vor zwei Jahren verdienten Wanderarbeiter in Shenzhen im Schnitt weniger als ein Drittel dessen, was örtliche Arbeiter in ihrer Lohntüte fanden. Für die Mitarbeiter von Foxconn, die mit Überstundenzuschlägen nun auf bis zu 3600 Yuan (430 Euro) im Monat kommen, hat sich dieser Graben nun fast geschlossen.

* Aus: junge Welt, 29. Juni 2010


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