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China will Krise als Chance nutzen

Das Reich der Mitte – Konkurrent im Wettstreit um Marktanteile, Investitionen und Rohstoffe

Von Werner Birnstiel *

Für die Chinesen beginnt das »Jahr des Tigers« 2010 laut Mondkalender zwar erst mit dem Frühlingsfest im Februar, wie weltweit üblich wurde der kalendarische Start für 2010 aber am 1. Januar vollzogen. Darin widerspiegelt sich Symbolisches: Das Reich der Mitte versteht sich als Teil der Weltgemeinschaft, ohne auf eigene Traditionen und Interessen zu verzichten.

Für die Regierung in Peking wird es 2010 vor allem darum gehen, die Finanz- und Wirtschaftskrise zu bewältigen. Innenpolitisch will sie »Stabilität und Einheit« fördern, um den Reform- und Öffnungskurs fortsetzen und vertiefen zu können. Dieser politisch-ökonomische Zusammenhang hat Chinas Außenpolitik 2009 stärker als je zuvor geprägt und wird sich 2010 noch deutlicher bemerkbar machen. Einen Höhepunkt, wie ihn die Olympischen Spiele in Peking 2008 und der 60. Jahrestag der Gründung des »Neuen China« am 1. Oktober 2009 darstellten, wird es freilich 2010 nicht geben. Beide Ereignisse hatten das Reich der Mitte zeitweilig ins Zentrum weltweiten Interesses gerückt.

Wohl aber wird China – was noch bedeutsamer ist – nach Stand der Dinge zur weltweit zweitstärksten Wirtschaftsnation aufrücken und Deutschland als »Exportweltmeister« ablösen. Für 2009 wird vorläufig ein Wirtschaftswachstum von etwa 8,5 Prozent veranschlagt. Das im November 2008 von der Regierung verabschiedete Hilfsprogramm in Höhe von 460 Milliarden Euro hat dazu beigetragen, sowohl die binnenwirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben als auch außerhalb Chinas die Krisenfolgen zu dämpfen.

In beschleunigtem Tempo entwickelt sich das Land vom Absatz- und Beschaffungsmarkt zum ernsthaften Konkurrenten im Wettstreit um Marktanteile, Investitionen und Rohstoffe. Der Preis dafür ist allerdings hoch: Bei der Umweltbelastung durch CO2-Emissionen nimmt China zusammen mit den USA die Weltspitze ein. Andererseits benötigt das Land ein jährliches Wirtschaftswachstum von mindestens fünf bis sechs Prozent, um bis zu zwölf Millionen neue Arbeitsplätze schaffen zu können, damit die Arbeitslosenrate in den Städten nicht zunimmt. Zur Zeit wird sie auf 8,5 Prozent geschätzt, etwa 11 Millionen Menschen ziehen jedes Jahr zusätzlich in die Städte. Allein 2010 wird es beispielsweise über 6,3 Millionen Hochschulabsolventen geben, die nach Arbeit suchen.

Nicht zu vergessen sind die 750 Millionen auf dem Lande lebenden Chinesen, von denen mehr als 20 Prozent arbeitslos oder unterbeschäftigt sind. Und es bleibt das Ziel, die Zahl der Armen – derzeit 150 Millionen, 20 Millionen gelten als sehr arm – schrittweise zu verringern. Ministerpräsident Wen Jiabao hat deshalb in einem Interview zum Jahresausklang 2009 betont, dass seine Regierung die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in China noch entschiedener bekämpfen wird.

Außenpolitisch laufen diese sozialökonomischen Aufgaben auf die Ausweitung und Vertiefung der Beziehungen vor allem zu den Nachbarstaaten hinaus. Die Wirtschaftskooperation mit Japan und Südkorea soll ausgebaut werden. Von strategischer Bedeutung ist auch die bisher noch nicht so umfangreiche Zusammenarbeit mit Russland, den zentralasiatischen Staaten der Shanghai- Organisation und den Ländern der ASEAN (Südostasien).

Gerade auch durch sein Engagement in der Gruppe der Zwanzig (G 20) versucht China, den Entwicklungs- und Schwellenländern größeres Gewicht zu verleihen und deren Interessen wirksamer als bisher gegenüber den kapitalistischen Hauptmächten durchzusetzen. Für Peking bleiben die USA dabei mit Abstand wichtigster Konkurrent – und Partner. So wird sich der Wettbewerb um den Zugang zu Rohstoffen verschärfen, ebenso wie die Forderungen des Westens nach einer Aufwertung des Yuan lauter werden – bei anhaltender Gefahr eines wachsenden wechselseitigen Protektionismus.

Pekings Haltung vor und während der Weltklimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 machte diese Tendenzen deutlich: Bis 2020 wird China pro erwirtschaftetem Yuan 40 bis 45 Prozent weniger Treibhausgase als 2005 ausstoßen. Auch Peking hat Abgasnormen für Kraftfahrzeuge erlassen, die kontrolliert werden. Ineffiziente Kraftwerke werden geschlossen, Aufforstungsprogramme seit Jahren umgesetzt. China ist heute zweitgrößter Hersteller von Fotovoltaikanlagen, bei der Produktion von Windkraftanlagen geht es bereits um den Abbau von Überkapazitäten. So wird China seine Ziele bei der Gewinnung und beim Einsatz erneuerbarer Energien bereits vor 2020 erreichen.

Allerdings zieht Peking eine Grenze, wenn es um die internationale Kooperation in diesen globalen Fragen geht: Sobald der Westen – allen voran die USA – versucht, sich auf diesem Weg in innere Angelegenheiten einzumischen und China seine Handlungsweise vorzuschreiben, endet Pekings Kooperationsbereitschaft. Dies wurde Präsident Barack Obama in Kopenhagen unmissverständlich mitgeteilt.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Januar 2010


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